Kapitel 25

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POV Aris

Ich steuere auf die Gruppe zu, aber nicht um jetzt offensichtlich eine Szene zu machen. Stattdessen achte ich einfach darauf, dass Milam mich auch wirklich bemerkt, als ich nur wenige Zentimeter neben der Gruppe stehen bleibe. Milam steht jetzt rechts von mir. Zum Glück stehen sie gerade an der langen Bar an, sodass es nicht unnatürlich wirkt, dass wir nebeneinander stehen. Schließlich könnte ich ja auch anstehen, um mir ein Getränk zu holen.

Ich spüre, wie er immer wieder zu mir rüber schielt und unruhig neben mir hin und her tippelt. Ich muss schmunzeln - der Kerl bringt mich noch um den Verstand. Ich lehne mich ein wenig nach rechts, unsere Schultern berühren sich und ich drehe leicht meinen Kopf, nur ein paar Zentimeter, damit er hört, was ich ihm mitteilen will.

„Komm in mein Arbeitszimmer. Wir müssen reden" Dann drehe ich mich um und gehe wieder zu der kleinen Bar in der Ecke, der ich zugeteilt war. Ich nehme meine Sachen und verschwinde im dunklen Flur, dessen Ende in das Treppenhaus mündet. Ich hatte sowieso wenig Kundschaft, da wird mein Fehlen nicht auffallen. Ich folge den Treppen bis ins oberste Stockwerk, wo sich direkt auf der linken Seite mein Büro befindet. Milam kennt es, hier waren auch während dem Semester bereits Gruppenbesprechungen. Ich sperre die Tür auf und trete ein, mache das kleine Licht am Schreibtisch an.

Mein Büro ist klein. In der Mitte steht ein Dreisitzer-sofa in dunkelgrau, da ich gelegentlich auch meine Pausen nutze, um hier zu entspannen und die Füße hochzulegen. An der Wand gegenüber der Tür erstreckt sich ein Bücherregal, das bis auf den letzten Platz gefüllt ist. Ich lasse mich auf den Stuhl hinter meinem Schreibtisch sinken, Öffne die Schublade meines Tisches und hole eine Flasche Scotch hervor. Es kommt öfter vor, als man denkt, dass der eine oder andere Kollege mal nach Feierabend vorbei kommt und man sich ein Getränk genehmigt. Ich nehme eines der Gläser aus dem Regal und fülle das Glas gut halb voll, trinke es schließlich in einem Zug leer.

Ich lege mir meine Worte bereit, die ich gleich dem Blondschopf präsentieren möchte. Wobei ich aktuell noch gar keine Ahnung habe, worauf ich überhaupt hinaus will. Ich will herausfinden, wie ich zu ihm stehe, ja. Aber wie stelle ich das am Besten an? Vielleicht war es doch keine gute Idee, ihn aufzufordern in mein Büro zu kommen. Unsere Gespräche eskalieren ja letzten Endes doch jedes Mal. Einmal reicht eigentlich für einen Tag. Jetzt ist es aber ohnehin zu spät.

Und bevor ich weiter grübeln kann vernehme ich ein kleines Klopfen und antworte mit „Komm rein", da ich ohnehin weiß, wer auf der anderen Seite der Tür steht. Die Tür öffnet sich langsam, Milam sieht kurz etwas ratlos in meine Richtung, kommt aber schließlich rein und schließt die Tür wieder.
„Setz dich" fordere ich auf und deute auf das Sofa. „Nein Danke. Ich werde ohnehin gleich wieder gehen. Was wollen Sie von mir?" Er baut Distanz auf, indem er mich Siezt. In diesem Spiel sind wir mittlerweile beide geübt.

„Ich wollte mich entschuldigen, wenn ich dir vorhin zu nahe getreten bin. Ich weiß, du kannst dich nicht in meine Lage versetzen und das sollte ich auch nicht erwarten. Niemand kann sich in mich hineinversetzen und das muss ich akzeptieren" beginne ich die Worte auszusprechen, die mir spontan in den Sinn kommen. „Ersparen Sie sich das Gerede, Hemford. Warum bin ich hier? Für eine Entschuldigung hätte ich nicht hier hoch kommen müssen. Ich will hier nicht sein" Seine Stimme ist eine Mischung aus Entschlossenheit und einem leichten Zittern. Wie vermittle ich ihn, worauf ich hinauswill, wenn ich selbst nicht weiß, worauf ich hinauswill?

Ich sehe ein, dass ich nicht aus dem Affekt heraus handeln hätte sollen. Die Situation ist bescheuert. Ich lehne mich in meinem Stuhl zurück und seufze hörbar laut. „Also, wenn weiter nichts ist, dann gehe ich wieder" währenddessen hat er die Tür bereits geöffnet und geht durch und mit ihm sehe ich auch meine Chancen bei ihm verschwinden. Jetzt wo er mir den Rücken zukehrt fühlt es sich an, als wäre das hier ein Abschied. Ich will nicht, dass er geht, wo er sich doch so viel Mühe gegeben hat mir auf die Nerven zu gehen. Er hat irgendwas in mir verändert, also soll er jetzt auch dafür geradestehen.

Ich springe von meinem Stuhl auf, eile zum Ausgang meines Büros in den dunklen Flur hinein, hole den Kleinen schnellen Schrittes ein und greife nach seinem Arm, sodass ich schließlich sein Handgelenk zu fassen bekomme. „Warte bitte" bitte ich ihn, mein Atem geht schwer. Was ist nur los mit mir? Seit wann bin ich so ein erbärmliches Weichei geworden, das einem kleinen Jungen hinterherrennt, mit dem mich doch überhaupt nichts verbindet. Nicht einmal eine nennenswerte Vergangenheit haben wir.

Milam hält in seiner Bewegung inne. Kurz regt er sich nicht, ich kann ihn nicht einmal atmen hören. Diese paar Sekunden kommen mir vor, als würden Stunden vergehen, in denen sich keiner von uns auch nur einen Millimeter bewegt. „Milam, bitte." flüstere ich, obwohl hier oben ohnehin niemand ist, der uns hören könnte. Dennoch traue ich mich nicht, ich will ihn nicht verschrecken oder in die Flucht schlagen. Ich fühle mich gerade, als könnte ein falsches Wort oder eine unpassende Bewegung alles zerstören. Er dreht sich gefühlt in Zeitlupe zu mir um, sieht mich ausdruckslos an.
„Du tust mir weh. Lass mich bitte los" bittet er. Sofort ziehe ich meine Hand zurück, wodurch ich diesen minimalen Körperkontakt unterbrechen muss.

Ich fühle förmlich die wieder zunehmende Distanz zwischen uns. „Was willst du Aris?" flüstert er leise. Seine Stimme bebt während er spricht, ihn kostet es sicher gerade alle Kraft, hier zu bleiben. Ich habe ihm wirklich unschöne Dinge an den Kopf geworfen, eigentlich jedes Mal, wenn wir uns gesehen haben. Ich war nie wirklich gut zu ihm - er hat also allen Grund zur Flucht. Über seine Frage denke ich gar nicht weiter nach, bevor ich sie beantworte:

„Dich."

Ich überbrücke mit einem Mal diese Distanz zwischen uns, woraufhin Milam ein Stück zur Seite weicht, wo aber nichts ist außer die kalte Mauer. Also folge ich ihm stütze eine meiner Hände neben seinem Kopf an der Wand ab, die andere hält ihn am Oberarm fest, bedacht darauf, ihm nicht wehzutun. Zentimeter trennen unsere Körper aber es fühlt sich an, wie eine Barriere, die ich nicht überwinden kann. Ich kann nichts tun, außer ihn anzusehen. Seine Augen glitzern trotz der Dunkelheit hier im Flur und ich erkenne seinen Gesichtsausdruck schemenhaft.

Ich halte die Luft an, als er seine Hand langsam hebt - was wir er tun? Wird er mir eine Scheuern? Mich wegdrücken? Oder beides in Kombination? Entgegen meiner Erwartungen legt er seine flache Hand auf der Mitte meiner Brust ab.
„Warum küsst du mich dann nicht?" murmelt er, so leise, dass ich ihn kaum verstanden habe.

Die Gedanken darüber, was ich überhaupt bezwecken will oder warum ich ihn gebeten habe, in mein Büro zu kommen sind plötzlich einfach irrelevant. Ich weiß nicht, was das hier ist oder was ich fühle, aber ich weiß, dass er mit seiner Frage den Nagel auf den Kopf getroffen hat.

Ich nehme meine Hand von der Wand weg, fahre Milam über seine weiche Haut auf der Wange, über seinen Kiefer zu seinem Hals, dort ruht meine Hand sanft. Noch für einen kurzen Moment betrachte ich seine unschuldigen Augen, die mir so viele Kopfschmerzen bereiten. Ich schließe meine Augen und tue das, was ich schon viel früher hätte tun sollen.

Als ich seine warmen, feuchten Lippen eine Sekunde später auf meinen spüre scheinen sich meine Probleme für einen Augenblick in Luft aufzulösen.

Crossing Paths - ManxManWo Geschichten leben. Entdecke jetzt