Kapitel 18

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POV Milam

Als mich mein Chef am nächsten Morgen angerufen hat, ob ich einspringen kann, war ich wenig begeistert. Dennoch habe ich dadurch wenigstens einen Grund heute der Bibliothek fern zu bleiben. Da eine Kollegin krank ist werde ich heute wohl seit Langem mal wieder Nachtschicht haben. Nach unserem Telefonat hau ich mich nochmal auf's Ohr, damit ich die Nacht einigermaßen gut überstehe.

Es ist Samstag, also werden außer ein paar Feierwütige ohnehin kaum Kunden im Laden sein - die perfekte Gelegenheit um während der Arbeit meinen heutigen Lernstoff zu erledigen. Da ich noch einige Stunden habe bis ich los muss beschließe ich heute mal wieder laufen zu gehen. Ich bin keineswegs unsportlich, dennoch bin ich nicht unbedingt mit er besten Ausdauer gesegnet. Bereits 500 Meter, nachdem ich losgelaufen bin bereue ich meine Entscheidung. Meine Beine schmerzen und meine Lunge brennt, weil ich offensichtlich zu dumm zum Atmen bin.

Dennoch ziehe ich durch - das einzig Gute am Joggen ist, dass ich dabei meinen Kopf frei bekomme. Viel zu unangenehm war die Begegnung mit Hemford gestern. Nachdem wir in letzter Zeit ein immer entspannteres Verhältnis zueinander entwickelt haben dachte ich, ich wäre endlich drüber hinweg. Gestern habe ich mir quasi selbst das Gegenteil bewiesen.

Ich werde trotzdem nicht drum herum kommen, ihn in der Bibliothek zu treffen - zuhause kann ich mich unmöglich konzentrieren, alleine schon wegen Alex. Da mir meine Noten aber wirklich wichtig sind werde ich in den sauren Apfel beißen müssen und weitere Begegnungen mit Aris riskieren in Zukunft. So lange er nicht wieder neben mir sitzt sollte ich Safe sein.

Pünktlich zum Beginn meiner Schicht treffe ich am Laden ein. Mein Chef winkt mir schon von Weitem zu: „Hallo Milam, schön dich wiederzusehen" begrüßt er mich herzlich. Der ältere Mann mit seinem grauen kurzen Haar und Vollbart hat heute tagsüber die Stellung gehalten, da scheinbar einige Kollegen krank sind. „Du bist meine Rettung heute und entschuldige, dass ich dich von den Prüfungen abhalte. Ich wusste mir nur nicht anders zu helfen" gibt er zu. In seinem Alter wäre eine Nachtschicht unzumutbar, daher bin ich froh, dass er angerufen hat. „Kein Problem. Wenn nicht viel los ist würde ich ein bisschen was für die Uni nachher machen."

Nachdem ich im Aufenthaltsraum meine Sachen ablege und meine Arbeitskleidung, welche lediglich aus einem dunkelgrünen Poloshirt besteht, anziehe gehe ich wieder nach vorne in den Verkaufsraum, wo mich mein Chef noch auf den neuesten Stand bringt, was die vergangenen Tage so los war. Offensichtlich hat eine andere Kollegin, die ebenfalls Studentin ist, vor Kurzem gekündigt, weshalb wir wohl in nächster Zeit öfter knapp besetzt sind.
Hinzu kommt, dass ich ab kommendem Semester ein Unipraktikum absolvieren werde und höchstens noch an den Wochenenden arbeiten kann.

Als mein Chef gegangen ist beginnen lange Arbeitsstunden, denn es ist wirklich absolut nichts los. Als ich mit dem ersten Teil des Lernstoffs durch bin fange ich an ein wenig Ordnung zu machen. Hier ist es nicht dreckig oder so, aber ein wenig Unordnung ist durchaus vorhanden. Abschließend beschließe ich noch den Müll aus dem Aufenthaltsraum raus zu bringen. Ich schnüre die Tüte zu und steuere auf die Hintertür zu, welche in eine kleine Nebenstraße führt, wo unsere Mülltonnen sind.

Es ist stockdunkel, weshalb ich mich beeile, den Müll in der Tonne zu entsorgen. Stimmen am Ende der Straße erwecken meine Aufmerksamkeit. Es sind zwei Männer, die geradewegs in die kleine Seitenstraße einbiegen. Sie müssen hier wohnen, denn diesen Weg würde niemand rein zufällig gehen. Sicherlich so wohlhabende Schnösel, die im Appartmentkomplex direkt hier in der Gegend wohnen. Als die Schritte näher kommen werden auch die Stimmen der beiden lauter.

„...wie weit ist es denn noch zu dir?"
„Nicht mehr weit, direkt da hinten ist es schon, halt noch 5 Minuten durch, dann brauchst du zumindest deine Beine heute nicht mehr"
Wusste ich's doch - wohlhabende Schnösel. Ihre Stimmen hallen stark aufgrund der hohen Gebäude links und rechts, ich will ja wirklich nicht lauschen, aber das hier ist doch irgendwie interessant.
„Du bist echt ... heiß" Ich reiße die Augen auf, diese Worte sind sicher nicht für meine Ohren bestimmt. Die größere der zwei Silhouetten drückt auf einmal die andere gegen die kalte Mauer. „Warte ab, bis wir zuhause sind, dann werde ich dafür sorgen, dass du die nächsten Tage nicht mehr sitzen kannst." Ich sollte hier weg. Als ich mich zur Tür wende fällt mir diese direkt vor der Nase zu und schließt mit einem lauten Knapp.

Na super. Zum Glück ist der Laden noch geöffnet, ich muss also zumindest nur einmal Außenrum laufen. Leider direkt an den beiden Gestalten vorbei. Ich setze mich schnellen Schrittes in Bewegung und eile in Richtung der beiden, die was auch immer hier tun. Ich will mir gar nicht ausmalen, was diese beiden Fremden heute Nacht noch so anstellen. Der Größere hat ja offensichtlich relativ klare Vorstellungen.

Ich gehe mit gesenktem Kopf an den beiden vorbei, als ich auf gleicher Höhe bin spitze ich rüber, da mich die Neugierde jetzt doch gepackt hat. Und zum wiederholten Mal in den letzten Monaten habe ich das Gefühl, irgendjemand will mich einfach nur leiden sehen und mir das Leben schwer machen. Natürlich ist der größere von beiden Aris Hemford, der mal wieder irgendein Opfer abschleppt. Die Masche ist mir mittlerweile weit bekannt. ich senke abrupt wieder meinen Kopf und biege um die Ecke um wieder in den Minimarkt zu kommen.

Mir kommt es so vor, als wäre dieser Kerl einfach überall - als würde er mich aus irgendeinem Grund heimsuchen. Womit habe ich das verdient? Ich will doch einfach nur meine Ruhe vor ihm. Ich gehe in den Aufenthaltsrum um die Hintertür abzuschließen, dann lass ich mir einen Kaffee aus der Maschine und setze mich wieder nach vorne an den Tresen. Es ist erst 01:00 Uhr, noch 5 Stunden bis Schichtende. Aris ist sicherlich mittlerweile an seinem Ziel angekommen und schon voll bei der Sache.

Ich seufze. Kann ich nicht endlich aufhören, mir zu wünschen, dass ich derjenige wäre?
Ich hab mich wohl schon immer zu Arschlöchern hingezogen gefühlt.

Nach dem Ende meiner Schicht falle ich erledigt in mein Bett, verpenne fast den gesamten Sonntag und lasse daher auch meine Nachtschicht in der Bibliothek ausnahmsweise ausfallen.

Crossing Paths - ManxManWo Geschichten leben. Entdecke jetzt