Kapitel 15

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POV Milam

Ich werde die Sonnenstrahlen, die durch die Vorhänge in mein Zimmer fallen geweckt. Man, hab ich einen Schädel. Ich hab gestern viel zu viel getrunken. Ich war die letzten drei Wochen weder in der Uni noch sonst irgendwo abgesehen von meiner Wohnung und meinem Job im Minimarkt. Um ehrlich zu sein hat mich die ganze Aris-Sache wirklich aus der Bahn geworfen.

Ich meine, ich rede mir alles von der Seele - zugegeben war ich in diesem Moment viel zu emotional, um so ein Gespräch zu führen - und alles was diesem Holzkopf einfällt sind ein paar wertlose Worte wie „Ich kann dir nicht geben was du brauchst". Vollidiot. Ich hab mich über drei Wochen in Selbstmitleid gebadet, bis mich Alex schließlich mitgeschleppt hat. Er war mit Kommilitonen verabredet. Zuerst waren wir bei einem von ihnen in der WG zum Vorglühen. Dort habe ich Nate kennengelernt, der ziemlich schnell ziemlich offensichtliches Interesse an mir gezeigt hat.

Und dann habe ich beschlossen mich einfach abzuschießen. Ich habe mir eingeredet, dadurch alles was passiert ist einfach zu vergessen. Vor allem wollte ich das Kribbeln auf meinen Lippen vergessen, das ich seit drei Wochen nicht mehr aus dem Kopf bekommen habe. Ich wollte einfach nichts mehr spüren. Also habe ich Runde für Runde Vollgas gegeben und schließlich die Initiative ergriffen und Nate meine Zunge in den Hals gesteckt. Nicht sehr ritterlich von mir, aber ich dachte, wenn ich andere Lippen auf mir spüren könnte hätte der Spuk endlich ein Ende.

Danach wurde alles noch schlimmer. Der Kuss war miserabel - nicht jedoch, weil Nate ein schlechter Küsser ist. Vielmehr hatte ich vor meinem inneren Auge niemand geringeren als Hemford, der mich so sanft und gleichzeitig leidenschaftlich küsst, dass ich in seinen Armen drohe zu zerfließen. Als ich dann von Alex auf die Anwesenheit genau dieses Typen aufmerksam gemacht wurde und keine 5 Sekunden, nachdem ich meine Zunge aus dem Mund von Nate geholt hatte Augenkontakt mit Aris hatte war es bei mir endgültig vorbei.

Zwei, drei Getränke später habe ich mich heftig übergeben und wurde von Alex nach Hause gebracht. Letzten Endes hat der gestrige Abend alles nur noch schlimmer gemacht. Und ich empfinde Nate gegenüber ehrliche Reue, ich habe sein Interesse ausgenutzt um mich besser zu fühlen, was im Endeffekt aber nach Hinten losgegangen ist. Karma is a bitch.

Mein Verhalten gestern war unmöglich und kindisch. Ich muss mich zusammenreißen und vor allem mein Leben wieder in den Griff bekommen. Also fasse ich einen Entschluss: Ich gehe wieder in die Uni und hole den verpassten Stoff nach. Ich gebe mir mehr Mühe im Minimarkt und ich nehme verdammt nochmal mein soziales Leben wieder auf. Und das wichtigste: Ich halte mich von Aris Hemford fern. Ich pflege mit ihm einen für Studenten und deren Dozenten normalen, höflichen Umgang und vergesse unsere vergangenen Begegnungen.

Es ist durchaus möglich, dass wir uns auch in kommenden Semestern über den Weg laufen. Also sollte ich erwachsen mit dem Ganzen umgehen. Irgendwann werden diese verwirrenden Gefühle verblassen und nichts weiter als eine entferne Erinnerung sein. Nachdem mein Plan vollkommen scheint stehe ich auf, putze meine Zähne und folge anschließend am Kaffeeduft in die Küche. Alex sitzt bereits am Küchentisch und ist in sein Smatphone vertieft.

„Guten Morgen" murmle ich während ich mir einen Kaffee einschenke. „Morgen, geht's einigermaßen? Du warst ganz schön im Eimer letzte Nacht." „Frag nicht. Ich will nur Kaffee und wieder ins Bett" bestätige ich seine Vermutung, dass es mir alles andere als gut geht. „War deine Knutscherei mit Nate so schlimm, dass du dir so dermaßen die Kante geben musstest?" witzelt er über die Situation. Ich winke nur ab und laufe ins Wohnzimmer, wo ich mich auf's Sofa schmeiße. Ich würde meine Gedanken gerne mit Alex teilen, jedoch halte ich mich zurück. Ich will mich und irgendwie auch Aris in nichts hineinziehen. So sehr ich meinen Mitbewohner schätze, er ist eine Tratschtante.

Also schlucke ich das Bedürfnis, meine Sorgen von der Seele zu reden runter und nehme einen großen Schluck von meinem Kaffee. Bitte, lass den Tag schnell vorbeigehen. Morgen ist schon Montag, ab Morgen gehe ich wieder zur Uni und muss meinem Lieblingsdozenten wieder gegenübertreten. Zum Glück hat Alex die Rolle der Gruppenleitung übernommen, sodass ich nicht größer mit Aris in Kontakt kommen werde.

Und tatsächlich: Ich überstehe das Hemford-Seminar ohne Zwischenfälle. Er beachtet mich nicht weiter, ebenso wie ich ihm nicht wirklich Beachtung schenke. Das erste Mal fühle ich mich in seinem Kurs wie jeder andere Student. Das wird klappen, ich kann endlich nach vorne blicken. Und so geht es auch die nächsten 2 Monate weiter. Wir sprechen nicht miteinander, außer als meine Gruppe ihre Zwischenpräsentation gehalten hat. Dort hat er jedem Feedback gegeben, also mussten wir ein paar Worte miteinander austauschen. Aber auch das verlief problemlos.

Noch immer, wenn ich ihn aus der Ferne am Campus sehe oder in seinem Seminar sitze, empfinde ich ein schwermütiges Gefühl in der Magengegend. Auch Nervosität ist im Spiel. Trotzdem bin ich mittlerweile deutlich gelassener, wenn es um Hemford geht und blende alle Gefühle, die nicht für unsere Beziehung zueinander normal sind aus. Ich nehme sie nur noch leicht und unterschwellig wahr, habe sie fest verschlossen in einer Kiste ganz tief in mir drin. So tief, dass sie auf keinen Fall ausbrechen können.

Für solche Lappalien habe ohne hin in nächster Zeit keinen Nerv: Die Semesterprüfungen stehen an, was für mich vor allem eins bedeutet: Büffeln. Ich will später einen guten Job, daher sind gute Noten ein erster Schritt in die richtige Richtung. Ab Beginn der Klausurvorbereitung bin ich mehrmals Pro Woche in der Bibliothek zum lernen. Parties und ähnliches schraube ich in den Wochen ebenfalls weitestgehend zurück. Da ich in dieser Zeit kaum noch Vorlesungen habe, verlege ich meine Arbeitsstunden im Minimarkt auf tagsüber, sodass ich abends und an den Wochenenden ungestört lernen kann.

Alex witzelt immer darüber, dass ich meine Klausurenphase am besten im Kloster verbringen sollte. Bei der Vorbereitung könnten wir nicht gegensätzlicher sein. Während ich mich vollkommen fokussiere schläft er in der vorlesungsfreien Zeit meist bis mittags, lernt ein wenig und abends hängt er mir Kumpels rum und genehmigt sich den einen oder anderen Drink - er führt quasi das Studentenleben wie es im Buche steht.

Ich packe alle nötigen Utensilien in meinen Rucksack und schaue unterwegs noch im Minimarkt vorbei, kaufe mir Snacks und Getränke für eine produktive Lernnacht und mache mich auf den Weg in die Bibliothek. An diesem Abend habe ich noch nicht damit gerechnet, dass die kommenden Wochen mein Leben nochmal komplett auf den Kopf stellen werden.

Crossing Paths - ManxManWo Geschichten leben. Entdecke jetzt