Kapitel 12

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POV Milam

Natürlich habe ich den gesamten Sonntag verpennt. Irgendwie wollte ich gar nicht so richtig wach werden, weshalb ich schließlich absolut nichts gemacht habe. Stattdessen habe ich gegrübelt, wie ich Alex am besten beibringe, dass ich das Seminar hinschmeiße. Ja, ich brauche die Punkte. Ja, das Seminar ist wirklich interessant. Wenn da nicht der Dozent wäre.

Ich quäle mich also durch den Montag, in der ersten Vorlesung schlafe ich direkt wieder ein, erst beim Mittagessen werde ich wieder so richtig wach. Vor unserem Seminar holen wir uns noch einen Kaffee und als wir den Raum betreten sitzt ein gewisser Jemand schon vorne auf dem für ihn vorgesehenen Platz. Er sieht wie immer verboten gut aus. Gemachtes Haar, eng anliegendes Hemd und eine wirklich gut sitzende Jeans.
Ich hasse ihn.

Erst jetzt fällt mir wieder ein, dass ich Alex ja beichten muss, dass ich den Kurs wohl verlassen werde.
„Ey man,  wollen wir nächste Woche in den HR-Kurs mal schauen?" ich tippe Alex an, damit er mir seine Aufmerksamkeit schenkt. „Bist du dumm? Das ist doch gleichzeitig mit dem Hemford Seminar." „Ja, aber ... weißt du, ich glaube ich lass mich hier von der Liste streichen. Das ist mir irgendwie ... zu viel Aufwand." flunkere ich, wobei der Arbeitsaufwand tatsächlich nicht zu vernachlässigen ist.

„Milam, nein. Wir haben bereits eine Gruppe, ein Projekt und erste Ergebnisse. Du bist unser Gruppenleiter, also wirst du einen Teufel tun, dich jetzt einfach zu verpissen" knurrt er. Ich will gerade kontern, als ein „Kensington" mich aufschrecken lässt.
Ohne, dass ich es gemerkt habe, hat bereits das Seminar begonnen und ganz offensichtlich waren wir viel zu laut. Aber warum werde ich jetzt ermahnt? Als ich aufblicke steht Hemford direkt vor unserem Platz, funkelt mich böse an.

„Schön, dass sie sich so angeregt unterhalten, Kensington. Als Gruppenleiter sollten Sie eigentlich mit gutem Beispiel voran gehen, aber das scheinen sie ja nicht nötig zu haben. Kommen Sie am Ende der Stunde zu mir, dann reden wir nochmal über ihr Verhalten." Will der mich verarschen? Ich schlucke meinen Ärger runter, ich will hier keine Szene machen. Aber er hat eindeutig ein Problem mit mir, sonst hätte er auch Alex ermahnt.

Nachdem wir in der zweiten Hälfte wie immer an unserem Projekt arbeiten wird die Stunde heute vorzeitig beendet. In Sekundenschnelle packe ich mein Zeug und will schon mit Alex durch die Tür verschwinden, als mich ein erneutes „Kensington, hier geblieben" zusammenfahren lässt. Mitleidig sieht mich Alex an, und flüstert ein „ich warte am Parkplatz" und zeigt den Daumen nach oben. Wiederwillig drehe ich mich um, verschränke meine Arme vor der Brust und sehe meinen Gegenüber, der sich am Ende des Raumes ebenfalls erhoben hat an.

„Wenn du meinen Kurs so uninteressant findest, dann lass dich einfach von der Liste streichen, Milam." Meinen Namen betont er extra stark, will er mich provozieren? Nicht mit mir, der kann was erleben.
„Also ob ich Interesse am Kurs habe, sei mal dahin gestellt. Aber ich lass mich definitiv nicht SO behandeln von einem Dozenten. Warum stellst du mich vor dem ganzen Kurs bloß? Nur weil ich mich unterhalten habe? Alex hat genauso gesprochen, wieso muss nur ich hier nach Ende des Seminars antanzen? Willst du mich noch mehr demütigen?" Meine Stimme bebt, was definitiv nicht geplant war.

„Demütigen?" Er sieht mich ehrlich verwundert an. „Was denkst du denn? Meinst du ich lass mich gerne belästigen, durchnehmen und dann wegwerfen wie ein benutztes Taschentuch? Meinst du, ich kann das einfach so ab? Aber nein, du bist ja der tolle Unternehmer Aris Hemford, der über alles und jedem steht. Natürlich behandelst du alle Menschen um dich herum wie Dreck, weil du etwas besseres bist." Ich rede mich in Rage und merke selber, dass ich mir gerade Argumente an den Haaren herbeiziehe. Aber verdamt, das tut gut.

„Mach mal einen Punkt Kleiner. Bist du eifersüchtig? Ist es, weil ich am Wochenende mit dem Typen bei deiner Arbeit aufgekreuzt bist? Dachtest du, wir reiten gemeinsam in den Sonnenuntergang? Ich bitte dich, so naiv kannst nicht mal du sein." kontert er. „Eifersüchtig? Es dreht sich nicht die ganze Welt um dich. Schön für dich, dass du dich um die Welt vögelst und ach so viel von dir hältst weil du deine Prinzipien hast. Mir geht das aber herzlich am Arsch vorbei." Meine Stimme wird lauter, mittlerweile bin ich einige Schritte auf ihn zugegangen.

„Was ist eigentlich dein Problem?" Fragt Aris, mittlerweile auch ziemlich aufgebracht. Ich bin komplett von der Emotion getragen und die Worte sprudeln nur so aus mir raus. „Was mein Problem ist? DU bist mein Problem! Ich kenn dich doch gar nicht. Ich weiß überhaupt nichts über dich - wir kennen uns ja gerade einmal 3 Wochen. Und trotzdem hast du mich um den Finger gewickelt. Du hast mich wie Dreck behandelt, wie einen wertlosen Gegenstand. Und trotzdem hat mir das was bedeutet. Ich hasse dich, aber gleichzeitig hat mir das was bedeutet. Für einen Moment war ich so dumm, zu glauben, dass du kein dummer Arsch bist. Aber da hab ich mich getäuscht und das tut verdammt weh, Aris. Es ist nicht jeder wie du. Nicht jeder hat Sex ohne Emotionen. Nicht jeden lässt sowas einfach kalt." Tränen laufen mir über die Wangen.

Auch wenn es total übertrieben ist, ist es das was ich gerade tief in mir fühle. Ich mag naiv sein, für mich hat Sex aber einfach eine Bedeutung. Deshalb in ich auch nie soweit gekommen, Erfahrungen mit Männern zu sammeln - abgesehen von dem Typen mit dem ich mein erstes Mal hatte. Für mich haben solche Dinge eine Bedeutung, da ist es logisch, dass ich nachdem wir Sex hatten irgendwie schwermütig geworden bin.

Aris sieht mich mit großen Augen an. Auch er ist ein paar Schritte auf mich zu gegangen, weshalb wir uns nun direkt gegenüber stehen.
„Ich erwarte nichts von dir. Ich will nichts von dir, schon gar nicht deinen Namen oder deinen Ruhm. Es geht mir am Arsch vorbei. Aber dennoch hat es mir etwas bedeutet. Also behandle mich wenigstens normal und nicht wie der letzte Dreck. Ich weiß nicht, was für Probleme du hast und warum du so geworden bist. Aber das hier habe ich nicht verdient." ergänze ich noch abschließend. Ich bin fertig mit den Nerven. Ich sehe ihn verschwommen durch meinen Tränenvorhang.

Es passiert ganz plötzlich. Seine Hände umfassen mein Gesicht. Die Unsicherheit in seinen Augen, die ich für eine Sekunde aufblitzen sehe, als er nur noch wenige Zentimeter entfernt ist. Und dann spüre ich seine Lippen auf meinen. Sanft. Ohne Druck. Federleicht berühren sich unsere Münder, der Stromschlag der mich durchzuckt ist jedoch umso gewaltiger. Einen Moment später ist alles vorbei
„Ich kann dir nicht geben, was du brauchst." sagt er, leise aber bestimmend. Dann entfernt er sich, nimmt seine Tasche und verlässt den Raum.

Er lässt mich stehen. Zum dritten Mal seit wir uns kennen.

Crossing Paths - ManxManWo Geschichten leben. Entdecke jetzt