Kapitel 52

278 22 2
                                    

POV Aris

„Willst du, dass ich aus deinem Leben verschwinde?"

Ich weiß nicht, welcher Teufel mich geritten hat, als ich ihm diese Frage gestellt habe.

„Nein"

Mit dieser Antwort habe ich bereits gerechnet. Moment ... NEIN? Ehe ich das Wort, das er als seine Antwort gewählt hat, greifen konnte war er auch schon weg. Er will nicht, dass ich aus seinem Leben verschwinde - aber welche Schlüsse ziehe ich daraus jetzt? Welche Absichten sollte ich verfolgen? Vielleicht meinte er ja einfach nur, dass ich mich nicht unbedingt fern halten muss, immerhin werden wir uns am Campus zwangsläufig über den Weg laufen.

Wobei seit dieser Unterhaltung mittlerweile drei Wochen vergangen sind. Drei Wochen in denen ich ihn kein einziges Mal zu Gesicht bekommen habe. Ich habe nicht nach ihm gesucht, das gebe ich zu. Ich wollte keine Grenzen überschreitend weiß immer noch nicht, was er genau mit seiner Antwort gemeint hat. Aber wir sind uns nicht mal im Flur oder in der Bibliothek über den Weg gelaufen - es scheint fast, als wäre Milam vom Erdboden verschluckt.

Kontaktieren konnte ich ihn ebenfalls nicht. Zwar habe ich seine Nummer noch eingespeichert, aber ich traue mich nicht sie zu benutzen. Reicht schon, dass ich neulich Nacht, nachdem wir uns in der Bar begegnet sind in meinem angetrunkenen Zustand angerufen habe. Ein Glück hat er den Anruf nicht entgegen genommen. Wer weiß, wie der Abend sonst geendet wäre.

„Aris, Schatz wo bist du heute wieder mit deinen Gedanken?" holt mich meine Mutter aus Gedanken. Stimmt, ich sitze gerade in meinem Elternhaus beim Abendessen mit meinen Eltern und meiner Fake-Freundin.
„Entschuldigt, viel los gerade bei mir." lüge ich. Lydia schenkt mir ein besorgtes Lächeln. Sie merkt immer mehr, dass etwas nicht stimmt. Da wir uns aber nicht in das Leben des jeweils anderen einmischen fragt sie nicht nach. Ich spüre allerdings, dass es ihr auf der Zunge brennt, mich zu fragen was mit mir los ist.

„Apropos. Ich wollte nochmal über diese Dozenten-Sache sprechen" hakt sich mein Vater ins Gespräch ein. „... ich finde, du solltest wieder mehr in der Firma arbeiten. Ich brauche meinen Assistenten. Außerdem ist jetzt nicht die Zeit, um deinem Hobby nachzugehen. Ich will dich zu einem würdigen Nachfolger erziehen, das kann ich nicht wenn du die ganze Zeit an der Universität herumhängst." ich verdrehe genervt die Augen, weil meine Eltern immer noch nicht würdigen, dass das eine normale Arbeit ist die mir wirklich Freude bereitet.

„Ich hänge dort nicht herum. Ich unterrichte und forsche und ich hab ehrlich gesagt nicht vor, das aktuell zu ändern" versuche ich mich durchzusetzen.
„Mein Sohn, auf ein Wort." befiehlt mein alter Herr und steht auf. Ich seufze hörbar und erhebe mich ebenfalls vom Stuhl um ihm in sein Arbeitszimmer zu folgen. Ich weiß, was jetzt kommen wird.

Sein Arbeitszimmer ist groß, mit dunklen Holzmöbeln ausgestattet und in der Mitte steht ein großer, massiver Schreibtisch mit einem Drehstuhl. Er setzt sich auf seinen Platz und ich nehme aus Gewohnheit auf dem Sessel auf der anderen Seite des Tischs Platz. Allein durch diese Sitzordnung wird die Autorität deutlich, die mein Vater mir gegenüber jetzt ausspielen wird. Ich warte also geduldig auf mein Urteil.

„Ich weiß, dass wir dir in letzter Zeit haben viel durchgehen lassen. Aber so wird es nicht weiter gehen. Lydia hat noch immer keinen Ring am Finger und anstatt dich mit der Firma weiter vertraut zu machen gammelst du irgendwo mit Studenten rum. So habe ich dich nicht erzogen" tadelt er und es macht mich wütend. Ich balle meine Hände zu Fäusten, sodass meine Knöchel weiß hervortreten. „Du hast mich nicht erzogen, Vater. Das war das Kindermädchen. Du weißt doch gar nicht, was ich gerne mach oder was ich mir wünsche." Ich bin über meinen eigenen Mut erstaunt, normal halte ich mich sehr zurück. Heute ist es aber Zeit, das auszudiskutieren.

„Hör mal Aris. Ich sage es jetzt noch einmal: Du bist Mitte 30, also verhalte dich auch so. Unsere Familie ist bekannt und ich bin froh, dass deine sexuellen Verwirrungen nicht die Runde gemacht haben. Also mach uns jetzt bitte keine Schande. Lydia ist reizend und ich erwarte, dass du ihr in den nächsten drei Monaten einen Antrag machst. Nach eurer Hochzeit kommendes Jahr werden wir dich offiziell als meinen Nachfolger präsentieren und du wirst der Universität den Rücken kehren".

Mir fällt die Kinnlade runter - ist das sein Ernst? Bin ich etwa sein Sklave?
„Vater ich glaube, ich hab da mitzureden. Ich -..." Er richtet sich auf, stützt sich auf dem Tisch auf und lehnt sich zu mir rüber. Seine bedrohliche Aura hüllt mich komplett ein und ich bin unfähig irgendwas zu sagen. „Das steht nicht zur Diskussion. Du wirst das tun. Du weißt, dass du nichts bist. Ohne uns wärst du ein Versager. Zeig dich dankbar deinen Eltern gegenüber und halte dich an den Plan." Seine Stimme wird laut, bösartig. „Wir sind hier fertig" beendet er das Gespräch, geht um den Tisch herum und will den Raum verlassen.

Ich erhebe mich ebenfalls von meinem Stuhl, sodass er direkt an mir vorbei muss. „Ich werde an der Uni bleiben. Und ich bin mir nicht sicher, ob die Firma das richtige für mich ist. Vielleicht solltet ihr euch um einen anderen Nachfolger -..." BÄHM. Erst spüre ich ein Brennen auf meiner Wange, dann pochenden Schmerz. Dann realisiere ich, dass mein Vater mich gerade geohrfeigt hat. Ich sehe ihn geschockt an. Wie kann er nur?

„Wie gesagt, wir sind hier fertig." sagt er kalt und verlässt den Raum. Ich bleibe zurück, unfähig mich zu bewegen oder zu gehen. Ich muss hier weg. Aber wo hin? Tommy und Ellen sind im Urlaub, aber wenn ich ehrlich bin will ich die beiden damit gerade nicht belasten. Ich nehme mein Smartphone raus, öffne den Chat und verfasse eine Nachricht:

Aris: Können wir uns sehen?

Er kommt direkt online und liest meine Nachricht. Gespannt starre ich auf mein Smartphone, wie unter dem Namen steht, dass er gerade tippt. Mein Herz rast und bleibt kurz später gefühlt stehen, als ich die Antwort lese.

Milam: Passt gerade nicht.

Okay, das war eine dumme Idee. Wie kann ich auch nur ansatzweise auf die Idee kommen, dass Milam ausgerechnet mich sehen wollen würde? Nachdem es so kompliziert ist und wir uns seit einem Monat nicht gesehen haben, ohne, dass das zwischen uns irgendwie geklärt wäre. Ich war naiv. Also stecke ich mein Handy wieder weg und gehe zurück ins Esszimmer. Da mir der Appetit aber vergangen ist teile ich den Anwesenden mit, dass wir uns für heute verabschieden und verlasse mit Lydia zusammen das Anwesen.

Als wir über die Grundstücksgrenze fahren spüre ich, wie ich das erste Mal heute Abend durchatmen kann.

Ich weiß nicht, seit wann das Verhältnis zu meinen Eltern so kaputt ist - oder war es vielleicht schon immer so? Von Liebe und Zuneigung ist nichts zu spüren. Es geht immer nur um Verpflichtungen, Ansehen und Funktionieren. Fehltritte sind nicht gestattet und schon gar nicht Gefühle. Ich lasse mich auf mein Sofa fallen und seufze. Ich wäre gerade gerne bei dem Blondschopf. Heute vermisse ich ihn besonders. Er hat mir das Gefühl gegeben, es würde einen Ausweg geben. Jetzt gerade spüre ich nur noch Verzweiflung, weil ich fürchte, dass ich den Rest meiner Freiheit auch noch verlieren könnte, wenn ich nicht bald etwas unternehme.

Crossing Paths - ManxManWo Geschichten leben. Entdecke jetzt