Kapitel 70

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POV Aris

„Bist du okay?" Sind die ersten Worte, die Milam sagt. Wir standen sicher 10 Minuten einfach da und haben uns in den Armen gehalten, ohne einen Ton von uns zu geben.
„Bist du's denn?" stelle ich die Gegenfrage. Ich muss erst wissen, ob es ihm gut geht bevor ich mit ihm spreche.
„Ich bin okay. Wir sind beide hier, mehr brauche ich nicht um okay zu sein" sagt er. Er sagt es so leise, dass ich mich schwer tue, alles zu verstehen.
Ich bitte ihn zunächst rein, damit wir nicht weiter an der Wohnungstür stehen müssen. Wir gehen ins Wohnzimmer und setzen uns. Nein, eigentlich ist es so, dass ich mich auf der langen Seite des Sofas hinten an der Lehne anlege, sodass ich halb liege. Milam schmiegt sich an mich, legt mir seinen Arm um den Bauch.

In dieser Position geht es mir schon deutlich besser. Ich fahre ihm gedankenverloren durch sein Haar und blicke aus dem Fenster in den dunklen Stadthimmel.

„Magst du mir erzählen, was passiert ist als ich gegangen bin?" Ich hole tief Luft, wappne mich selbst, bevor ich beginne zu erzählen. Ich berichte Milam kleinteilig von dem, was meine Eltern alles gesagt haben. Ich erzähle ihm zum ersten Mal von den Hochzeitsplänen meiner Eltern und davon, dass ich das niemals tun würde. Außerdem würde auch Lydia das nicht mitmachen. Milam kennt bereits viele Details aber ich hole dennoch aus, erzähle ihm alles, was in der Vergangenheit passiert ist.

Mein Leben, das immer daraus bestand, meinen Eltern gerecht zu werden.
Meine Wünsche, die ich für die beiden stets zurückgestellt habe.
Der Druck und die Abweisung, die ich erfahren habe, als ich mich vor meinen Eltern geoutet habe.
Der noch größere Druck, mich selbst zu verleugnen im Willen der Firma und unserer Familie und die darauf folgenden Jahre, in denen ich mir selbst Prinzipien auferlegt habe.

Sogar eine Fake-Beziehung bin ich eingegangen.
Ich habe den ersten Mann, der mich hat fühlen lassen, weggestoßen.
Und jetzt soll ich das wieder tun, eine Frau heiraten, die ich nicht liebe und danach noch das Familienunternehmen weiterführen. Es ist zu viel. Es ist viel zu viel, was sie mir abverlangen. Jetzt wo ich darüber rede spüre ich erst, wie groß diese Last ist.

Milam ist still, er sagt kein einziges Wort, als ich gefühlte Ewigkeiten rede. Er streicht nur mit seiner Hand sanft meinen Oberkörper entlang und hält sich an mir fest. Er beruhigt mich. Er sorgt dafür, dass meine Sorgen sich ein bisschen weniger schlimm anfühlen. Es ist erträglicher nur, weil er in meiner Nähe ist. Wieder kommt mir der Gedanke, den ich schon einmal hatte, dass Milam mir das Gefühl gibt, eine Chance zu haben. Die Chance ein Leben zu führen, wie es mich glücklich macht.

Ich spüre, wie meine Augen feucht werden, Tränen laufen über meine Wangen, als ich all das ausspreche was mir passiert ist und was es mit mir anstellt, alles ertragen zu müssen. Milam hält mich weiter, schmiegt sich noch enger an mich. Ich ziehe ihn noch weiter zu mir, vergrabe mein Gesicht in seinem Haar. Noch nie habe ich mich einem anderen Menschen so verletzlich gezeigt - nicht einmal Tommy kennt diese Seite an mir.
Aber mute ich ihm nicht zu viel zu?

„Milam, wegen uns -..." Beginne ich, werde aber direkt von dem Blonden unterbrochen. „Aris, ich bin hier" er stützt sich auf und sieht mich jetzt direkt an. Seine Augen sind gerötet. „Ich bin hier und ich werde jetzt nicht gehen. Egal wie groß den Päckchen ist, das tu trägst. Ich werde erst gehen, wenn du mich darum bittest" sagt er entschlossen. Er mustert mich eindringlich.

„Milam ich weiß das zu schätzen. Aber du kannst mir nicht erzählen, dass das alles für dich okay ist. Meine Eltern wollen dich unter Druck setzen. Ich kann nicht offiziell mit dir zusammensein. Verstehst du nicht, wie ausweglos die Situation ist?" Ich bin verzweifelt.
„Hör auf damit!" er erhebt seine Stimme gegen mich. Er spricht jetzt deutlich lauter, bestimmender. „Du suchst Ausflüchte Aris. Ich weiß, dass du mich willst und ich will dich. Stoß mich nicht weg nur weil du denkst wir hätten keine Chance. Wir wissen es einfach noch nicht. Es gibt immer einen Weg also hör auf. Ich bin hier, du musst dich nicht fürchten"

Eine einzelne Träne bahnt sich ihren Weg über seine Wange und ich fange sie sogleich auf. Ich nehme sein Gesicht in meine Hände und küsse ihn. Kurz und unschuldig, aber mit all den Gefühlen bepackt, die ich für ihn empfinde. Ich ziehe ihn auf meinen Schoß, sodass er jetzt auch mir liegt. Er legt seinen Kopf auf meiner Brust ab.

„Es tut mir leid Milam. Ich will ja auch nicht, dass du gehst. Ich hab nur wirklich Angst. Manchmal hab ich das Gefühl du bist der Ältere von uns beiden." gebe ich zu. „Naja, wer über Jahre mit so lächerlichen Prinzipien lebt und jedes Wochenende einen anderen Kerl abschleppt, der hat auch kein besonders hohes geistiges Alter." murmelt er. Autsch. Ich muss lächeln. Ich bin glücklich.

„Was soll ich jetzt tun?" frage ich ihn, weil ich seine Meinung hören will.
„Mhhhm, ... wenn ich jetzt du wäre würde ich mit meinem besten Freund reden. Ich rede immer mit Alex über solche Sachen, weil er mich am besten kennt. Also sprich mit Tommy. Vielleicht auch mit Lydia, sie hat viel Zeit mit dir verbracht." schlägt er vor. Ich umarme ihn fester. Alles, was aus seinem Mund kommt gibt mir Kraft. Ich spüre auch heute wieder eine Hoffnung in mir aufkeimen, dass es am Ende eine Lösung gibt.

„Danke Milam. Danke, dass ich dich habe" flüstere ich während ich seinen Rücken auf und ab fahre. Plötzlich spüre ich die Erschöpfung in meinem ganzen Körper. Meine Augen werden schwer und irgendwann drifte ich weg. Als ich etwas später aufwache liegt Milam neben mir. Über uns hat er eine Decke gelegt und schläft jetzt selbst tief und fest. Ich drücke meine Lippen kurz auf seinen Scheitel und schließe anschließend wieder meine Augen.

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Nächste Woche kommen die letzten 6 Kapitel bevor wir dann am Ende der Geschichte ankommen 🫶🏼

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