Kapitel 55

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POV Aris

Ich sitze in meiner kleinen Bibliothek auf dem Sessel, vor mir steht eine Flasche Scotch und ein noch gefülltes Glas.

Seit ich Lydia nachhause gefahren habe sitze ich hier, bin mittlerweile schon bei meinem dritten Glas und versinke von Schluck zu Schluck mehr in mein Gedankenkarussell. Milams Stimme zu hören war schön und schmerzhaft zugleich. Er erzählt mir von seinem Date, als wären wir nichts als alte Freunde, als hätten wir keine gemeinsame Vergangenheit oder als wäre jemals etwas zwischen uns gewesen. Er geht definitiv erwachsener mit der Sache um als ich.

„Nate ist nicht du. Und das ist scheiße." wiederhole ich seine letzten Worte und murmle sie immer wieder vor mich hin.
Was hat er damit nur gemeint? Es ist doch gut, dass dieser Nate nicht ist, wie ich. Ich habe ihn verletzt. Habe ihm wehgetan und verlassen. Dieser Nate scheint ihn zu lieben und ihm all das zu geben, zu was ich nicht in der Lage bin. Wollte er mich einfach nur verletzen mit seinen Worten? Das hat er auf jeden Fall geschafft.

Ich nippe nochmal an meinem  Glas und fahre zusammen, als ich die Türklingel höre. Wir haben 02 Uhr morgens, war Tommy alleine unterwegs und wollte hier auf einen Absacken noch vorbeikommen? Das wäre zwar nicht das erste Mal, dass er kurzentschlossen nochmal loszieht, normal schreibt er mir aber vorher. Da ich nach meiner Ankunft geduscht habe trage ich noch meinen Bademantel, darunter aber zumindest meine Unterwäsche. Ich hab immerhin nicht mehr mit Besuch gerechnet.

Ich durchquere meinen Flur und gehe auf die Tür zu. Dort angekommen werfe ich einen Blick durch den Türspion.

Milam??? Was zum Teufel.

Ich reiße die Tür förmlich auf und blicke in die geröteten Augen des Kleineren. „Hi" murmelt er. „Du wolltest mich sehen" fügt er seiner Begrüßung hinzu. Mir fällt zum wiederholten Mal heute meine Kinnlade runter. Was geht hier nur vor? Bin ich betrunken oder vielleicht eigentlich schon eingeschlafen und in einem wirklich schönen Traum gefangen? Ich lasse ihn rein, sehe ihm zu wie er seine Schuhe und Jacke loswird und gehe voraus in die Küche, um ihm etwas zu trinken anzubieten.

Als wäre es selbstverständlich stößt sich Milam vom Boden ab und rutscht auf die Arbeitsplatte, wo er zum sitzen kommt und mir zusieht, wie ich ein Glas Wasser vorbereite. Ich gehe zu ihm und reiche ihm das Glas, lehne mich auf der gegenüberliegenden Seite er Küche am Herd an. „Warum hast du geweint?" frage ich direkt. Es tut weh, ihn so zu sehen und ich befürchte, dass ich schuld dran bin.

„passt schon" druckst er rum. „Milam es tut mir leid, dass ich dir geschrieben habe und angerufen habe. Ich hätte dich nicht so bedrängen sollen." „Nicht du bist das Problem, sondern ich" antwortet er. Ich verstehe gar nichts mehr. Ich fühle mich als wäre ich im falschen Film und alle außer mir sprechen eine andere Sprache. „Dann sag mir was passiert ist. Warum kommst du mitten in der Nacht her und hast zuvor offensichtlich geweint?" frage ich erneut, diesmal mit etwas mehr Nachdruck.

Er spielt mit den Bändeln seiner Kapuze und sieht zu Boden, er wirkt nervös. Ich bilde mir ein, etwas Alkohol zu riechen. „Bist du betrunken?" fahre ich fort. „Nein, also ich war vorhin betrunken aber ich hab seit ein paar Stunden nichts mehr getrunken, also bin ich nicht betrunken" verteidigt er sich. Er nuschelt vor sich hin, was es schwer macht ihn zu verstehen. Ich verstehe nicht, was hier vor sich geht. Ich verschränke meine Arme vor der Brust und mustere ihn.

Ich hätte nie damit gerechnet, ihn nochmal hier zu haben.

Er atmet tief durch, als würde er damit all seinen Mut einsaugen und beginnt, dann endlich mit mir zu reden: „Ich bin hier weil du mich sehen wolltest. Nein, ich wollte kommen. Ach fuck, ich weiß es nicht warum ich hier bin Aris. Ich hatte heute ein wirklich schönes Date, Nate liebt mich. Aber am Ende des Tages bin ich zu dir gekommen. Was bin ich für ein unglaublicher Vollidiot?" seine Stimme wird lauter, verzweifelter. Vereinzelt treten Tränen aus seinen Augen, weshalb ich mich vom Herd abdrücke und zu ihm rüber gehe, aber darauf achte, nicht zu nah zu kommen.

„Nate hat es nicht verdient, so behandelt zu werden. Es ist so unfair, dass ich nicht einfach mit ihm glücklich sein kann. Nate ist nicht du und ich hasse mich dafür." Sowas hat er vorhin schon einmal gesagt, aber ich verstehe noch immer nicht, worauf er hinauswill. Er wirkt plötzlich fast hysterisch, weshalb ich doch die letzte Distanz zwischen uns überwinde bis ich zwischen seinen Knien zum stehen komme und ihn umarme. Ich lege meine Arme um seinen Körper und drücke ihn an mich. Er schluchzt laut auf und lässt sich gegen mich sinken.

Ich streichle ihm sanft über den Rücken, kann aber nicht verdrängen, wie warm mir gerade wird. Ich bin fast nackt, Milam drückt sich gegen mich. Der Typ, den ich schon so lange will ist hier in meiner Wohnung. Ich habe allerdings nicht das Gefühl, dass alles gut ist. Ich warte auf das böse Erwachen und darauf, dass er endlich zu sinnen kommt und zu Recht wieder zu seinem Freund geht.

Als er sich beruhigt hat löse ich mich von ihm, lege meine Hände links und rechts von seinen Knien auf die Arbeitsfläche und stütze mich auf. Seine Hand ist in meinen Bademantel gekrallt und sein Blick ist noch immer starr nach unten gerichtet. Vereinzelt höre ich noch ein schluchzen, sein Atem ist allerdings schon um einiges ruhiger, was mich beruhigt. Ich warte ab, bis er bereit ist, weiterzureden.

„Tut mir leid, dass ich mitten in der Nacht aufgekreuzt bin, ich sollte nicht hier sein" sagt er und endlich treffen meine Augen auf seine. Er sieht mich mit seinen so gewohnt unschuldigen Augen, die aufgrund seiner Tränen glasig und gerötet sind an und mein Herz setzt einen Schlag aus. Ich sage nichts.
„Sag bitte was." flüstert er, während sein Gesicht meinem näher kommt. Was wird das, wenn's fertig ist?

„Was hast du gemeint, dass Nate nicht ich ist und du das scheiße findest? Ich versteh das nicht." hauche ich und beobachte seine Reaktion. Etwas in seinem Blick verändert sich. Ich sehe Schuld, vielleicht auch Scham. Verdammt, das war die falsche Frage. Warum bin ich so unsensibel?

Aber ich brauche Antworten. Ich brauche Klarheit, weil ich merke, wie er mir immer mehr zusetzt. Das zwischen uns macht mich wahnsinnig. Im einen Moment wünsche ich mir, ich wäre ihm nie begegnet und im nächsten stelle ich mir vor wie er mir gehört. Ich male mir eine Zukunft aus, in der ich zu mir stehen kann und glücklich bin. Und in jeder Version davon ist der Blondschopf. Aber ich darf nicht egoistisch sein.

Ich darf ihn nicht mehr verletzen.

Crossing Paths - ManxManWo Geschichten leben. Entdecke jetzt