Kapiel 7

2.6K 139 11
                                    

Ich hatte über Nacht Fieber bekommen und durfte deshalb nicht zur Schule gehen, es ärgerte mich zu Tode. Das würde ein gehöriges Fressen für meinen Gesellschaftskundelehrer geben, aber ich hatte Prim wenigstens meinen Aufsatz mitgegeben.
Am nächsten Tag wurde es nicht besser, ich bekam sogar noch Husten dazu. Alle schienen ziemlich verzweifelt. Am Mittwoch kamen Katniss Hochzeitskleider an. Ich hatte mich auf der Couch platziert und sah Katniss bewundernd zu, wie sie von Brautkleid zu Brautkleid verwandelte. Doch eins merkte ich, Cinna war nicht gekommen, um sein Werk zu präsentieren. Nur Katniss Vorbereitungsteam war da und diese nervten eher, als das sie halfen. So empfand ich es jedenfalls. Nach dem fünften Brautkleid stieß Prim dazu. Ich machte ihr Platz neben mir und wir bestaunten gemeinsam. Ich hatte das Gefühl, dass ich mir in dieser Zeit die Seele aus dem Leib hustete. Doch es belustigte mich zu sehen, wie angeekelt die Kapitolbewohner von mir zu sein schienen und einen riesigen Bogen um mich machten. Was nicht ganz so leicht war, denn das Sofa stand mitten im Raum. Nach dem letzten Kleid sah Katniss ziemlich erleichtert aus.
Ich hatte sie in jedem wunderschön gefunden. Sie sah aus wie ein Engel, wie eine Göttin, einfach etwas über allem erhabenem. Doch man durfte nicht vergessen was alles hinter dieser Hochzeit steckte, warum es sie überhaupt gab. Sie war nur da, um die Rebellen zu... ja was eigentliche? Das hatte ich noch nicht herausgefunden.
Prim brachte mir in dieser Woche haufenweise Aufgaben, doch ich - ganz die gute Schülerin - erledigte sie alle gewissenhaft. Bevor ich im Sommer ins Kapitol kam, musste ich unbedingt alles darüber wissen. Einfach alles. Und eins hoffte ich, dass ich mit meinem Aufsatz den Geschmack vom Präsident Snow getroffen hatte. Es war keine Lobeshymne geworden, nein. Aber der Aufsatz war auch alles andere als kritisch. Eigentlich war er sachlich. Über seinen Wohnsitz, seine Familie, einfach ein paar simple Sachen, die nicht alle wussten. Zwar hatte ich dafür das schwärmenste Buch über ihn lesen müssen, das es gab, aber was tat man nicht alles. Ich war mir jedenfalls sicher, dass er den Aufsatz lesen würde. Ganz sicher. Und dann würde er sehen, dass ich keine Rebellion im Sinn hatte. Ich hasste Snow zwar, aber ich hatte einfach solche Angst um meine Familie und mich, dass ich alles dafür tat, sie zu schützen.
An den Abenden kam immer Gale vorbei. Ich hatte ihm immer gesagt, dass er nicht kommen müsste. Mum sah oft nach mir, da Katniss Haymitch überredet hatte, sie als Haushaltshilfe einzustellen. Darüber war ich sehr froh, denn es brachte uns endlich wieder etwas Geld ein. Zu meiner Überraschung besuchte mich aber auch Peeta neben meiner Familie. Vielleicht tat er das auch nur aus Langeweile, aber vielleicht sorgte er sich ich um mich. Er zeigte mir neue Zeichenmethoden, mit denen ich besser Schattieren und wie man Sachen echt darstellen konnte. Ich liebte es, wie er zeichnete. Das war ganz anders, als wenn ich Skizzen von meinen Kleidern machte. Doch seine Motive verängstigten mich ein wenig. Er zeichnete die Arena.
"Wer ist das?", fragte ich. Um dem Bild abgebildet war ein dichtes Blätterdach nur ein roter Schatten hockte zwischen den Ästen und ihre feuerroten Haare leuchteten durch sie hindurch.
"Das war das Mädchen aus Distrikt fünf. Wir nannten sie immer Fuchsgesicht und ich habe sie umgebracht... Du erinnerst mich an sie", murmelt sie er ein wenig unsicher. Jetzt erinnerte ich mich an sie. Sie war fünfzehn gewesen und so verdammt schlau. Schlau wie ein Fuchs. Sie hatte aber nicht viel Sendezeit bekommen und außerdem hatte ich nur darauf gewartet, bis Katniss in den Aufnahmen auftauchte, dass ich sie leicht vergessen hatte. Eigentlich hatte Peeta sie gar nicht getötet. Sie hat nur die Nachtriegel gegessen, die Peeta versehentlich gesammelt hatte. Jetzt frage ich mich, wie ich sie hatte vergessen können, sie war mir wirklich ähnlich. Nicht nur vom Aussehen her. Doch einen Unterschied gab es zwischen uns, ich hätte nie die ersten Tage überlebt. Wahrscheinlich wäre ich sogar schon am ersten Tag getötet worden.
Jetzt war es Donnerstag. Prim kam aufgeregt aus der Schule. "Was ist los?", fragte ich sie verwirrt.
"Pflichtprogramm für alle heute Abend", meinte sie aufgeregt. Pflichtfernsehn? Aber warum. Vielleicht Katniss Kleider. Aber ging das wirklich so schnell? Bestimmt.
Am Abend versammelten wir uns vor dem Fernseher. Mein Fieber war abgeklungen, auch der Husten, aber es kratzte noch immer im meinem Hals. Von meinem Rücken wollen wir gar nicht reden.
Erwartungsvoll starre ich auf den schwarzen Bildschirm, schon in wenigen Sekunden würde er Ceaser Flickermann zeigen, da war ich mir sicher. Er würde Katniss Kleider vorstellen und noch ein wenig darüber erzählen. Es war nichts besonderes und doch hatte ich ein ungutes Gefühl in der Magengrube. Und so geschah es dann auch. Um Punkt 19:30 Uhr schaltete sich der Fernseher ein und Ceaser erschien. Die Hochzeitskleider wurden fortgeführt. Die Kapitolbewohner jubelten und kreischten, als ihre Lieblinge gezeigt wurden. Ich starrte einfach nur verständnislos die Massen vor dem Trainingsgebäude an. Sie hatten keine Ahnung, was gerade in den Distrikten passierte und feierten ihr perfektes Leben im Kapitol.
Manchmal fragte ich mich, ob wirklich alle Menschen im Kapitol reich waren und viel Geld hatten, doch selbst die ärmsten im Kapitol könnte man sicher nicht mit Familien aus dem Saum vergleichen. Am Ende wies Ceaser noch daraufhin, dass die Stimmen für das Hochzeitskleid bis morgen um zehn Uhr abgegeben werden konnten. Ich stand auf und wollte den Fernseher auszuschalten, doch dann teilt er uns das mit, dass wir nicht ausschalten sollten, um das nächste große Ereignis an diesem Abend nicht zu verpassen. Ein Wort stach ganz besonders aus seinem Gerede heraus: "Jubeljubiläum".
"Aber es sind doch noch Monate bis dahin", murmelte Prim erschrocken.
"Es ist bestimmt nur die Verlesung der Karten", meinte ihre Mutter. Nur war gut. Alle fünfundzwanzig Jahre waren die Hungerspiele viel schlimmer, als normale. Denn es gab ein bestimmtes Motto.
Im Fernsehen erschien Präsident Snow, hinter ihm ein kleiner Junge im weißen Anzug der die Kiste mit den geplanten Karten für die Jubeljubiläum. Ich merkte wie ich ganz fahl wurde und mir ganz übel wurde bei seinem Anblick. Ich roch wieder diesen Geruch aus Rosen und Blut und die Schmerzen in meinem Rücken verzehnfachten sich. Ich bekam tierische Angst und mein Herzschlag beschleunigte sich. Ich hatte solche Angst vor ihm. Ich verpasste, wie er von dem ersten Jubeljubiläum redete. Doch ich wusste, dass damals abgestimmt wurde wer in die Arena musste. Einfach schrecklich. Ich wusste nicht für wen ich gestimmt hätte, ich hätte es nichtmal den Kindern aus dem Handelsviertel gewünscht, die mich immer schikanierten. Aber auf sie wäre es wahrscheinlich hinausgelaufen. Und ich hätte mich schrecklich gefühlt.
"Beim fünfzigsten Jubiläum musste jeder Distrikt, als Erinnerung daran, dass für jeden Bewohner des Kapitols zwei Rebellen starben, doppelt so viele Tribute entsenden", beschrieb der Präsident weiter.
Ich wusste, dass das Jubiläum von Haymitch gewonnen worden war. Ich will gar nicht wissen, wie es gewesen sein musste.
Miss Everdeen erzählte gedankenverloren von ihrer Freundin Maysilee Donner, die in diesem Jahr gehen musste. Manchmal vergesse ich, dass auch unsere Eltern durch das Drama der Hungerspiele mussten. Vielleicht war Maysilee für sie sogar genau so, wie Prim für mich war, schon fest mit ihrer Seele verwachsen. Ich konnte mir gar nicht vorstellen wie es für sie gewesen sein musste. Ich sehe Prim an, dass sie nichts von dieser Freundin wusste und gerade erst von ihr erfahren hatte, genau wie Katniss. Ob sie gerade auch an mich denken musste?
Reflexartig ergriff ich ihre Hand und drückte sie. Es war nicht nur der Gedanke, sie zu verlieren, gleich wurde auch die diesjährige Karte verlesen.
"Und jetzt begehen wir in allen Ehren das dritte Jubeljubiläum", ich halte die Luft an und kralle meine Finger in Prims Hand. Der Junge tritt vor. Langsam hebt er vorsichtig und ehrfürchtig den Deckel hoch. Ich frage mich, wie er wohl zu diesem Job gekommen ist, jedoch mache ich mir schon schnell keine Gedanken mehr darüber, denn der Präsident sucht nun die 75 zwischen all den vielen Umschlägen, die den Eindruck machten, als würden die Hungerspiele für immer andauern. Gemächlich zieht er den Umschlag mit der verschnörkelten in Gold eingravierten "75" heraus. Er öffnet langsam die Lasche und zieht den Zettel heraus. Auf dem unser Urteil gedruckt steht.
Ich wage es immer noch nicht zu atmen.
Nun liest er laut und deutlich:" Am fünfundsiebzigsten Jahrestag werden als Erinnerung für die Rebellen daran, dass nicht einmal die Stärksten unter ihnen die Macht des Kapitols überwinden können, die männlichen und weiblichen Tribute aus dem bestehenden Kreis der Sieger und ein weiterer Tribut aus dem Kreis ihrer Familien ausgelost."
Ich hole keuchend Luft, nicht nur, dass der Luftvorrat meiner Lungen aufgebraucht war, ich konnte es einfach nicht fassen. Ich fing an am ganzen Leib zu zittern. Ich starrte den Fernseher an und wiegte mich vor und zurück. Katniss musste wieder in die Arena und außerdem, Rory, Prim oder ich oder einer von Peetas Brüdern. Ich fühlte mich so schlecht, weil ich hoffte, dass sie es wurden. Ich wollte meine Familie nicht verlieren. Nicht meinen kleinen Bruder, nicht Prim. Prim... Sie war viel zu gut für die Arena... Viel zu gut.
Jetzt wusste ich was ich tun würde, ich würde mich für sie beide freiwillig melden. Ich hatte mein Leben lang trainiert. Ich konnte das schaffen. Ich konnte Prim ihre Schwester wieder geben. Auch wenn es meinen Tod bedeutete.

Die Tribute von Panem - Unerwartete RettungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt