Kapitel 31

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Vor einer Stunde waren die verzweifelten Rufe nach mir verklungen. Vor zwei Stunden hatte mir Eric von seinem irrwitzigen Plan erzählt oder eigentlich nur, was ich zu tun hatte. Seit zwei ein halb Stunden fühlte ich mich, als wäre ich ein gefangenes, dummes Tier.

Dass Eric gesagt hatte, dass um mich herum von null bis hundert Fallen versteckt sein könnten, macht es auch nicht besser. Es führte jedenfalls zu seinem erwünschten Effekt und ich rührte mich nicht vom Fleck und knüpfte seit Ewigkeiten ein langes, festes Seil. Ich wusste selbst kaum, warum ich es nicht wagte abzuhauen, Eric war weg... Vermutlich gab es keine Fallen... Ich könnte einfach davon spazieren. Vielleicht war es einfach der Punkt, dieses kleine Fünkchen Hoffnung, dass ich doch irgendwie überlebte oder es war einfach, weil ich in nichts mehr einen Sinn sah.

Ich hörte, wie Eric wiederkam. Er hatte mir gezeigt, woran ich es erkannte, damit ich ihn nicht kurzerhand umbracht. Ja, er hatte mir meine Waffen zurückgegeben. Er wollte ja nicht, dass mir etwas passierte. Immer zu Scherzen aufgelegt unser Eric. Lustig, lustig. Sein Schatte tauchte am Eingang auf.

"Wie weit bist du?", fragte er mich und warf mir ein paar Beeren zu, "Ich dachte mir, vielleicht hast du Hunger."

Hunger... Oh ja, Hunger hatte ich. "Ich denke, es ist bald lang genug. Irgendwas Neues?", fragte ich ihn und ließ eine Beere zwischen meinen Zähnen zerplatzen.

"Nichts, Team Katniss arbeitet noch immer an ihrem Plan und die anderen verstecken sich irgendwo im Dschungel. Sicherlich sind sie davon überzeugt, dass du tot bist." Das sollte ich ja auch sein, tot... aber vielleicht klappte es ja auch, dass ich überlebte und nicht umkam, wer weiß. Sechzig Prozent hatte Eric gesagt, sechzig Prozent, wenn alles glatt ging. Bei diesem hirnrissigen Plan war das zwar unrealistisch, aber... ich hatte mehr Chancen als vorher. Mehr Chancen, als...

Natürlich wusste ich, welches Ziel ich mir gesetzt hatte und ja, ich wollte Katniss noch immer retten. Ich überlegte auch schon die ganze Zeit, wie. Wenn es stimmte, was Eric sagte, würde sie vielleicht rauskommen. Aber vielleicht, war mir nicht genug, ich brauchte Gewissheit. Gewissheit, dass sie lebte. Aber es würde schwierig werden, diese zu bekommen. Jedenfalls... so lange ich mich bei Eric aufhielt.

Eric saß derweil am Höhleneingang und blickte durch die Projektion nach draußen.

"Okay", murmelte ich und aß weitere Beeren.

Wir hatten nur eine Chance. Ich hatte nur eine Chance und hatte nicht wirklich eine Ahnung, worauf ich mich da eigentlich einließ. ‚Wenn es soweit ist, weißt du genau, was zu tun ist', hatte er gesagt. Das hoffte ich für ihn. Das hoffte ich für mich.

Mittag... Seil fertig, bloß nicht den Verstand verlieren.

Dämmerung... Sachen zusammenpacken und tarnen.

Keine Toten heute. Das würde sich bald ändern.

Dunkelheit...

Höchste Zeit aufzubrechen.

„Bereit?", fragte Eric mich. Ich nickte stur. Das Seil lag schwer über meinen Schultern, meine Messer schlugen leise an meinem Gürtel aneinander und meine Haut war von Schlamm und Blättern als Tarnung besetzt, damit man mich unter keinen Umständen sah.

„Vergiss nicht, du darfst ihnen unter keinen Umständen auffallen. Egal was passiert!", sagte er eindringlich und sah mich fest an.

Ich nickte wieder stur. Ich fühlte mich so, als würde ich sie verraten, als würde ich sie hintergehen... Aber das tat ich nicht, ich... Wenn alles geschah, wie ich es wollte, würde ich sie mit rausholen.

Ich fühlte mich unvorbereiteter denn je. ‚Du wirst wissen, was zu tun ist', das ich nicht lache. Woher sollte ich das Wissen, wenn ich nur wusste, was ich brauchte und wo ich sein musste? Ich würde völlig aufgeschmissen sein.

Die Tribute von Panem - Unerwartete RettungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt