Kapitel 23

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Erst, als man mich in meinem Zimmer einschloss, wusste ich wieder, wo ich war. Ich wusste wo ich war... Und ich wusste, wo ich hin wollte. Ich wollte nicht hier alleine sein... Die letzte Nacht, die ich hatte, in halber Freiheit, wollte ich mit jemandem verbringen, den ich nie wieder so sehen durfte, wie ich ihn jetzt sah.

Wieso hatte man mich eingeschlossen? Hatte man die anderen auch eingeschlossen?

Nein... Vor der Tür hörte ich Stimmen. Wieso mich? Wieso schloss man mich ein?

Weil ich sonst gehen würde... Ich würde zu ihm gehen... Ich würde zu Liam gehen und das wollten sie vermeiden.

Alles begann mit dem Zittern. Ich fing aus heiterem Himmel an zu zittern und egal, was ich tat, es hörte nicht auf. Ich krallte meine Fingernägel in meine Haut. Nichtmal der Schmerz half mir. Auch nicht das heiße Wasser der Dusche. Auch nicht die Dunkelheit.

Dann kam das Schluchzen und Weinen.

Und dann... Dann kamen die Erinnerungen... Der schlimmste Teil von allem.

Ich rollte mich zu einer kleinen Kugel zusammen und versuchte bis zum Morgen durchzuhalten, doch die Erinnerungen vermischten sich mit Träumen... Mit Albträumen... Das war die schrecklichste Nacht, die ich je durchlebt hatte. Am Morgen wusste ich nicht, was Wirklichkeit war und was nur Traum... Ich wusste es einfach nicht und das brachte mich wieder zum Zittern.

Ich winkelte die Knie an und verharrte so auf meinem Bett.

Man schloss die Tür auf. Da stand Sirius. Kaum war er eingelassen worden, kam er auf mich zu und legte die Arme um mich und mir wurde klar, dass ich in dem schlimmsten Albtraum steckte und dass er real war... Heute war der Tag, an dem ich in die Arena kam...

Noch immer hatte ich das Kleid von den Interviews an... Noch immer klebte die Erinnerung an gestern an mir. Wieso hatte ich es gestern nach dem Duschen wieder angezogen? Sirius zog mir mein Kleid aus und steckte mich in einfache Klamotten. Er wischte den letzten Rest Schminke aus meinem Gesicht und redete kein einziges Wort. Er stützte mich, während wir hinauf auf das Dach gebracht wurden und dann zur Leiter und dann... Ein stechender Schmerz durchzuckte meinen Arm. Wütend blickte ich mich um.

Bis mir wieder einfiel, dass es mir egal sein konnte.

„Das war dein Aufspürer. Damit können sie dich in der Arena immer finden", flüsterte mir mein junger Stylist zu.

Ich war froh, dass er mich bis zum Ende begleiten würde... Bis ich nie wieder die Chance hatte, ich selbst zu werden.

Hier oben gab es Essen. Viel Essen.

Du musst mehr essen, Lily, hallte es in meinem Kopf nach... Mehr essen, ja...

Ich zwang mich an einem Brötchen zu knabbern, was keine gute Idee war, denn nach einem Bissen schon wurde mir unfassbar schlecht. Ich trank einen Schluck Wasser und erbrach dann alles, das sich in meinem Magen befand und das war kaum mehr als Flüssigkeit.

Ich begann zu weinen. Wie ein kleines Mädchen, das sich die Knie aufgeschlagen hatte. Sirius hielt mich fest. Den ganzen Flug über. Ab und zu setzte er mir Trinken an die Lippe und ich schluckte.

Da war wieder das Zittern.

„Vergiss nicht wie stark du bist, Liliana", flüsterte er mir zu, als wir landeten.

Ich machte nichts und ließ mich hinunter unter die Erde ziehen.

Im Startraum angekommen ließ ich meine Hand durch mein feuerrotes Haar gleiten. „Schneide es mir kürzer", murmelte ich leise. Die ersten Worte, die ich zu ihm sagte.

„Das bin nicht mehr ich..."

Er kämmte meine Haare mit einer Bürste durch. „Doch, das bist du. Wir schneiden sie nicht ab. Und selbst, wenn du es nicht bist, wie willst du, dass sie dich in Erinnerung behalten? Gale und Prim?", fragte er mich ernst.

Er hatte recht... Sie sollten die neue Lily nicht sehen. Ich durfte ihnen meine gebrochene Seite nicht zeigen...

„Geh duschen, Lily", wies er mich an. Ich nickte.

Danach band er meine Haare zu einem festen Zopf, der sich nicht zu schnell lösen sollte.

Beim Anziehen der Arenakleidung zitterte ich stärker als je zuvor.

„Was meinst du, wo es hin geht?", fragte Sirius mich.

„Kein Platz", sagte ich mit gebrochener Stimme, um ihm zu zeigen, dass ich für solch einen Gedanken keinen Platz hatte.

„Ich denke es wird warm", murmelte Sirius.

Ich nickte. Das Material war dünn. Es erinnerte mich ein wenig an das, aus dem mein Badeanzug beim Schwimmen mit Liam gemacht war.

„Vielleicht am Meer", flüsterte ich.

Eine metallische Frauenstimme wies mich an, mich startklar zum machen. Sirius zog mich zu einer Metallplatte.

„Da geht es nach oben", meinte er.

Ich nickte und stellte mich darauf. Ein Glaszylinder senkte sich über mich. Ich bekam Angst. Noch mehr Angst und ich wimmerte leise.

„Bleib stark und halte durch", murmelte Sirius und schenkte mir ein trauriges Lächeln. Langsam hob sich die Platte nach oben.

Sirius bedeutete mir den Kopf aufrecht zu halten, das tat ich, während ich mich zwang, nicht zu weinen. Ich biss mir auf die Innenseite der Backe, bis ich Blut schmeckte. Der Schmerz half.

Ich schloss die Augen.

Atmete tief durch.

Ich öffnete sie wieder. War bereit, um zu kämpfen.

Die Tribute von Panem - Unerwartete RettungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt