Kapitel 10

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Auch die nächsten Tage hatte die Hitze die Inseln fest in ihrem Griff. Das Aufstehen entwickelte sich zu einem gemeinsamen Event und zu einem Wettlauf gegen die steigenden Temperaturen. Generell hatte sich das Lagerleben auf die kühleren Morgen- und Abendstunden verschoben, da alle bemüht waren die dringend notwendigen Tätigkeiten abseits der Höllenhitze zu erledigen. Die Tage über waren sie dafür meist am Seeufer anzutreffen. Selbst Alec wurde langsam etwa sicherer in der Gegenwart der anderen und scheute sich nicht mehr ganz so sehr sich nur in Badehose zu zeigen, wenngleich er noch immer tomatenrot anlief sobald er die musternden Blicke der anderen spürte oder angesprochen wurde. Vielleicht zog er sich auch gerade deshalb noch immer regelmäßig auf seine kleinen Spaziergänge zurück. Nach den anfänglich ungläubigen Blicken und der Antwort seinerseits, dass er nicht den ganzen Tag faul herum sitzen könne, bedachten ihn die jungen Frauen und vor allem Jace nur noch mit einem amüsierten, belustigten Blick. Magnus hingegen schenkte ihm immer wieder ein beruhigendes und aufmunterndes Lächeln, auch wenn sie kaum ein paar Worte miteinander wechselten. Trotzdem schienen seine Blicke immer wieder auszudrücken: Du schaffst das, ich bin stolz auf dich.

Und so war er auch an diesem späten Nachmittag mit einem guten Gefühl im Bauch auf seinem gewohnten Spaziergang. Inzwischen kannte er die Insel nahezu auswendig und verlief sich auch nicht mehr. Es gab nur einen Ort, den er noch nicht besucht hatte. Die Aussichtsplattform... Er hatte mitbekommen, wie die anderen darüber geredet und von der Aussicht geschwärmt hatten. Doch bisher hatte es ihn irgendwie nicht dorthin verschlagen. Nun, das würde er heute ändern. Den Weg zu finden war nicht schwer. Der Berg war schließlich von der ganzen Insel aus zu sehen. Und auch der Pfad hinauf war leicht zu entdecken. Ein schmaler Weg schlängelte sich durch das Unterholz des Waldes, welcher sich mehr und mehr lichtete, je näher er dem felsigen Untergrund kam. Selbst der Aufstieg gestaltete sich durch einen fast natürlichen Pfad relativ einfach.
Er fühlte sich gut, erstaunlich gut sogar. Er hätte nie erwartet, dass er sich innerhalb weniger Tage so frei unter fremden Menschen bewegen können würde - zumindest für seine Verhältnisse. Trotzdem wanderten seine Gedanken immer wieder zurück nach Boston und seinem Leben dort. Hatte er sich dort jemals so... wohl gefühlt? Hatte er sich dort jemals... frei gefühlt? Zuhause hatte er Sicherheit. Zuhause wusste er was von ihm erwartet wurde und was er zu tun hatte. Dort hatte er seine Familie und Menschen, die er kannte. Das führte ihn zu den nächsten Gedanken... Wie ging es Camille? War sie wütend auf ihn? Enttäuscht? Und sein Vater? Oh, der wäre mit Sicherheit enttäuscht und wie er ihn kannte, würde er ihm die Schuld an seiner Abwesenheit geben. Was war mit seiner Arbeit? Würde jemand anderes diese übernehmen oder wäre sein Schreibtisch mit Unterlagen und Aufträgen überfüllt, wenn er zurück käme... Und seine Schwester? Die würde sich mit Sicherheit freuen, dass er durchgehalten hatte und ihn mit Fragen löchern, bis sie jede Einzelheit aus ihm heraus gequetscht hatte. Und nur zu genau konnte er sich ihre dringlichsten Fragen vorstellen. Ob er jemanden kennengelernt hätte? Und ob er Sex gehabt hätte... Allein der Gedanke daran trieb ihm die Hitze in die Wangen. Das gehörte zu Izzy's Lieblingsthemen, neben dem Aussehen diverser Männer. Immer wieder hatte sie in der Vergangenheit versucht ihm den einen oder anderen Bekannten schmackhaft zu machen. Natürlich wusste sie von seiner Vorliebe für das eigene Geschlecht - immerhin hatten die Küsse mit 'seinem' gestiefelten Kater eine deutliche Sprache gesprochen. Doch im Gegensatz zu seinem Vater hatte sie nie ein Problem damit gehabt. Im Gegenteil, sie hatte versucht ihm etwas Spaß zu verschaffen. Doch nach seiner Hochzeit hatte er diese Teil seiner Persönlichkeit ganz tief in sich vergraben und nur in seltenen stillen Momenten zur Befriedigung seiner eigenen Bedürfnisse mit kleinen Filmchen wieder an die Oberfläche gelassen. Niemals würde er seine Frau betrügen, mal davon abgesehen, dass er gar nicht den Mut hatte einen anderen Mann anzusprechen.

Schneller als gedacht hatte er das natürlich geschaffene Felsplateau erreicht. Doch sofort stockte er erschrocken, als er eine Gestalt am Rand sitzen sah. Magnus... War er nicht vorhin noch im Lager gewesen? Er wusste es nicht genau. Sofort schoss ihm wieder das Blut in den Kopf, als er sich daran erinnerte über was er gerade nachgedacht hatte und dass, obwohl der Asiat darin noch nicht einmal eine Rolle gespielt hatte. In Izzy's Gedanke hätte er das bestimmt... Er wurde noch roter und wollte sich langsam und möglichst lautlos wieder zurückziehen.
„Flüchte nicht gleich wieder, Alexander. Ich habe dieses Platz nicht gepachtet." hielt ihn jedoch die Stimme des anderen Mannes zurück.
„A-alec..." wies er ihn zu wiederholten Male hin. Doch Magnus lächelte nur ohne ihn anzusehen.
„Ich weiß."
„Ich... ich will dich nicht stören."
„Du störst nicht."
Ohne aufzusehen klopfte er neben sich auf den Boden, während seine Beine über der Kante baumelten.
„Komm her und setz dich." forderte er mit sanfter Stimme.
Einen Moment nur zögerte Alec, ehe er der Aufforderung folgte. Mit geröteten Wangen warf er dem anderen Mann einen unsicheren Seitenblick zu. Dieser lächelte leicht und ließ seinen Blick weiter über die Umgebung schweifen.
„Man hat hier eine fantastische Aussicht. Der Sonnenuntergang ist hier am schönsten. Dort hinten, siehst du..." Langsam streckte er seine Hand in Richtung des Horizontes aus und deutete auf einen Punkt jenseits der Inseln.

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