Kapitel 31

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„Die Ranch besteht aus einem Hauptgebäude und zwei Nebengebäuden, in denen die Angestellten und die Saisonkräfte untergebracht sind. Außerdem haben wir mehrere große Scheunen zur Lagerung von Heu, Stroh und Futter, Ställe für die Tiere, die gerade trainiert werden und die hier arbeiten und natürlich eine Reithalle."
„Ich habe so gar keine Ahnung von der Arbeit auf einer Pferderanch." gab Alec geknickt zu.
Magnus zuckte mit den Schultern und grinste.
„In zwei Monaten weißt du eine Menge mehr."
Alec musste lächeln, weil er sich an einen von Magnus' Lieblingssprüchen erinnerte: geht nicht, gibt's nicht.
Glücklicherweise gab es den optimistischen, niemals aufgebenden Magnus und die selbstbewusste Izzy. Ohne die beiden hätte er die Scheidung wahrscheinlich niemals durchgestanden. Jetzt störten ihn nicht einmal mehr Camille's zornige oder abfällige Blicke. Doch als er die Scheidungspapiere unterzeichnen sollte, hatte seine Hand gezittert und Camille hatte es bemerkt. Sie hatte zynisch gegrinst und gemeint: „Du bist niemals in der Lage allein klar zu kommen. Du wirst es bereuen und zu mir zurückkommen."
Alec hatte es nicht geschafft zu antworten, aber er ist auch nicht zusammengebrochen. Er hatte mit den Schultern gezuckt, hatte sich umgedreht und war gegangen. Vielleicht hatte diese Reaktion Camille mehr gestört, als alles was er hätte sagen können. Vielleicht hatte sie wirklich daran geglaubt, dass er in ihr gemeinsames Haus zurückkehren würde. Seine Eltern hatten das zumindest getan und noch immer sprach sein Vater nur das nötigste mit ihm.
Erst zwei Monate später, als er Magnus auf ein Charity-Event begleitete und er sowohl auf seine Ex-Frau und auf seine Eltern traf, schienen diese zu begreifen.
Magnus hatte ihm die Entscheidung überlassen, ob er mitkam oder nicht. Er wäre auch alleine gegangen. Alec begleitete ihn - mit einem mulmigen Gefühl im Magen, die Erinnerung an die langweiligen Abende an der Seite seiner Frau oder seines Vaters war noch zu frisch. Doch im Nachhinein gratulierte er sich zu dieser Entscheidung. Er spürte den ganzen Abend die Blicke derer, die ihn einst versucht hatten zu kontrollieren... wenn er sich lächelnd mit anderen Menschen unterhielt, wenn er tanzte oder wenn er einfach nur durch den Raum schritt. Denn neben dem Zorn sah er in ihren Blicken auch Neid und Fassungslosigkeit und das machte ihn einfach nur Stolz auf sich selbst.
Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Magnus den Jeep vor dem großen Haupthaus parkte. Die Hitze schlug ihm ins Gesicht, als er die Tür öffnete und ausstieg.
„Ich zeige dir als erstes die Ranch, okay?"
Magnus trug die Koffer zum Haus und Alec folgte ihm mit zwei kleineren Taschen.
„Magnus!" rief eine überraschte Stimme kaum dass er die Tür geöffnet hatte und nur einen Moment später fiel ihm eine ältere Frau um den Hals.
„Ich wusste gar nicht, dass du so zeitig zurückkommst."
Lachend erwiderte der Asiat die Umarmung.
„Wir sind zügig gefahren, Nelly."
Dann schob er die Frau etwas von sich und deutete auf seinen Begleiter.
„Darf ich dir Alec vorstellen, Nel? Alexander, das ist unsere Haushälterin und Simon's Mom."
Er lächelte liebevoll.
„Aber eigentlich ist sie hier für alle so etwas wie eine Mutter."
„Irgendwer muss ja auf euch aufpassen." bestätigte Nelly und umarmte den überraschten Alec einfach.
„Willkommen auf der Kuda-Ranch. Es wurde auch Zeit das dieser Rabauke dich mitbringt, die Männer haben schon angefangen zu glauben, dass er sich nur vor der Arbeit drückt."
„Lass dir nur nichts einreden." mischte sich Magnus ein. „Unsere Nelly hat hier alle im Griff. Ich wollte Alec erst einmal die Ranch zeigen. Gibt es irgendwas Neues?"
Sie stemmte ihre Hände in die Hüften.
„Als erstes mache ich uns einen schönen Kaffee. Alec hat eine stundenlange Autofahrt hinter sich, du kannst ihn nicht schon wieder über die staubige Ranch schleppen."
Alec fing an zu lachen, denn die Frau war ihn auf Anhieb sympathisch.
„Kaffee klingt gut." gab er schließlich zu. „Und so kann ich mich noch ein bisschen vor meiner ersten Begegnung mit einem Pferd drücken."
Auch Nelly lächelte, nahm seinen Arm und zog ihn mit sich.
„Magnus kann seine Koffer in dein Zimmer bringen."
Dann drehte sie den Kopf und schaute den nun recht sprachlosen Magnus an.
„Jace hat angerufen, er kommt heute Abend zurück. Ragnor und Will sind draußen bei den Nordweiden und schauen die Zäune nach. Raphael hat sich um die Auftragsarbeiten bezüglich der Deckhengste gekümmert, er meinte aber er müsse mit dir reden... er sagte etwas, das klang wie: die verdammten Hengste können nicht zehnmal am Tag... und er klang sehr genervt."
Ehe Magnus dazu kam etwas zu antworten, war sie schon mit Alec in der Küche verschwunden. Verdutzt fuhr er sich durch das Haar, ehe er erst einmal das Naheliegendste tat: die Koffer wegbringen...


Alec starrte mit gemischten Gefühlen auf die hübsche Stute, die Magnus gerade sattelte. Dieser hatte ihm erklärt es handele sich um ein Appaloosa, aber das war ihm ziemlich egal. Sie war hübsch und erinnerte ihn ein wenig an einen Dalmatiner mit ihren dunklen Flecken in dem sonst weißen Fell und ihre großen, dunklen Augen musterten Alec interessiert. Doch Alec konnte sich weder auf die Erklärungen zum Sattel konzentrieren, noch sich an dem Anblick des schönen Pferdes erfreuen. Im Moment war ihm der Gedanke auf den Rücken des Tieres zu steigen einfach unheimlich. Neben der Stute stand ein Wallach - so wurde ein kastrierter Hengst genannt hatte Magnus ihm erklärt - den der Asiat reiten wollte und angeblich genauso sanftmütig war wie die Stute.
„Sie heißt Little Flower." beendete Magnus seine Ausführungen und drehte sich endlich um.
„Alexander?" fragte er zögerlich, als er dessen Miene bemerkte.
Alec lächelte krampfhaft.
„Also ich... ich weiß nicht so recht..."
Magnus grinste, machte einen Schritt auf ihn zu und legte ihm den Finger unter das Kinn.
„Angst vor dieser kleinen, sanftmütigen Blume?" meinte er neckend. „Sie hat noch niemanden abgeworfen. Und schau mal..."
Er deutete auf das Sattelhorn an dem schweren Westernsattel.
„Daran kannst du dich wunderbar festhalten. Komm, ich helfe dir hoch..."
Alec holte tief Luft und trat an das Pferd heran. Zögerlich strich er über das weiche Fell und spürte die Wärme des Tieres.
„Braves Pferdchen..." murmelte er, doch eher um sich selbst zu beruhigen.
„Sie merkt bestimmt, dass ich Angst habe..."
Übergangslos fühlte er sich an den Hüften gepackt, hochgehoben und landete im nächsten Moment im Sattel.
„Magnus..." schimpfte er mit zittriger Stimme und klammerte sich an das Sattelhorn. Little Flower blieb davon völlig ungerührt, döste weiter vor sich hin und schlug mit dem Schweif nach Fliegen.
Magnus grinste wieder.
„Keine Panik, Darling."
Dann schwang er sich auf den Wallach und griff nach dem Führstrick, den er am Zaum der Stute befestigt hatte.
„Schön festhalten." wies er Alec an. „Du hältst dich im Sattel, indem du die Knie fest andrückst. Aber nicht zu verkrampft. Der Sattel ist schön breit und bequem, du kannst da wunderbar entspannen."
Von Entspannen war Alec noch meilenweit entfernt. Als Magnus sein Pferd anführte, hatte er erst einmal alle Hände voll damit zu tun sich an die schaukelnde Bewegung zu gewöhnen.
„Du musst nichts machen." lächelte Magnus wieder. „Ich führe das Pferd. Nimm die Zügel locker in die Hand und genieße die schöne Gegend."
„Ha Ha..." machte Alec bissig.
Allerdings dauerte es nur wenige hundert Meter bis er feststellte, dass die Bewegungen des Pferdes gar nicht so schlimm waren. Sie verließen den Hof und nahmen einen schalen Pfad, der zu den endlos scheinenden Weiden führte. Nach einer Viertelstunde konnte Alec seine verkrampften Finger vom Sattelhorn lösen und setzte sich etwas gelassener hin.
Magnus warf ihm einen verschmitzten Blick zu.
„Besser?"
Alec lächelte schwach.
„Solange wir uns nicht schneller als... so bewegen..." gab er zu.
Magnus schüttelte den Kopf.
„Werden wir nicht. Ab Morgen bekommst du richtigen Reitunterricht, aber heute möchte ich einfach nur ein wenig entspannen und dir die Gegend zeigen. Im Schritt fällt niemand herunter und Little Flower ist für ihre Gelassenheit berühmt. Die zuckt nicht einmal wenn die Junghengste um sie herum toben."
Es war als hätte er eine andere Welt betreten. Nichts erinnerte mehr an den Trubel der Großstadt und nur die Geräusche der Natur durchbrachen die Stille. Vogelgezwitscher lag in der Luft und nur hin und wieder ertönte das Schnauben der Pferde.
Alec rückte den Cowboyhut zurecht, den Magnus ihm aufgesetzt hatte. Dieser trug ebenfalls einen und hatte gesagt, wenn man den ganzen Tag in der Sonne arbeitet, muss man seinen Kopf schützen. Zwar wollten sie nicht so lange durch die Gegend schweifen, aber allein durch den Hut fühlte Alec sich, als würde er dazu gehören.
„Weshalb war Raphael so genervt wegen den Hengsten?" fragte er nach einer Weile, weil ihm die Aussage der Haushälterin wieder einfiel.
Magnus seufzte.
„Die Nachfrage nach unseren Deckhengsten ist groß. Nicht nur für Turnierpferde, sondern auch für Kutschpferde. Ich lehne es aber ab, das Sperma zu portionieren oder mit Gefriersperma zu handeln. Ich mag es nicht die Hengste einzeln zu halten und abzuzapfen wie Milchkühe..."
„Und ihr bildet die Tiere selbst aus?"
Er nickte.
„Zumindest in den Grundzügen. Jace und einige unserer Saisonkräfte reiten die Pferde ein. Ragnor kümmert sie um die Ausbildung der Zugpferde. Wir haben einen Vertrag mit dem Kutschenfuhrpark im Central Park. Und im Moment wachsen etwa 50 Hengste und knapp 100 Stuten auf unseren Weiden heran. Ich wollte ein paar verkaufen, aber mal sehen, vielleicht behalten wir sie auch. Trotzdem müssen wir die Deckhengste irgendwie zu den Stutenbesitzern schaffen... und das neben den ganzen anderen Vorbereitungen. Und ich selbst... muss auch noch irgendwann trainieren und mich auf die Dressur-Turniere vorbereiten."
„Und wenn du die Stuten hier her kommen lässt?" meinte Alec leise und versuchte die aufkommende Unsicherheit zu überspielen.
„Es wäre möglich..." seufzte Magnus. „Nur jede Menge zu organisieren und wir müssten entsprechende Ställe und wenigstens eine weitere Wohneinheit bauen lassen."
„Ich..." begann Alec zögerlich. „Ich musste viel organisieren... am Telefon."
Er grinste etwas missglückt.
„Am Telefon war ich bedeutend besser, als wenn ich jemandem direkt gegenüber stand. Und... ich kenne ein paar gute Baufirmen und die Planung... könnte ich selbst übernehmen... wenn du nichts dagegen hast."
Magnus strahlte ihn an. Er hatte es sich gewünscht, aber nicht zu hoffen gewagt. Alec hatte eine schwere Zeit hinter sich und er sollte sich nicht von einer Beziehung in die nächste stürzen, ohne erst einmal Zeit für sich selbst zu finden. Er liebte Alec, aber er hatte nie gewagt es auszusprechen, weil er ihn nicht unter Druck setzen wollte. Vielleicht war es falsch, aber vielleicht hatte er auch einfach nur Angst vor Alec's Reaktion. Er wollte ihm Zeit geben, Zeit sich zu sammeln und Zeit, um seine eigenen Entscheidungen zu fällen.
„Es würde mich freuen..." sagte er leise und da war es wieder, dieses schüchterne Lächeln, dass er so liebte und er hätte Alec am liebsten sofort von der Stute gezogen.
„Es... gefällt mir hier." gab Alec leise zu. „Auch wenn ich noch ein bisschen Angst vor Pferden habe..."
Magnus lenkte die Reittiere einen sanften Hang hinauf zu einer kleinen Baumgruppe.
„Ich wette, in drei Wochen habe ich alle Mühe dich wieder von einem Pferd runter zu bekommen." witzelte der Asiat. Bei den Bäumen angekommen sprang er vom Pferd und half auch Alec abzusteigen. Er band die Tiere an einen Baum, griff nach Alec's Hand und zog ihn mit sich auf die Wiese in die Sonne.
Alec ließ sich neben ihn fallen und sah, wie er die Hände hinter dem Kopf verschränkte und in den blauen Himmel schaute.
„Heute habe ich noch Urlaub." bekannte er grinsend. „Aber ab morgen wirst du die richtige Rancharbeit kennenlernen... hart... schwitzend... anstrengend..."
Alec lehnte den Kopf gegen Magnus' Schulter, schmiegte sich an ihn und kicherte leise.
„Klingt nicht nach Rancharbeit..."


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