Kapitel 2

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Blinzelnd versuchte er in das Hier und Jetzt zurückzufinden, während er das Mäppchen zurück in die Jackentasche gleiten ließ. Sein Blick richtete sich auf die Reflektion in dem kleinen Fenster neben sich. Der Junge vom Foto war darin kaum noch zu erkennen. In dem Jahr nach der Party hatte er noch einmal einen Wachstumsschub bekommen, so dass er jetzt fast die zwei Meter Körpergröße erreichte. Außerdem hatte er angefangen sehr viel intensiver Sport zu betreiben, was ihm einiges an Muskelmasse eingebracht hatte. So hatte er sich in den letzten Jahren einen gut trainierten, maskulinen Körperbau erarbeiten können. Eine Modell-Figur hatte der Herrenschneider seines Vaters es genannt. Auch sein Gesicht wirkte im Vergleich zu dem Bild kantiger, erwachsener. Deutlich war die kleine Narbe in seiner linken Augenbraue zu sehen, die er sich mit 20 beim Training zugezogen hatte. Gott, war sein Vater ausgerastet. Es hätte ausgesehen, als würde sein Sohn sich prügeln. Das waren zumindest seine Worte. Außerdem zeigte sich dank eines schnellen Bartwuchses immer ein leichter Schatten an Wangen und Kinn, der auf dem Foto fehlte.
Camille hatte ihn dazu gebracht seine immer etwas wirr wirkenden Locken mit etwas Gel zu bändigen und zu einem Seitenscheitel zu kämmen. Es würde ordentlicher und geschäftsmäßiger wirken, hatte sie gesagt und sein Vater hatte ihr zugestimmt. Izzy hingegen hatte es schrecklich gefunden. Trotzdem hatte er diese Frisur beibehalten, denn schließlich war er die meiste Zeit unter Geschäftsleuten. Aber der größte Unterschied war etwas ganz anderes. Der Junge von damals hatte eine Fröhlichkeit in den Augen, die er in seinem Spiegelbild vermisste. Einem kurzen Impuls des Trotzes folgend streckte er sich selbst die Zunge aus und wandte dann den Blick ab.
Erst jetzt bemerkte er das Paar dunkelbrauner und mit Kajal umrahmter Augen, dass ihn aufmerksam zwischen den Sitzen hindurch beobachtete. Errötend senkte er den Kopf. Verdammt, jetzt war er auch noch dabei erwischt worden wie er sich kindisch verhielt. Wenn wenigstens Izzy hier wäre...

Er wusste nicht wie lange der Flug gedauert hatte, als die Maschine schließlich auf einer leicht buckeligen Piste aufsetzte und abbremste. Aber es waren sicherlich etliche Stunden gewesen. Als er nach seinem Handy tastete, um nachzusehen, musste er feststellen, dass es nicht sich nicht mehr in der Jackentasche befand. War es raus gefallen? Eilig suchte er seinen Sitz ab und versuchte unter selbigen zu spähen, was der Sicherheitsgurt aber einigermaßen effektiv verhinderte. Stumm fluchte er, er würde warten müssen bis das Flugzeug stand und alle ausgestiegen waren, schließlich konnte er ja nicht in Anwesenheit aller auf dem Boden herum rutschen - sozumindest erklärte es ihm die Stimme seines Vaters in seinem Kopf. Also ließ er sich Zeit damit seine Sachen einzusammeln.
Als er den anderen schließlich nach draußen in die Hitze folgte, hatte er das kleine Gerät noch immer nicht gefunden. Inzwischen hatte sich in ihm der Verdacht breit gemacht, dass seine Schwester es ihm beim Einsteigen abgenommen hatte. Verflucht seien kleine Schwestern...

„Willkommen zu unserem achtwöchigen Abenteuerurlaub." riss ihn die Stimme des älteren Mannes aus seinen grummeligen Gedanken.
„Mein Name ist Luke Garroway und ich bin ihr Reiseleiter, Organisator und Berater. Dies ist meine Lebensgefährtin Jocelyn Fairchild und sollten sie nicht mit mir sprechen können oder wollen, können sie sich auch vertrauensvoll an sie wenden."
Mit diesen Worten deutete er auf die Frau an seiner Seite, welche der Reisegruppe mit einem freundlichen Lächeln zunickte.
„Ich weiß, dass ihre Namen bereits beim Einchecken aufgenommen wurden und dass sich einige bereits kennen, allerdings hatte ich noch nicht die Gelegenheit sie kennenzulernen. Also halte ich es für das Beste, wenn wir uns erst einmal vorstellen. Schließlich werden wir die nächste Zeit zusammen verbringen."
Ein leises Schnauben ertönte von einer Seite der Gruppe. Kurz linste Alec in die Richtung und sah, wie der Undercut sich mit einer Hand gelangweilt durch das Haar fuhr.
„Fangen wir doch gleich bei ihnen an. Sie sind...?"
„Jace Herondale und bitte, sie können mich duzen. Mit diesem „Sie" hab ich das Gefühl mein alter Herr würde neben mir stehen."
Luke nickte und blickte kurz in die Runde.
„Wenn alle damit einverstanden sind, würde ich das allgemein vorschlagen."
Das veranlasse Alec dazu leicht zu schlucken. Die einzigen Leute, die er mit „Du" ansprach waren die Mitglieder seiner Familie. Doch da alle anderen bereitwillig zustimmten, schwieg er.
„Und die beiden hier sind Magnus Bane und Simon Lewis." setzte der Blonde dann ungerührt fort. „Meine Babysitter."
Letzteres fügte er mit einen Grinsen und einem Verdrehen der Augen hinzu. Als Antwort verpasste ihm der als Magnus vorgestellte einen relativ kräftigen Klaps auf den Hinterkopf.
„Würdest du dein Hirn einschalten bevor du Scheiße baust, wären wir nicht hier."
Der dritte im Bunde rollte daraufhin selbst nur mit den Augen.
„Jetzt kriegt euch mal wieder ein, ist doch gar nicht so schlecht hier und ein paar Wochen fern von der Arbeit kann uns allen nicht Schaden." versuchte er zu beschwichtigen, was zumindest zwei der jungen Frauen zum Schmunzeln brachte.
„Die Stimme der Vernunft..." raunte Jace.
„Ok, weiter..." riss Luke wieder das Wort an sich. „Helen Blackthorn?"
„Hier." meldete sich die Aufgerufene. Ihr langes, glattes, blondes Haar glitzerte leicht im Licht der Sonne. Ihre leicht spitz zulaufenden Ohren verliehen ihr ein leicht geheimnisvolles Aussehen. Ihre Freundin mit den schwarzen, glatten Haaren stellte sich als Aline Penhallow vor. Die junge Rothaarige hieß Clary Fray und ihre Begleiterin mit dem Lockenkopf Maia Roberts.
„Dann musst du Alec Lightwood sein." richtete sich der Reiseleiter schließlich an ihn. Er konnte die neugierigen Blicke der anderen auf sich spüren, als er zustimmend nickte. Leicht verlegen senkte er den Blick. Er war es zwar gewohnt gemustert zu werden und unter „Beobachtung" zu stehen, doch das war irgendwie anders. Normalerweise war es der Name, der Aufmerksamkeit erregte und den anderen Dollarzeichen in die Augen trieb. Doch hier fand er nur Neugier an seiner Person und das war ihm unangenehm. Und der Gedanke ganze acht Wochen, zwei Monate, mit diesen Leuten zu verbringen bereitete ihm Unbehagen. Wie sollte er sich verhalten? Was sollte er mit ihnen reden? Sie sahen nicht so aus als würden sie sich für eine Hotelkette oder Bauunternehmungen interessieren. Oder für den Golfsport, zu dem sein Vater ihn regelmäßig mitschleppte.
„Gut, sobald das Gepäck ausgeladen ist, machen wir uns auf den Weg zum Lager. Das ist etwa eine halbe Stunde von hier entfernt."
Das lenkte die Aufmerksamkeit der anderen wenigstens wieder auf etwas anderes und Alec konnte sich eine Moment Zeit nehmen, um sich umzusehen.

Der Flyer hatte nicht gelogen. Es war idyllisch und das einzige Anzeichen für so etwas wie Zivilisation war die provisorisch wirkende Piste, auf der das Flugzeug stand. Nur wenige Meter weiter begann ein steiniger Strandabschnitt, der direkt in das kristallklare Wasser des Meeres führte. In nicht allzu großer Ferne konnte er zwei kleinere Inseln sehen, eine grün bewachsen, die andere aus nacktem Fels. Aus dem Prospekt wusste er, dass sie sich auf der Hauptinsel des Archipels befanden und das die meisten der kleineren Inseln bei Ebbe ohne Probleme zu Fuß erreicht werden konnten. Vielleicht würde er diese ein wenig erkunden können, Zeit genug sollte er ja haben.
Auf der anderen Seite der Piste, jene in die Luke gedeutet hatte, erstreckte sich ein Grünstreifen, der schon bald hüfthohen Sträuchern Platz machte und bald darauf in einen Wald mündete. Wenigstens würden die Bäume ihnen etwas Schutz vor der prallen Sonne bieten, denn Alec schwitzte schon jetzt in seinem Poloshirt und der schwarzen Jeans. Aber mit so etwas wie Erleichterung stellte er fest, dass er nicht der einige war. Lediglich ihr dunkelhäutiger Reiseführer und dieser Magnus mit seinem karamellfarbenen Teint schien die Hitze nichts auszumachen.
Jenseits des Waldes, oder vielleicht auch mittendrin, konnte er einen Berg ausmachen. Nicht besonders hoch, aber weit genug aufragend, dass man von dort eine gute Aussicht haben würde. Er nahm sich vor in den nächsten Tagen dort hinzugehen und sich umzusehen.
„Alec?"
Jocelyn's Stimme und eine vorsichtige Berührung an seinem Arm riss ihn aus seinen Gedanken. Leicht irritiert blinzelte er und blickte in das lächelnde Gesicht.
„Wir sollten langsam los."
Da war kein Vorwurf in ihrer Stimme, nur der Hinweis dass sie eben langsam aufbrechen sollten. Das verwirrte ihn zusätzlich, sein Vater hätte ihn ermahnt und seine Frau hätte diese genervt, quengelnde Stimme aufgesetzt.
„Natürlich, Entschuldigung." murmelte er dennoch und sah sich mit leicht geröteten Wangen nach seinem Gepäck um. Izzy hatte tatsächlich für ihn gepackt. Er fand einen Reiserucksack mit seinem Namen drauf. Ein riesiges Teil, wie er fand und orangefarben. Wieder konnte er die Blicke der anderen auf sich spüren, als er sich den Rucksack auf den Rücken hievte. Seine kleine Wochenend-Tasche hängte er sich über die Schulter, ehe er den anderen folgte.

Als Letzter in der Reihe hatte er nun auch Gelegenheit die anderen etwas genauer zu mustern ohne zu offensichtlich zu starren. Luke, der vorweg ging und wirklich wenige Zentimeter größer war als er selbst, trug eine dieser militärisch wirkenden Rangerhosen, Wanderschuhe und ein graues, schlichtes Shirt. Seine Bewegungen wirkten gezielt und kraftsparend. Kein Wunder, als Reiseleiter machte er so etwas vermutlich öfter. Und genauso wirkte auch Jocelyn, die ähnlich ausgerüstet neben ihrem Mann lief. Die jungen Frauen wirkten hingegen aufgeregt und etwas aufgedreht. Sie trugen alle eine Variation von dünnen Jeans und ärmellosen Shirts. Für einen Moment faszinierte ihn der Anblick. Er kannte nur die Outfits der geschäftlichen Damenwelt. Camille trug nie Jeans oder Shirts, sondern immer Rock und Bluse oder ein Kleid.
Als sein Blick weiter zu den anderen Männern glitt, runzelte er leicht die Stirn. Sie waren so unterschiedlich, dass er sich fragte, wie sie miteinander befreundet sein konnten. Dieser Simon wirkte beinahe etwas verloren zwischen den anderen und machte eher den Eindruck die meiste Zeit in einem Büro zu sitzen. Unwillkürlich musste Alec an die Leute der IT-Abteilung denken, als er den Mann etwas unbeholfen aber grinsend durch das Dickicht straucheln sah. Magnus wiederum machte den Eindruck, als wäre er auch nicht ganz freiwillig hier. Bis auf die wenigen Worte, die er am Flugzeug von ihm gehört hatte, beteiligte er sich kaum an den Gesprächen und antwortete auch seinen Freunden nur wenn es unbedingt nötig war. Allerdings waren seine Bewegungen sicher und er konnte das Spiel fein definierter Muskeln unter dem eng anliegenden Shirt erkennen, dessen Farbe ihn an reife Kirschen erinnerte. Es war der gleiche Farbton, in dem auch seine Haarspitzen funkelten. Alec's Blick ruhte einen Moment länger auf ihm. Denn auch wenn er das Gesicht im Moment nicht sehen konnte, wusste er doch das Magnus ein wenig Make-up trug. Er hatte noch nie ein Mann gesehen, der sich schminkte, zumindest nicht im Alltag. Natürlich kannte er es aus dem TV, allerdings hatte es meist albern auf ihn gewirkt. Bei ihm jedoch unterstrich es dezent die exotische Abstammung und verlieh ihm einen leicht mysteriösen Touch.
Und dann war da natürlich noch Jace. Dieser schien das ganze einfach nur zu genießen. Er marschierte ähnlich sicher wie Luke durch das Gelände, trug ähnliche Kleidung wie dieser, unterhielt sich mit jedem in seiner Nähe, lachte und riss Witze. Obwohl der Blonde bald zehn Zentimeter kleiner sein musste als Alec, war er doch ähnlich muskulös gebaut, vielleicht sogar noch etwas mehr. Zumindest die Schultern schienen etwas breiter zu sein als bei dem hochgewachsenen Geschäftsmann. Wieder musste dieser schnell den Blick abwenden, als die unterschiedlich gefärbten Augen sich auf ihn richteten. Konnte dieser Jace etwa spüren, wenn er ihn ansah? Er konnte fühlen wie Röte in sein Gesicht stieg und er verfluchte sich selbst für diese Reaktion. Normalerweise wurde er nicht so schnell rot, aber normalerweise wusste er auch was sein Gegenüber von ihm erwartete. Er wusste immer was von ihm erwartet wurde, nur nicht hier. Das hier waren keine Geschäftspartner oder Investoren, keine Sponsoren oder Vorstandsmitglieder. Das hier waren Fremde, Fremde mit denen er acht Wochen verbringen musste. Ihm wurde schlecht bei dem Gedanken.

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