Kapitel 28

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„Du undankbarer Mistkerl!"
Alec war im ersten Moment viel zu geschockt, um zu reagieren. Seine Hand fuhr zu seiner Wange, die wie Feuer brannte. Und er starrte auf die Frau vor sich, als würde er sie nicht erkennen.
„Du... du hast mich geschlagen..." murmelte er entsetzt.
„Na und?" kreischte sie. „Du hast es nicht anders verdient!"
Tränen traten in seine Augen.
„Camille, du kannst mir nicht die Schuld für..."
Es war weniger der Schmerz, sondern eher die Verzweiflung darüber, dass sie es niemals verstehen würde.
„Halt den Mund!" schrie sie wieder, diesmal hysterisch und holte zum zweiten Mal aus.
„Du solltest mich anbetteln dir zu verzeihen!"
Diesmal traf die flache Hand seine Lippe und riss seinen Kopf zur Seite. Der scharfe Schmerz und der Geschmack von Blut ließen ihn kurz schwindelig werden.
„Camille!" versuchte er sie aufzuhalten und wich zurück.
„Ich habe geglaubt du bist anders, als die anderen Typen da draußen." tobte sie wieder und er hob die Arme, als sie ihn gegen die Wand drängte und auf ihn einschlug. „Doch du bist kein Deut besser."
Alec roch den Alkohol und ahnte plötzlich, warum sie den Genuss bisher immer so abgelehnt hatte. Sein Gesicht brannte, er fühlte das Blut in seinem Mund und auch von seiner Augenbraue lief eine Spur seine Wange hinab. Irgendwie ahnte er, dass Camille viel zu durchgedreht war, um auf seine Worte zu reagieren und aufzuhören. Panik stieg in ihm hoch, während er schützend die Hände vor sich hielt.
„Ich werde dir zeigen, was es heißt ungehorsam zu sein."
Schlag um Schlag musste er einstecken - Arme, Oberkörper, Hüfte und Becken. Weitere Treffer am Kopf konnte er jedoch vermeiden. Doch schließlich explodierte etwas hinter seiner Stirn. Vielleicht war es die Angst, vielleicht die Ungerechtigkeit ihrer Worte, aber sie lösten eine Wut aus, die er nicht von sich kannte. Unbewusst duckte er sich und Camille verharrte kurz, als müsse sie überlegen, ob es genug wäre. Diesen Moment nutze Alec, um ihr einen Stoß zu verpassen und sich aus der Ecke zu befreien, in die sie ihn gedrängt hatte.
Nur kurz verharrte er, um zu sehen wie seine Frau taumelte und sich am Wohnzimmerschrank abfing. Dann versuchte er endgültig das Zimmer zu verlassen. Doch noch ehe er die Tür erreicht hatte, riss ihn ein harter Aufprall auf seinen Rücken von den Beinen.
„Bleib gefälligst hier! Ich bin noch nicht fertig mit dir."
Scheppernd zerbrach ein Teller neben seinem Kopf an der Wand, gefolgt von einer Porzellantasse und dem Rest des Kaffeeservices, dass seine Mutter ihnen geschenkt hatte.
Mit einem unterdrückten Stöhnen zog er sich an der Zimmertür wieder auf die Beine, griff nach dem Schlüssel, zog die Tür zu und schloss ab.
Er musste hier weg, so schnell wie möglich und am besten bevor Camille diese nicht besonders massive Zimmertür aufbrechen konnte. Also stürzte er zum Telefon. Die Kurzwahl der Vermittlung kannte er auswendig und ließ sich mit einem Taxiunternehmen verbinden.
Vor dem Spiegel im Flur blieb er kurz stehen und wischte sich notdürftig das Blut aus dem Gesicht. Die Tränen waren getrocknet. Aus dem Spiegel sah ihm nur ein Gesicht entgegen, das kaum sein eigenes sein konnte. Kalte, leere Augen, die aufgeplatzte Augenbraue und die dick geschwollene Lippe. Er fühlte sich auch genauso leer und tot, wie er aussah. Er verschwendete nicht einmal einen Gedanken an seine Eltern, die nur drei Häuser weiter wohnten. Er ahnte, dass er nur vom Regen in die Traufe kam, wenn er dort Zuflucht suchen würde.
Es dauerte keine zehn Minuten und als es hupte, verschwendete er keinen weiteren Gedanken an die im Wohnzimmer tobende Frau, sondern verließ das Haus und stieg in das Taxi. Der Fahrer warf ihm einen erschrockenen Blick zu, doch er beachtete ihn gar nicht, sondern sagte schlicht: „Zum Four Seasons."


Magnus mischte sich als erstes einen Drink, nachdem sich die Tür des Hotelzimmers hinter ihm geschlossen hatte. Er hatte Jace's Vorschlag, noch ein wenig durch die Straßen zu ziehen, abgelehnt und der andere Mann hatte es akzeptiert, weil er ahnte, dass sein bester Freund allein sein wollte.
Es vergingen drei Stunden, in denen er nichts anderes tat, als stumpfsinnig vor sich hin zu stiere und n seine Glas zu nippen... bis sich die Rezeption meldete und ihm mitteilte, dass da ein junger Mann wäre, der ihn zu sehen wünscht. Und ob es wohl in Ordnung wäre, ihn zu seinem Zimmer zu schicken.
Die Dame an der Rezeption klang eigenartig und mit einem unguten Gefühl sprang er hoch. Allerdings war er auf den Anblick nicht gefasst, der sich ihm bot, als er er die Tür öffnete.
„Oh Scheiße!" stieß er hervor und zog den kreidebleichen Alec in sein Zimmer.
Dieser brach zusammen, als sich die Tür geschlossen hatte. Die Beherrschung, mit der er den Weg in dem Taxi überstanden hatte, reichte genau bis zu diesem Moment.
Mit einem Fluch schlang Magnus seine Arme um ihm, fühlte wie er sich an ihn klammerte, zitterte und weinte. Wortlos führte er ihn zum Bett und setzte sich mit ihm, ohne ihn loszulassen. Für einen Moment konnte er nichts sagen. Hilflos strich er über Alec's Haare und dessen Rücken, spürte das kurze Verkrampfen unter der Berührung und den stetig anwachsenden Drang jemanden dafür zu töten...
Es dauerte lange, bis die Schluchzer abebbten und er wartete geduldig, Alec's Gesicht an seiner Schulter vergraben, dass er von sich aus anfing zu reden.
„Sie war so wütend..." weinte er leise.
„Shhh..." wieder strich Magnus ihm über die Haare und fühlte wie neue Wut in ihm aufstieg.
Alec hob sein Gesicht zu ihm.
„Sie hatte getrunken... und wollte mir die Schuld geben..."
Er lachte bitter auf.
„Ich habe nicht so reagiert, wie sie dachte... und sie wurde noch wütender..."
Magnus' Hände legten sich an seine Wangen.
„Liebling, ich werde nicht zulassen, dass sie dir noch einmal wehtut." murmelte er leise. Zorn loderte in seinen Augen und Alec hob erschrocken seine Hand.
„Magnus, du wirst nichts tun, ja? Versprich es mir."
Er schüttelte den Kopf und stand auf. Alec's Blick folgte ihm nervös.
„Was hast du vor?"
„Erst einmal dein Gesicht behandeln." sagte er nur und suchte in seiner Reisetasche nach dem Erste-Hilfe-Kasten. Er kämpfte mühsam gegen seine eigenen Wut und versuchte sich auf das Naheliegendste zu konzentrieren. Alec zuckte zusammen, als er sich wieder neben ihn setzte und mit einer Desinfektionslösung die Augenbraue abtupfte.
„Es ist nicht schlimm." sagte Magnus ruhig. „Sicherlich schmerzhaft, aber es muss nicht genäht werden."
Vorsichtig wischte er das Blut aus Alec's Gesicht und von der Lippe.
„Dieses verfluchte Miststück..." stieß er dann hervor und sah, wie der Jüngere die Augen schloss und die Kiefer aufeinander presste.
„Ich weiß nicht, was ich machen soll, Magnus." gestand er schließlich hilflos.
Magnus senkte den Kopf und streifte Alec's Lippen mit seinen.
„Du gehst nicht dorthin zurück."
Alec schluchzte und er zog ihn wieder an sich.
„Als erstes wirst du hier schlafen."
Er löste Alec's Arme von sich und stand auf.
„Ich gehe zur Rezeption und kläre das... und besorge dir ein paar frische Sachen, okay?"
Seine Finger strichen zärtlich über die malträtierte Wange.
„Leg dich hin, Alexander, und ruh' dich etwas aus. Ich bin gleich wieder da."

Es dauerte keine Viertelstunde und er war zurück. Alec jedoch hatte sich in der Zeit wie ein kleiner Junge auf dem Bett zusammengerollt. Er weinte nicht mehr, auch wenn ihm zum Heulen zumute war. Als Magnus ihn anschaute, stieg die Wut wieder in ihm hoch und er wünschte sich nicht sehnlicher, als dieser... Person... die Meinung zu sagen, am liebsten mit den Fäusten...
Er tat es nicht. In dieser Nacht brauchte Alec ihn dringender, als irgendein anderer Mensch auf dieser Welt. Aber er verfluchte sich selbst, dass er ihn hatte gehen lassen, dass er ihn allein gelassen hatte und dass er zugelassen hatte, dass diese Frau ihm wehtun konnte.
Natürlich hatte er damit nicht gerechnet, aber trotzdem... Er gab sich die Schuld.
Seufzend ging er ins Bad und ließ die Wanne voll laufen. Als er in sein Zimmer zurückkam, hatte Alec sich noch immer nicht gerührt. Vorsichtig berührte er dessen Schulter.
„Was hältst du von einem schönen Bad, danach einen heißen Drink und dann verfrachten wir dich in dieses schöne Bett, hm?"
Alec nickte nur stumm und Magnus zog ihn mit einem beruhigenden Lächeln hoch. Wie ein kleiner Junge ließ Alec sich das Shirt über den Kopf ziehen, die Hose öffnen und die Beine hinab streifen. Sie hatten zuviel Zeit miteinander verbracht, in den letzten Wochen, als dass er jetzt Scham empfinden würde.
Kurze Zeit später stand er nackt vor Magnus und es war das erste Mal, dass er kein Verlangen in seinem Blick bemerkte, sondern einfach nur Sorge und es schnürte ihm die Kehle zu. Wieder schlang der Asiat seine Arme um ihn, führte ihn ins Bad und setzte ihn sanft in das heiße Wasser.
„Hat sie noch mehr getroffen, außer dein Gesicht?" fragte er und hockte sich neben die Wanne.
„Hmm..." murmelte Alec. „Mir tun die Rippen weh, der Rücken... es ging so schnell..."
Magnus hätte am liebsten mit ihm geheult, doch er zwang sich die Beherrschung zu behalten.
„Tauch unter!" wies er ihn an.
Alec tat, was er sagte und lehnte sich dann zurück. Seine Augen schlossen sich, als er fühlte wie Magnus das Shampoo in seinen Haaren verteilte. Es schien so unreal, wie in einem Traum und er hoffte nicht allzu bald wieder aufzuwachen. Magnus' Finger massierten seine Kopfhaut, dann den Nacken und die verspannten Schultern. Wieder traten ihm Tränen in die Augen, obwohl er nicht wusste weshalb.
Schließlich bedeutete Magnus ihm die Haare auszuspülen und kam wieder um die Wanne herum, griff nach dem Schwamm, so dass er auch den Rest seines Körpers wachen konnte.
Alec nahm das alles wie im Unterbewusstsein wahr. Er spürte den Schwamm auf seiner Haut, die Hände und ein Teil seiner Anspannung fiel von ihm ab. Auch wenn er immer noch nicht wusste, wie es weiter gehen sollte, zumindest für den Moment fühlte er so etwas wie inneren Frieden und hoffte, dass der Augenblick ewig anhalten würde.
Doch irgendwann meinte Magnus, er solle aufstehen und wickelte ein Handtuch um seinen nassen Körper. Seufzend öffnete er die Augen, begegnete seinem Blick und lächelte, weil er nun sehr wohl eine gewisse Erregung in den goldbraunen Augen erkennen konnte.
Es hätte ihn auch gewundert, wenn es nicht so wäre, weil er Magnus nicht gerade als beherrschte Person kennengelernt hatte. Er hob seine Hand, fuhr sanft über Magnus' Wange und lächelte wieder, als dieser seine Augen halb schloss und sich in die Berührung lehnte.
Dann führte er ihn zurück zum Bett.
„Ich kenne deine genaue Größe nicht, also hab ich ... geschätzt." erklärte Magnus ernsthaft und reichte ihm ein dunkles Shirt und eine Shorts.
Alec schmunzelte bei der Vorstellung, wie er Unterwäsche kaufen und sie sich anhielt um die passende Größe herauszufinden.
„Du ziehst dich selbst an, ja?"
Magnus klang verlegen, lächelte aber, als er das Lachen des anderen sah.
„Ich bin nicht totsterbenskrank." erwiderte Alec ernst.
„Gut..."
Er hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.
„Ich gehe schnell duschen und dann mix' ich uns den Drink."
Alec wusste genau, dass er flüchtete, um ihn nicht noch einmal nackt zu sehen und seine Achtung vor ihm stieg. Sicherlich schämte er sich auch für die Reaktion seines Körpers, vor allem in dieser Situation und das machte ihn in Alec's Augen nur noch sympathischer.


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