Kapitel 27

125 15 2
                                    

Magnus hielt Alec den gesamten Rückflug im Arm. Sie sprachen kaum ein Wort und Alec ahnte, dass er anfangen würde zu weinen, wenn sie es täten. Magnus schien das ebenfalls zu vermuten, denn er strich nur ab und zu geistesabwesend über seinen Arm oder küsste ihn sanft auf die Haare.#Die anderen Menschen um sie herum plauderten, schwatzten über die vergangenen acht Wochen und freuten sich trotzdem darauf in die Zivilisation zurückzukehren.
Alec schloss die Augen. Er fühlte unter seiner Wange die Wärme von Magnus' Körper und war sicherlich zusammen mit ihm die einzige Person, die sich nicht freute, Und er erinnerte sich ironisch an seine fürchterliche Angst auf dem Hinflug, als er glaubte diese paar Wochen niemals durchzuhalten.
Er musste eingeschlafen sein, denn Magnus weckte ihn, indem er ihn sanft schüttelte.
„Aufwachen Alexander. Wir sind gleich da."
Er seufzte und warf einen Blick in die Runde. Die anderen plapperten aufgeregt durcheinander, warfen an und zu einen Blick aus dem Fenster und begeisterten sich darüber, dass die kleine Maschine zur Landung ansetzte. Alec dagegen wünschte sich wieder zurück. Etwas, dass er vor acht Wochen niemals für möglich gehalten hätte.
Es dauerte auch nicht lange und das Flugzeug setzte ratternd auf dem Flugfeld des Bostoner Flughafens auf und rollte in Richtung Terminal.
Während die anderen sich sofort damit beschäftigten, ihre Sachen zusammenzupacken, blieb Alec sitzen. Magnus sah traurig in seine Richtung.
„Komm schon. Es hat keinen Sinn es hinauszuzögern."
Er lächelte gezwungen und stand ebenfalls auf, als das kleine Flugzeug stoppte.
An seiner Seite verließ auch Alec den Flieger und folgte ihm zur Gepäckabfertigung. Wie im Traum ließ er die Verabschiedung der anderen über sich ergehen.
Die jungen Frauen umarmten ihn und wünschten ihm alles Gute. Sie hatten Adressen ausgetauscht und Clary versprach sich auf jeden Fall zu melden - und wenn es unter dem Deckmantel eines der Charity-Events war, das seine Familie unterstützte. Simon klopfte ihm auf die Schulter und flüsterte ihm in Ohr, er solle Lächeln sonst würde seine Frau gleich merken was los ist. Dann folgte er Maia um sich auch von ihr zu verabschieden.
Alec hatte mehr damit zu kämpfen das ganze zu verarbeiten. Wie durch einen Schleier nahm er wahr, dass sich auch Luke und Jocelyn verabschiedeten und er zum Schluss allein mit Magnus und Jace an der Gepäckausgabe stand. Der Blondschopf schnappte sich den großen Rucksack und Magnus gab Alec seine kleine Reisetasche.
„Holt dich jemand ab?"
„Ich weiß nicht..."
Vor acht Wochen hätte ihm der Gedanke, nicht zu wissen, wie er nach Hause kommen sollte noch in Panik versetzt. Heute dachte er nur müde, dass es schließlich Taxis gab.
„Komm Darling." sagte Magnus sanft und zog ihn mit sich.
Jace folgte ihnen mit undefinierbarem Gesichtsausdruck.
Die Wartehalle war voller Menschen. Alec blieb einen Moment stehen und überflog die Masse mit seinen Augen, bis er ein bekanntes Gesicht erblickte und schwach lächelte.
„Izzy ist da..." murmelte er und deutete auf die dunkelhaarige Frau am anderen Ende, die begeistert winkte.
Magnus drehte sich zu ihr um.
„Ich denke, es wäre nett diese Frau kennenzulernen, aber wahrscheinlich ist es besser, wir verschwinden jetzt."
Alec nickte stumm. Seine Kehle war wie zugeschnürt, als er in das so vertraute Gesicht und die Gold funkelnden Augen blickte.
„Ich hasse Abschiede." sagte Magnus leise und Alec schaffte es ein missglücktes Lächeln in sein Gesicht zu zaubern.
„Lass dich nicht unterkriegen, Alexander."
Magnus' Hand umschlang den Hals des jüngeren Mannes und ein letztes Mal lehnte er seine Stirn gegen die von Alec.
„Leb' wohl." flüsterte er. „Und erzähl ihr nichts von uns. Manchmal ist es schwerer mit der Wahrheit umzugehen. Glaub mir."
Alec nickte krampfhaft. Seine Hand hob sich automatisch zu Magnus' Arm und er presste ein letztes Mal seine Lippen auf Magnus' Mund.
„Leb' wohl, Magnus." wisperte er erstickt.
Magnus ließ ihn los und griff nach seinem Gepäck. Alec sah zu Jace, der ihn ebenfalls traurig anblickte.
Wortlos umarmte er ihn ebenfalls.
„Leb' wohl, Jace."
„Mach's gut." antwortete der Blondschopf und flüsterte dann neben seinem Ohr. „Wir übernachten im Four Seasons."
Dann löste er sich von ihm, fing seinen irritierten Blick auf und grinste schwach.
„Nur zur Sicherheit..."
Alec blieb einen Moment einfach stehen und starrte den beiden Männern regungslos hinterher, als sie sich zum Ausgang wandten und ein Taxi riefen. Jetzt, nachdem er allein hier stand, fühlte er die Tränen in sich aufsteigen, die er die ganze Zeit tapfer bekämpft hatte.
„Ich fass' es nicht." quietschte eine Stimme hinter ihm. Er fuhr herum und fühlte sich übergangslos umarmt.
„Izzy..." brachte er heraus und dann war es um seine Beherrschung geschehen. Seine Arme schlangen sich um den kleineren Körper seiner Schwester und er konnte seine Tränen nicht länger bändigen.
„Hey Brüderchen..." murmelte Izzy beruhigend und klopfte ihm auf den Rücken. „Wir verfrachten dich jetzt erst einmal in mein Auto, okay?"
Alec schniefte und wischte sich verlegen über die Augen, als er nach seinem Gepäck griff.
Seine Schwester grinste ihn an.
„Und dann will ich einen ausführlichen Bericht."
Alec musste zwischen den Tränen lachen und folgte der jungen Frau nach draußen.
„Ich sollte wirklich sauer auf dich sein, Izzy. Wie konntest du das tun?"
„Willst du wirklich behaupten, du hast es bereut?" erkundigte sich Izzy scheinheilig. „Ich hab die Verabschiedung gesehen..."

Die nächste halbe Stunde hörte sich Izzy Alec's Geschichte an und stellte so für sich schon einmal fest, dass sie ihren Bruder noch nie so viele zusammenhängende Sätze auf einmal hatte sprechen hören... noch nie. Die Tränen die ihm dabei über die Wangen liefen, ignorierte sie erst einmal. Viel wichtiger war es erst einmal ihm zuzuhören. Sie konnte sich schon vorstellen, wie viele Tränen er noch vergießen würde, wenn er erst wieder im Haus bei seiner Frau wäre.
Izzy fuhr extra langsam, damit Alec genug Zeit hatte zu berichten und sich danach wieder zu beruhigen. Und was ihr Bruder zu erzählen hatte, war mehr als sie sich je erträumt hätte.
„Ich habe geglaubt, ich sterbe vor Angst." gestand er am Ende. „Aber jetzt bin ich traurig, dass es schon vorbei ist. Es war... schön."
Seine Schwester lächelte ihn kurz an, ehe sie wieder auf die Straße blickte.
„Und was hast du weggelassen?"
Alec wurde rot und verfluchte sich dafür.
„Nicht viel." murmelte er und musste kichern.
„Etwas, dass in direktem Zusammenhang mit diesem bronzefarbenen Prachtexemplar von einem Mann steht?"
„Wieso?" erkundigte sich Alec unschuldig. „Ich habe dir doch gesagt, dass er mir sehr geholfen hat mich zurecht zu finden... und so..."
„Brüderchen..." sagte Izzy trocken. „Glaub ja nicht, dass du mich so abspeisen kannst. Du hast ihn zum Abschied geküsst. Ich will alle schmutzigen Details hören."
Alec lachte und lehnte sich im Sitz zurück.
„Du hattest Recht, Izzy." gab er schließlich leise zu. „Ich war ein Idiot zu glauben, ich hätte keinen Spaß an Sex..."
Izzy bremste so abrupt, dass Alec in die Gurte geworfen wurde und parkte das Auto am Straßenrand. Dann drehte sie sich zu ihrem Bruder und sagte neugierig: „Jetzt will ich alles wissen."


Mit gemischten Gefühlen nahm Alec zwei Stunden später sein Gepäck entgegen und sah Izzy an. Diese schüttelte den Kopf.
„Ich komme garantiert nicht mit rein." erklärte sie rigoros.
Alec seufzte. Izzy hatte ihm erklärt, wie Camille getobt und geschrien hatte, als sie ihr von Alec's Reise erzählt hatte.Natürlich hatte seine Schwester keine Hemmungen zu erklären, dass sie all das geplant und ihren Bruder sozusagen ausgetrickst hatte. Es hatte nicht dazu beigetragen Camille's Laune zu verbessern und Alec hoffte, dass acht Wochen reichten, um sie sich abreagieren zu lassen.
„Ruf mich an." rief Izzy noch, ehe sie wieder ins Auto stieg und die Zündung startete.
Alec sah ihr nach, bis sie um die nächste Kurve verschwunden war, dann seufzte er und ging die wenigen Stufen bis zur Haustür hinauf.
Es war still im Haus. Er setzte die Tasche und den Rucksack im Flur ab und horchte verwundert. Camille musste schließlich wissen, dass er heute wieder kam und er konnte sich nicht vorstellen, dass sie nicht da war.
Er fand sie im Wohnzimmer. Sie stand am Fenster, schaute auf die Straße und hielt ein Glas Whisky in der Hand. Alec runzelte die Stirn, da er ihre strikte Weigerung so starken Alkohol zu trinken kannte.
„Hallo." sagte er leise.
Sie drehte sich langsam um und als er ihr Gesicht sah, wusste er, dass acht Wochen nicht gereicht hatten, um ihren Zorn zu beseitigen. Sein Körper straffte sich und er hob den Kopf. Schließlich war es nicht seine Schuld. Magnus' Worte kreisten durch seinen Kopf. Lass dich nicht unterkriegen. Lass nicht zu, dass sie dir die Schuld geben...
Camille registrierte durchaus seine gespannte Haltung.
„Alec..." murmelte sie und trank ihr Glas aus. „Wie schön dich auch mal wieder zu sehen."
„Du kennst die Umstände meiner Abwesenheit." antwortete er ruhig. „Izzy hat es dir erklärt, also erspare uns beiden jetzt bitte die Vorwürfe."
Ihr Unterkiefer klappte nach unten und sie goss sich schnell ihr Glas wieder voll. Erst dann sah sie ihn wieder an.
„Du hast mich acht Wochen allein gelassen."
Sie konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme zornig klang.
„Mir ist vollkommen klar, dass du darüber wütend bist." fuhr Alec fort. „Aber du weißt genauso, dass ich keine Möglichkeit hatte das zu verhindern."
„Du lügst!" schrie Camille. „An jeder verdammten Stelle dieses verdammten Planeten gibt es Transporte für den Notfall. Du hättest jederzeit darauf bestehen können diesen... Urlaub abzubrechen. Jeder, der die Umstände erfahren hätte, hätte dich sofort heimgeschickt."
Fassungslos bemerkte sie zwar, wie er zusammenzuckte, sich aber sonst keine Regung anmerken ließ. Das war neu. Der Alec, den sie kannte, sollte jetzt völlig verunsichert sein und nach einer Möglichkeit suchen sie wieder zu besänftigen.
„Alec hingegen fragte sich eher, ob das wirklich stimmte. An jeder Stelle? Und ja, Jocelyn hatte ihm die Möglichkeit angeboten wieder nach Hause zu fliegen. Aber er hatte niemandem Umstände bereiten wollen und dann... hatte er sich selbst beweisen wollen, dass er es schaffen konnte.
„Nun, du kennst mich doch." antwortete er ironisch. „Ich wollte niemandem zusätzliche Arbeit machen. Außerdem war ich kaum in der Lage klar zu denken... ein fremder Ort, fremde Menschen..."
Dafür schien er jetzt um so besser denken zu können... Camille kippte den Whisky hinunter.
„Du enttäuscht mich. Du hast uns enttäuscht. Ich habe immer gedacht du bist keiner dieser verantwortungslosen Kerle, die nur an sich selbst denken und denen egal ist, wie es ihren Ehefrauen geht."
„Ich hatte geglaubt acht Wochen reichen, um deinen Zorn verschwinden zu lassen. Wie ich sehe, ist das nicht der Fall."
Er seufzte und ging langsam auf sie zu.
„Camille, ich war entsetzt und ich hatte... Angst. Ich saß in einem Camp fest, mit fremden Menschen und einer kleinen Holzhütte..."
Seine Frau starrte ihn noch immer wütend an, doch er fuhr ungerührt fort.
„Aber ich habe es geschafft. Ich bin nicht zusammengebrochen. Ich habe acht Wochen in diesem Camp überlebt... und ich bin stolz darauf. Bitte lass uns nicht streiten."
Sie knallte das schwere Glas auf den Tisch.
„Du bist stolz? Was glaubst du, wie ich mich hier gefühlt habe? Eine Frau, dessen Mann sie einfach alleine lässt? Du hast mich mehr als enttäuscht und ich weiß nicht, ob ich dir das je verzeihen kann."
Alec sah sie ernst an und für einen Moment ging Camille auf, dass er sehr viel erwachsener wirkte, als noch vor acht Wochen.
„Das tut mir leid. Aber ich bin nicht in der Lage mich für irgendetwas schuldig zu fühlen."
Und er versetzte ihr noch einen größeren Schock, als er sich umdrehte und das Zimmer verlassen wollte. Mit einem Satz war sie hinter ihm und riss ihn an der Schulter wieder herum.
„Was denkst du eigentlich, was du jetzt tust?" schrie sie ihn an.
„Meine Taschen auspacken?"
Endlich sah sie einen Teil der alten Nervosität in seinen Augen und das beruhigte sie etwas.
„Ich denke nicht, dass unser Gespräch schon beendet ist."
„Ich schon." schockierte er sie wieder. „Weil ich keine Lust habe mir von dir Schuld einreden zu lassen."
„Ich denke, dass du eine Menge wieder gutzumachen hast." brüllte sie. „Du hast mich wie eine Idiotin dastehen lassen. Als eine Frau, die keine Kontrolle über ihren Mann hat."
Alec schluckte und zwang sich dazu sie ruhig anzusehen.
„Ist es das, was du immer wolltest? Kontrolle über mich? Den kleinen, naiven Alec, der ohne seinen Vater und seine selbstsichere Frau nichts auf die Reihe bekommt?"
„Was willst du damit sagen?"
„Ich will damit sagen, dass dein kleiner Alec ein bisschen erwachsener geworden ist."
Er legte eine Hand auf ihren Arm.
„Camille, bitte, versuch mich zu verstehen. Ich konnte an dem, was passiert ist, nichts ändern. Aber jetzt kann ich sagen, dass es gar nicht so schlecht war, einmal auf mich selbst gestellt zu sein. Auf alle Fälle möchte ich nicht den Rest meines Lebens mit Schuldzuweisungen verbringen."
„Das ist doch wohl die Höhe." fauchte sie gereizt. „Du solltest für das, was du mir angetan hast, am Boden zerstört sein. Und es hat dir auch noch Spaß gemacht, was? Zu wissen, dass du meine Gefühle mit Füßen trittst. Hast du dich gut darüber amüsiert? Habt ihr euch totgelacht?"
„Camille!" sagte er scharf und sein Herz zog sich zusammen, als er sie so reden hörte. Ihm war völlig unverständlich, wie sie so von ihm reden konnte. Wenn er an die ersten Tage im Camp dachte und sich an seine Angst erinnerte... Er wäre nie fähig gewesen über sie zu lachen... nie.
„Was zum Teufel ist los mit dir? Warum trinkst du?"
„Ich mache auch, was ich will. Mein Mann tut es ja auch." schrie sie zurück.
Er hatte ihren Stolz verletzt. Plötzlich war ihm das mit absoluter Gewissheit klar. Und er wusste genauso, dass es keinen Sinn hatte jetzt weiter mit ihr zu diskutieren. Er drehte sich wieder um und wollte endgültig das Zimmer verlassen.
„Wir sind noch nicht fertig!" keifte sie ihm hinterher. „Ich will eine Entschuldigung! Ich habe so ein Benehmen nicht verdient nach all dem, was ich für dich getan habe."
Alec drehte sich langsam wieder um.
„Ich sehe keinen Grund, wofür ich mich entschuldigen müsste. Und ich sehe auch weniges, dass du für MICH getan hast."
Übergangslos holte sie aus und schlug ihm ins Gesicht...

Mit ein bisschen HilfeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt