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„Willkommen zurück, Tia. Du hast uns einen ganz schönen Schreck eingejagt."
Tias Lippen öffneten sich zu einem stummen Schrei. Gleichzeitig robbte sie mit panisch geweiteten Augen an die Wand, als sie den Vampir neben ihrem Bett sah.
Sofort wich Baran ebenfalls ein Stück zurück und hob abwehrend die Hände.
„Ganz ruhig, Tia. Ich tue dir nichts."
Zögernd sah die junge Frau sich in der Zelle um. Ihr Blick blieb am Lichtschacht hängen, durch den kaum noch Licht viel.
Behutsam ging Baran wieder einen Schritt auf Tia zu. „Du warst einen ganzen Tag bewusstlos."
Tias Lippen bewegten sich, doch es kam kein Ton heraus. Sie biss sich auf die spröden, teilweise schon aufgesprungen Lippen.
„Durst", brachte sie schließlich einem Krächzen gleich hervor.
Der Hauptmann wandte sich um, trat an den Tisch und füllte einen Becher mit Wasser.
„Hier. Trink. Das wird dir guttun." Er hielt Tia den Trinkbecher an den Mund, doch erneut weiteten sich ihre Augen angstvoll und sie presste die Lippen zusammen.
Baran runzelte die Stirn. Dann schien er zu verstehen. „Es ist nur Wasser. Kein Wolfswurz."
Augenblicklich entspannte sich die junge Wandlerin. Bisher hatte der Vampir sie noch nie belogen.
Gierig begann sie zu trinken.
Als der Becher leer war, lehnte sich Tia erschöpft zurück.
„Hast du Hunger? Möchtest du etwas essen?"
„Ja. Bitte", antwortete Tia mit schwacher, kraftloser Stimme.
Baran lächelte. „Sehr gut. Das heißt, du bist auf dem Weg der Besserung. Ich hole dir etwas. Und auf dem Weg werde ich veranlassen, dass du dich erneut waschen kannst."
„Danke, Baran."
Tia wollte sich gerade zurück auf die Matratze sinken lassen, als ihr ganzer Körper erneut verspannte. Gehetzt blickte sie in Richtung der Zellentür. Ihre Ohren liefen auf einmal spitz zu und richteten sich nach vorne. Als sich die Tür öffnete, ging sie knurrend auf alle viere, drückte sich dabei erneut an die Wand.
Baran runzelte die Stirn und drehte sich um. Sogleich nahm er Haltung an.
„Hoheit..."
Simon nickte ihm zu und blickte mit gerunzelter Stirn zu Tia, ohne jedoch auf ihr Verhalten einzugehen.
„Ich glaube, ich komme gerade ungelegen." Fragend richtete er den Blick auf Baran.
„Sie ist gerade erst zu sich gekommen. Ich wollte ihr soeben etwas zu essen holen und ein Bad richten lassen."
Der König lächelte sacht. „Eine sehr gute Idee, Hauptmann. Lass auch saubere Kleidung für sie bringen und..." er krauste leicht die Nase. „...lass Sebastian eine frische Matratze, sowie eine neue Decke bringen."
Baran salutierte. „Zu Befehl, Hoheit."
Erst jetzt wandte Simon den Blick wieder zu seiner Gefangenen. Er musterte sie nachdenklich.
Noch immer saß Tia auf allen vieren regungslos in Verteidigungshaltung auf dem Bett. Selbst ihre Finger hatten sich inzwischen zu Krallen geformt.
Der König blieb ruhig an der Tür stehen. Die eine Hand glitt in seine Tasche, doch dann verharrte er.
„Ich komme später noch einmal vorbei. Dann werden wir reden."
Ohne eine Reaktion abzuwarten, drehte er sich um und verließ den Kerker.
Sobald er außer Sicht war, ließ Tia sich zurücksinken.
Erschöpft schloss sie die Augen. Die Finger an die Schläfen gelegt, atmete sie einige Male tief durch. Baran beobachtete fasziniert, wie sich Ohren und Krallen zurückbildeten, doch erst, als Tia die Augen öffnete, trat er wieder auf sie zu. „Dann mache ich mich jetzt auf den Weg. Bis gleich."

Baran hatte den Kerker gerade erst verlassen, als Leon ihm entgegenkam.
„Wolltest du mich nicht über Tias Zustand auf dem Laufenden halten?", brummte er unwillig.
„Ja. Doch bis eben hatte sich nichts daran geändert. Sie ist vor ein paar Minuten zu sich gekommen. Ich bin gerade auf dem Weg, ihr etwas zu essen zu holen und ein Bad richten zu lassen."
Leons Augen weiteten sich. „Sie ist jetzt erst zu sich gekommen?"
„Ja. Und ziemlich geschwächt. Und dann kam auch noch dein Vater dazu...".
Leon fauchte leicht. „Kann er sie nicht in Ruhe lassen – wenigstens bis es ihr besser geht?"
Barans Augen funkelten amüsiert. „Oh das hat er. Er ist unverrichteter Dinge wieder gegangen und will erst später noch mal kommen, um mit ihr zu reden."
Leon runzelte die Stirn. „Ich weiß nicht, ob mir das gefallen soll. Denkst du, dass von dem Mädchen aktuell Gefahr ausgeht?"
Sofort schüttelte Baran den Kopf. „Nein. Nicht so schwach, wie sie ist. Sie scheint auch bemüht, sich zu beherrschen."
„Gut. In dem Fall weise ich Nuri an, das Bad zu richten und ihr wenn nötig zu helfen. Das Mädchen brennt ohnehin darauf, die Wandlerin zu sehen. Sie liegt mir schon den ganzen Tag damit in den Ohren, wie es Tia geht."

Inzwischen war es so dunkel geworden, dass Baran eine Laterne in der Zelle entzündet hatte, die ein warmes Licht verströmte.
Zu erschöpft, um aufzustehen, hatte Tia den Eintopf, den der Hauptmann ihr gebracht hatte, im Bett verzehrt und sich dabei sogar von dem Vampir stützen lassen.
Die Schale war fast leer, als Tia schließlich den Löffel sinken ließ.
„Genug?", hakte Baran nach und nahm dem Mädchen die Schüssel ab, als es nickte.
Im nächsten Augenblick spannte sich die Wandlerin erneut an. Baran wandte seinen Blick schon besorgt zur Tür, als er registrierte, wie Tia sich wieder entspannte und neugierig, fast schon erwartungsvoll, zur Tür sah.
Als sich diese kurz darauf öffnete, lächelte das Mädchen sogar sacht.
„Hallo Tia, geht es dir besser?"
Mit einem Schmunzeln trat Leon neben das Bett und setzte sich ungezwungen auf die Kante.
Tia lächelte schwach, zuckte aber dann die Schultern.
„Ich bin übrigens Leon."
„Es geht... Mir... tut nur alles... weh", beantwortete sie dann doch noch Leons Frage.
„Dann trifft es sich ja gut, dass Nuri das Bad für dich gerichtet hat. Danach geht es dir bestimmt besser."
Tia blickte verwirrt zwischen den Vampiren hin und her.
„Nuri ist eine Dienerin hier im Schloss", erklärte Baran, zögerte dann kurz.
„Das Bad ist am Ende des Ganges. Wirst du dich benehmen oder muss ich dich auf dem Weg binden?"
Tia lachte trocken auf, was jedoch in ein Husten überging.
„Ich käme doch ohnehin nicht weit. Also nein: Ich werde Euch keine Probleme machen."
Baran nickte zufrieden. „Dann komm."
Kaum, dass Tia stand, schwankte sie bereits.
Sofort griff Leon an ihren Arm, um sie zu stützen, und selbst dann noch drohten Tias Beine unter ihr nachzugeben.
„Ich glaube, so wird das nichts, Baran."
Der Hauptmann nickte zustimmend. „Wenn du einverstanden bist, Tia, werden wir dich stützen."
Kurz huschte Tias Blick zu Leon. Verwundert sah sie ihn an. Sie verstand nicht, warum sie sich in der Gegenwart dieses Vampirs nicht nur sicher, sondern sogar wohl fühlte.
Erst mit etwas Verzögerung fiel ihr auf, dass sie Barans Frage noch nicht beantwortet hatte.
„Ich bin einverstanden."
Auf beiden Seiten von den Vampiren gestützt, verließ Tia die Zelle und sah sich neugierig um.
Vor der Tür wartete bereits Sebastian, der eine frische Matratze neben sich liegen hatte.
Je weiter Leon und Baran die Wandlerin den Gang entlang führten, desto sicherer und fester wurde ihr Schritt, sodass sie die letzten Meter schließlich ohne Hilfe bewältigte.
Am Ende des Korridors wartete bereits Nuri vor einer geschlossenen Tür. Fasziniert sah sie den Dreien entgegen.
„Es ist alles gerichtet, Prinz Leon", wandte sie sich an den Vampir, noch bevor dieser sie stoppen konnte.
Ruckartig wandte Tia ihren Kopf dem Prinzen zu. „IHR seid der Sohn des Mannes, der mich hat entführen lassen?"
Für einen Moment wollte sie vor ihm zurückweichen, doch stattdessen starrte sie ihn nur ungläubig an.
Leon zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Ja. Ich bin der Sohn von König Simon."
Seine Augen zuckten zu Nuri und er sah sie strafend an.
Betreten senkte das Mädchen den Kopf.
Langsam nickte Tia. „Danke, dass Ihr es mir gesagt habt, Hoheit."
Leon unterdrückte ein Stöhnen und seufzte frustriert. „Du kannst ruhig Leon zu mir sagen."
Tia lächelte sacht. „In Ordnung... Leon."
Baran stieß die Tür zum Bad auf.
„Schaffst du es alleine, oder soll Nuri dir helfen?"
Tia zögerte einen Moment. „Ich glaube, es geht schon."
Der Hauptmann nickte nur. „In Ordnung. Ich warte vor der Tür. Nuri, du kannst Tia frische Kleidung besorgen."
Dankbar über diese Privatsphäre trat Tia in den Raum. Nur kurz zuckte sie zusammen, als die Tür sich hinter ihr mit einem Klicken schloss, jedoch nicht verriegelt wurde.
Dann entledigte sie sich bereits der stinkenden Kleidung und ließ sich mit einem wohligen Stöhnen in das warme Wasser gleiten.
Für einen Moment erlaubte sie sich, die Augen zu schließen, die Ruhe und Wärme zu genießen und ihren Gedanken nachzugehen.
Der Hauptmann war vom ersten Moment an freundlich zu ihr gewesen. Aber was war das bloß mit diesem Leon, dem Prinzen? Warum nur entspannte sie sich sofort, kaum, dass er in ihrer Nähe war?
Und wie sollte sie den Traum deuten? Was wollte ihr die Mondgöttin nur sagen?
Sie sollte kooperieren. Da war die Göttin klar gewesen. Tia seufzte. Es war wohl wirklich das Sinnvollste in der aktuellen Situation.
Abrupt wurde Tia aus ihren Grübeleien gerissen, als jemand zaghaft klopfte.
„Ich bin es, Nuri. Darf ich reinkommen? Ich habe frische Kleidung dabei."
Erstaunt öffnete Tia die Augen und sah an sich hinab. Ihre Finger waren gerunzelt, ein klares Zeichen dafür, dass sie bereits länger als gedacht in dem warmen Wasser lag.
„Ja. Komm ruhig rein."
Die Tür wurde einen Spalt geöffnet und Nuri schlüpfte hindurch. In den Händen trug sie ein Bündel mit sauberen Sachen, die sie auf die schmale Holzbank legte, die an der Wand stand.
Dann sammelte sie die dreckige Kleidung auf.
„Brauchst du noch Hilfe?"
Tia schüttelte den Kopf. „Nein. Es geht mir schon wieder besser."
Nuri nickte nur und reichte der Wandlerin dennoch ein Handtuch.
„Und du bist wirklich ein Werwolf?"
Noch bevor Tia antworten konnte, erklang vom Gang ein mahnendes Räuspern.
Tia lächelte sacht. „Ja. Ich bin wirklich ein Werwolf."
Nuri begann zu strahlen. „Aber jetzt muss ich weiterarbeiten. Vielleicht darf ich dich ja mal besuchen?"
„Von mir aus gerne."

Die Julius-Chroniken - Teil 2: Die GeiselWo Geschichten leben. Entdecke jetzt