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Unruhig Schritt Leon in seinem Schlafzimmer auf und ab. Bereits in den frühen Morgenstunden war er – getrieben von einer seltsamen, unbekannten Unruhe – erwacht.
Und seit den Morgenstunden lief er nun rastlos in seinen Gemächern auf und ab. Schließlich trat er ans Fenster und sah hinaus zur aufgehenden Sonne.
Irgendetwas war anders. Das spürte er genau. Aber was das war, konnte er nicht festmachen. Etwas Derartiges hatte er noch nie gefühlt.
Erneut nahm er die Wanderung durch seine Wohnung auf, als es zaghaft klopfte.
Mit einem gereizten Knurren wandte er sich zur Tür.
„Herein", befahl er unwillig.
Zögerlich wurde die Tür geöffnet und ein kleiner, roter Haarschopf schob sich unsicher durch den Spalt.
Sofort entspannte dich Leon.
„Nuri!", grüßte er das Mädchen freundlich. „Komm ruhig rein."
Die junge Dienerin zögerte.
„Schon gut, Nuri", versuchte der Prinz sie zu beruhigen. „Es ist alles in Ordnung. Ich spüre nur eine Veränderung und kann sie noch nicht so recht einordnen."
Langsam öffnete Nuri die Tür weiter und schlüpfte hindurch. In der Hand hielt sie einen goldenen Kelch mit Blut.
„Hier, Euer Frühstück, Hoheit."
Leon leerte ihn in einem Zug und reichte Nuri den leeren Becher zurück. „Das hat gut getan."
Erstaunt musterte das Mädchen ihren Dienstherren. „Ihr seid ja schon angezogen, Prinz Leon!"
Der Vampir grinste leicht. „Ich habe dir doch gesagt, dass ich mich schon alleine anziehen kann, kleine Nuri."
Dann wurde er jedoch wieder ernster. „Ich konnte nicht mehr schlafen. Irgendetwas ist geschehen. Hast du etwas gehört?"
Sofort begann Nuri zu strahlen und sie nickte eifrig. „Ja, Leon. Vor einigen Stunden sind Fürst Levin und die Krieger zurückgekehrt. Hauptmann Baran ist aber erst etwas später nachgekommen."
Der Prinz lächelte, als Nuri ihn derart zwanglos beim Vornamen nannte. Dann blitzten seine Augen jedoch vor Freude auf.
„Sie sind zurück? Hatten sie jemanden dabei?"
Nuri zog die Nase kraus. „Das weiß ich nicht, Hoheit. Aber als ich eben Euer Blut geholt habe, war auch Sebastian in der Küche. Er wollte ein Frühstück für jemanden im Kerker holen."
„Ja!", rief Leon begeistert aus und klatschte vor Freude in die Hände. „Dann waren sie erfolgreich und wir haben jetzt eine echte Werwölfin als Gefangene, Nuri!"
Das Mädchen wurde etwas blass. „Ist das nicht gefährlich?"
Leon winkte ab. Noch kann sie sich nicht wandeln. Und da wir dafür Sorge tragen werden, dass das auch so bleibt, besteht keine Gefahr. Außerdem sitzt sie gut bewacht im Kerker. Aber jetzt möchte ich mit Baran reden, wie es gelaufen ist. Kannst du bitte hier noch aufräumen? Danach kannst du in mein Büro kommen. Ich habe heute einiges nachzuholen."
Kaum, dass sich die Tür hinter dem Vampir geschlossen hatte, sah Nuri sich prüfend um.
Leons Gemächer in Ordnung zu bringen war eine der angenehmsten Aufgaben. Viel zu tun gab es hier meist nicht, da der Prinz sehr ordentlich war. Zuversichtlich machte sie sich an die Arbeit.

Leon wollte gerade die erste Treppenstufe hinabsteigen, als ihm ein Diener in Livree entgegen kam und sich vor ihm verneigte.
„Guten Morgen, Hoheit. Euer Vater erbittet Eure Anwesenheit in seinem Büro."
Leon schnaubte frustriert. Doch dann nickte er dem Mann zu.
Wenn sein Vater nach ihm verlangte, mussten seine eigenen Pläne eben warten.
Missgelaunt ging er zum Büro seines Vaters.
„Guten Morgen, Vater. Du wolltest mich sprechen?"
Leon schloss die Tür und setzte sich seinem Vater gegenüber.
Simon nickte ihm zu, wirkte jedoch ziemlich müde.
„Guten Morgen Leon. Ich wollte dich nur darüber informieren, dass wir heute Nacht erfolgreich waren."
Leon grinste verschmitzt. „Das habe ich bereits gehört Vater. Bist du deshalb so müde?"
Simon runzelte die Stirn. „Wie konntest du davon erfahren?"
„Nuri hat es angedeutet."
Der König hob amüsiert die Augenbraue.
„Der burginterne Nachrichtendienst scheint also noch immer zu funktionieren. Aber wie konnte deine kleine Dienerin davon erfahren?"
„Nuri war zufällig in der Küche um mein Blut zu holen, als Sebastian das Frühstück für eine Gefangene anforderte. Den Rest habe ich mir dann selbst zusammengereimt."
Entspannt schlug Leon ein Bein über das andere. „Eigentlich war ich gerade auf dem Weg zu Baran. Ich wollte ihn fragen, wie der Einsatz gelaufen ist."
„Nachdem die Truppe zunächst erfolglos zurückkehren musste, weil das Dorf verlassen war, habe ich sie noch mal losgeschickt.
Es dauerte auch gar nicht lange und sie konnten das Mädchen ergreifen."
Leon runzelte die Stirn. „Was für ein seltsamer Zufall, dass das Mädchen dort aufgetaucht ist, Vater."
Simon sah ihn unschuldig an. „Nicht wahr? Wirklich eine glückliche Fügung. Nun, wie auch immer. Die Wandlerin hat sich natürlich mit Händen und Füßen gewehrt. Sie hat es sogar geschafft, Fürst Levin und drei Krieger zu verletzen."
Der Prinz stieß einen anerkennenden Pfiff aus. „Um den Fürsten zu verletzen braucht es nicht viel. Er ist kein Kämpfer. Aber die Krieger? Dazu gehört schon einiges."
„Ich habe übrigens Baran dazu eingeteilt, das Mädchen zu bewachen. Du wirst ihn daher wohl am ehesten im Kerker finden."
Leon lächelte und stand auf. „Danke Vater, dann gehe ich jetzt zu ihm."

Sorgfältig verriegelte Baran die Zellentür.
Er warf einen letzten Kontrollblick durch das vergitterte Fenster, doch Tia saß unverändert auf dem Bett, das Holzherz an sich gepresst.
Verwundert schüttelte er den Kopf und schloss die Klappe.
Langsam und bedächtig drehte er sich zu Sebastian um. „Kein Wort zu niemandem über das, was gerade geschehen ist. Haben wir uns verstanden?"
Sofort nahm Sebastian Haltung an und salutierte. „Ich werde schweigen, Hauptmann."
Gemeinsam verließen sie den Keller, wobei Baran die Arme ineinander verschränkte, damit man seinen zerrissenen Ärmel nicht sofort sah.
„Ihr blutet, Hauptmann."
Baran zuckte nur leicht die Schultern und grinste verschmitzt. „Halb so wild. Nur ein Kratzer."

Die Bürotür seines Vaters hatte sich noch nicht wieder vollständig geschlossen, als Leon erneut von einer inneren Unruhe befallen wurde.
Je näher er dem Kerker kam, desto größer wurde sie.
Im Erdgeschoss angekommen blieb er stehen und schüttelte irritiert den Kopf. Was war nur los mit ihm?
Leon atmete tief durch. Dann bog er in den Gang zum Kerker ein und stieß fast mit Baran zusammen, der ihm entgegen kam.
Der Hauptmann zischte leicht auf, als Leon an seinen Arm stieß.
Überrascht sahen die beiden Männer sich an.
„Hat das Werwolfmädchen dich etwa auch verletzt, Baran? Mein Vater hat nur von drei Kriegern gesprochen."
„Dir auch einen guten Morgen, Leon. Ja, sie hat mich erwischt. Aber alles halb so wild. Nur ein Kratzer."
Leon schüttelte den Kopf. „Du weißt, wie leicht sich Werwolfkratzer entzünden. Komm hier rein."
Der Prinz öffnete eine unscheinbare Tür und zog seinen Freund mit sich.
Baran winkte ab. „Es ist wirklich nicht schlimm. Das Mädchen ist ohnehin noch kein vollwertiger Werwolf. Sie kann sich ja noch nicht einmal wandeln. Wobei .... Langsam bin ich mir da nicht mehr so sicher.
Der Raum hinter der Tür entpuppte sich als kleines Behandlungszimmer für verletzte Krieger.
Verblüfft sah Leon Baran an. „Was meinst du mit: Du bist dir nicht sicher?"
Auf ein Nicken hin schob Baran seinen Ärmel zurück. Über den ganzen Unterarm zogen sich vier tiefe Kratzer, die noch immer bluteten.
Leon pfiff leise. „Das sieht nicht wie ein einfacher Kratzer aus, Baran."
Der Hauptmann nickte. „Das ist es ja, was ich meine. Das sind Kratzer von Krallen. Ihre Finger waren zu Krallen geformt, als das passiert ist."
Leon drehte sich um und holte eine Phiole aus einem Regal.
„Auch als wir sie gefangen haben, waren ihre Finger Krallen. Garin das deutlich zu spüren bekommen."
„Hast du sie dazu befragt?", hakte Leon nach, während er die Flasche entkorkte.
„Das wird jetzt übrigens wehtun."
„Ich weiß." Baran biss die Zähne zusammen und sog scharf die Luft ein, als Leon das Wolfswurz über die Wunden träufelte.
„Das sollte reichen." Leon griff nach einem Tuch und verband damit Barans Unterarm.
„Nein. Ich habe sie nicht gefragt. Ich bezweifle auch, dass sie uns Antwort geben würde.
Und das nicht nur, weil sie dazu viel zu geschwächt ist. Das Wolfswurz scheint bei ihr Schmerzen auszulösen. Daher habe ich für den Moment auf eine weitere Dosis verzichtet. Die Kleine tut mir irgendwie Leid."
Leon lachte leise. „Manchmal frage ich mich wirklich, wie du Hauptmann werden konntest. Du bist viel zu nett. Aber jetzt erzähl erst einmal der Reihe nach. Ich will alles wissen."

An die Behandlungsliege gelehnt, begann Baran zu berichten.
„Dein Vater weiß übrigens nichts von dem Herz", beendete er schließlich seine Erzählung. Eigentlich wollte ich erst mehr über das Teil herausfinden. Aber dann im Kerker; es hat sich einfach richtig angefühlt, ihr das Ding zu geben."
Leon zuckte die Schultern. „Es scheint dem Mädchen zumindest wichtig genug zu sein, um sich ruhig und gefügig zu verhalten. Und du kannst es ihr jederzeit wieder abnehmen."
Baran seufzte und kratzte sich am Kopf. „Ich weiß nur nicht, wie ich das deinem Vater erklären soll."
Leon winkte ab. „Erst einmal gar nicht. Ich glaube nicht, dass er so bald nach ihr sehen wird. Und wenn er wirklich danach fragen sollte, dann sagst du ihm eben, dass ich dich angewiesen habe ihr das Teil zu geben."
Baran grinste leicht. „Also wie in alten Zeiten."
Leons Mundwinkel zuckten verdächtig.
„Aber jetzt bring mich zu ihr. Ich möchte sie sehen."
Baran stand auf und griff nach einer kleinen Phiole.
„Dann komm. Ich sollte ohnehin kontrollieren, ob ich ihr eine weitere Dosis Wolfswurz geben muss. Dein Vater will, dass sie sich auf keinen Fall wandelt."

Die Julius-Chroniken - Teil 2: Die GeiselWo Geschichten leben. Entdecke jetzt