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Kopfschüttelnd blickte Baran auf das Mädchen. Sie tat ihm leid, wie sie so schwach und kraftlos am Boden lag.
Kurz wandte er den Blick zum Gang.
„Ich denke, du kannst die Kette wieder verlängern, Sebastian."
Es rasselte, als die Wache dem Befehl nachkam, doch Tia blieb weiterhin reglos.
Nachdenklich trat Leon neben seinen Freund.
„Was ist mit ihr?"
Baran zuckte die Schultern, stockte aber, als Tia leicht den Kopf hob.
„Ich weiß es nicht. Sie scheint einfach nur erschöpft."
„Mein Vater hat recht. Sie sollte wirklich etwas essen."
Ruhig und bedächtig trat Leon auf Tia zu.
Baran wollte ihn schon aufhalten, als er bemerkte, wie Tia sich mehr und mehr entspannte.
Dicht vor dem Mädchen ging der Prinz auf sein Knie.
„Kein schönes Gefühl, was mein Vater mit dir gemacht hat. Hm?"
Tia wandte ihm ihren Blick zu und schüttelte stumm den Kopf.
Angespannt beobachtete Baran, wie sich sein Freund noch weiter vorbeugte.
Ohne sich daran zu stören, reichte dieser der jungen Frau die Hand.
„Komm. Du musst Hunger haben."
Erneut schüttelte Tia den Kopf.
Leon runzelte irritiert die Stirn.
„Aber du musst etwas essen."
Widerwillig ließ Tia sich von dem Vampir hochziehen und zum Tisch führen. Doch allein beim Anblick des Eintopfs begann sie, schwer zu schlucken.


Nun trat auch Baran neben sie. „Iss wenigstens ein kleines bisschen. Dann kann ich dem König sagen, dass du gehorcht hast."
Zögernd setzte Tia sich hin. Mit sichtlicher Überwindung ergriff sie den Löffel und führte ihn zum Mund. Doch bereits nach drei Bissen legte sie ihn wieder weg.
„Es geht nicht. Ich kann nicht mehr essen."
Die beiden Vampire seufzten zeitgleich auf.
„Dann trink zumindest etwas."
Leon schob ihr einen Becher mit Wasser zu. Doch auch diesen setzte sie nach nur zwei Schlucken wieder ab.
Besorgt wechselten die Männer einen Blick miteinander.
Dann griff Baran in seine Tasche und holte eine Phiole hervor.
Augenblicklich weiteten sich Tias Pupillen und sie wurde noch blasser, als sie ohnehin schon war. Ein starkes Zittern überlief ihren Körper, während sie heftig den Kopf schüttelte und zurückwich.
„Bitte. Kein Wolfswurz", flehte sie die Männer an. „Ich..." Tia zögerte einen Moment. „Ich werde auch keine Probleme machen. Ich verspreche es."
Bedauernd schüttelte Baran den Kopf. „Ich kann mich nicht gegen die Anweisung des Königs stellen. Es führt kein Weg daran vorbei."
Er öffnete die Phiole und ließ einige Tropfen in den Becher fallen.
„Trink, Tia. Es ist stark verdünnt. Aber mehr kann ich nicht für dich tun."
Erneut schüttelte Tia panisch den Kopf. „Bitte. Ich flehe Euch an. Zwingt mich nicht dazu."
Leon trat neben Tia.
„Wenn Baran meinem Vater meldet, dass du dich weigerst, das Mittel zu nehmen, wird er dich dazu zwingen. Du hast bereits am eigenen Leib erfahren, dass er das kann. Nur wird er dich dann stärkeres Wolfswurz trinken lassen. Nimm also Barans Angebot an. Mehr entgegenkommen können wir dir nicht bieten."
Mit großen Augen sah Tia den jungen Vampir an. Sie konnte sich selbst nicht erklären warum, doch aus irgendeinem Grund vertraute sie Leon.
Mit zittrigen Händen griff sie nach dem Becher und nahm einen kleinen Schluck.
„Weiter", forderte Baran das Mädchen ruhig auf.
Mit Tränen in den Augen trank Tia weiter.
Der Becher war noch nicht zur Hälfte geleert, als er scheppernd zu Boden fiel und Tia vor Schmerz aufschrie.
Wie die letzten Male begann ihr Körper heftig zu krampfen. Plötzlich kippte sie zur Seite. Noch bevor Tia auf dem Steinboden aufschlagen konnte, fing Baran sie auf und trug sie zum Bett.
„Ich verstehe diese heftige Reaktion einfach nicht. Und ich hoffe, dass dein Vater Wort hält und ihr bald dieses Holzherz wieder gibt. Es scheint sie wirklich zu beruhigen. Vielleicht hilft es ihr auch in anderer Hinsicht."
„Das hoffe ich auch. Wenn nicht, werde ich mit ihm reden."
Baran beugte sich über Tia und deckte sie sorgsam mit der dünnen Decke zu.
Als er dabei ihren Arm strich, fluchte er.
„Verdammt. Was ist jetzt los? Sie glüht regelrecht. Und ihr Puls rast."
Leon fauchte und legte seine kalte Hand auf die heiße Stirn. „Sie fiebert. Wir müssen versuchen, ihren Körper zu kühlen."
Baran stieß ein unwilliges Brummen aus.
„Ich werde mich darum kümmern. Aber du solltest gehen und deinen Pflichten nachkommen."
„Als ob ich mich jetzt darauf konzentrieren kann." Leon lachte trocken auf.
„Dennoch musst du es versuchen. Es ist nicht normal, wie du auf diese Wandlerin reagierst. Am Ende erfährt dein Vater noch davon, wenn deine Arbeit liegen bleibt."
Verärgert schlug Leon gegen die Wand.
„Du hast recht, Baran. Das kann ich gerade nicht brauchen. Aber du wirst mich informieren, sobald sich an ihrem Zustand irgendetwas ändert."
Während Leon zurück in sein Büro kehrte, holte Baran einen Eimer mit kaltem Wasser und einige Tücher. Dann zog er sich den Stuhl heran und begann, Tias Arme und Beine kalt abzureiben.
Ohne davon aufzuwachen, stöhnte die Wandlerin leise.
Schließlich legte Baran ihr ein feuchtes Tuch auf die überhitzte Stirn und rief Sebastian zu sich.
„Bleib bei dem Mädchen und kümmer dich um sie. Sie scheint Fieber zu haben."
Die Wache nahm Haltung an. „Zu Befehl, Hauptmann."
Baran stand auf und sah prüfend auf die bewusstlose Frau.
„Sollte sie zu sich kommen, verlässt du die Zelle und informierst mich. Ich will kein Risiko eingehen, dass sie dich verletzt."

Die Julius-Chroniken - Teil 2: Die GeiselWo Geschichten leben. Entdecke jetzt