23.

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Nuri schloss für einen Moment die Augen, um sich zu besinnen. Dann begann sie, zu erzählen.

Es war einmal in einer kalten Winternacht tief im Wald und der blaue Mond stand hell leuchtend am Himmel. Natürlich war der Mond nicht wirklich blau, doch seit Anbeginn der Zeit gaben die Kinder des Mondes ihrem Gefährten diesen Namen, wenn er zum zweiten Mal in einem Monat voll am Himmel erstrahlte. Denn man sagte ihm besondere Kräfte nach und so war er auch etwas Besonderes.
Verborgen und geschützt in einer warmen Höhle brachte die Luna ihr erstes Kind auf die Welt. Derweil fiel draußen im Wald der Schnee in dicken Flocken vom Himmel und hüllte die Welt in ein weißes Kleid.
Mit dem Welpen auf dem Arm trat die Luna in die eisige Nacht. In warme Felle gehüllt hielt sie ihn empor, dem Mond entgegen.
„Sieh, mein Sohn. Der blaue Mond leuchtet über dir. Er wird immer dein Freund sein und dich beschützen."
Obwohl noch keine Stunde alt, befreite das Kind seine Arme aus der wärmenden Decke und reckte sie der hell leuchtenden Scheibe entgegen.
Als die Luna aus der Ferne das Heulen einer einsamen Wölfin hörte, barg sie ihr Kind an ihrer Brust. Fest drückte sie das zappelnde Bündel an sich. Doch je dichter sie das Kind an sich presste, desto stärker zappelte der Welpe in ihren Armen, bis die junge Mutter nachgab und ihr Kind in den weißen Schnee setzte.
Da tauchte am Ende der Lichtung eine schneeweiße Wölfin auf. Ihr Fell leuchtete im Schein des Mondes, als sie sich langsam und bedächtig der Mutter und ihrem Kind näherte.
Erschrocken beugte sich die Luna nach unten um ihr Kind vor der fremden Wölfin zu schützen. Sie stieß ein drohendes Knurren aus. Da erklang in ihrem Kopf eine sanfte, glockengleiche Stimme.
„Fürchte dich nicht, mein Kind. Lass mich meinen jüngsten Sohn kennenlernen."
Da erkannte die Luna die Mondgöttin und verneigte sich respektvoll vor ihrer Mutter.
Sanft hob sie ihren Sohn hoch und trug ihn zu der weißen Wölfin, die ihn sanft ableckte.
Sowie sie über das Gesicht des Welpen leckte, wurde sein dichtes, schwarzes Haar schneeweiß.
„Du hast heute ein besonderes Kind auf die Welt gebracht, Noreia. Dein Sohn wurde in der Nacht des blauen Mondes geboren und wird sich auch in der Nacht eines blauen Mondes zum ersten Mal wandeln. In der Nacht seines sechzehnten Geburtstages wird er zu einem starken und kräftigen Wolf werden. Doch um dieser Stärke standhalten zu können, wird seine Wandlung bereits mit dem schwarzen Mond einsetzen. Zwölf Tage, bevor er seine von mir bestimmte Aufgabe antritt, wird sein Körper sich bereits in der Wandlung üben. Mit dem Neumond vor seinem großen Tag wird er beginnen, sich immer wieder teilweise zu wandeln. Doch sei gewarnt: Werden diese Teilwandlungen verhindert, so wird Artaios erst krank werden und schließlich sterben. Die erste Wandlung darf nicht gestört werden."
Entsetzt blickte Noreia die weiße Wölfin an. Dann legte sie den Jungen vor der Mondgöttin auf die Erde. „Ich bitte dich um den Schutz meines Jungen, Mondgöttin." Die Mutter aller Mütter legte sich neben den Säugling und wärmte ihn mit ihrem Körper.
Erneut erklang ihre Stimme in Noreias Kopf. „Dein Sohn soll den Namen Artaios tragen. Dies ist ein Name, der einem Wolf wie ihm würdig ist. Nimm jetzt deinen Jungen und stelle ihn seinem Rudel vor. "
Die Luna verneigte sich vor ihrer Mutter und wickelte den Jungen erneut in die wärmenden Felle. Als sie wieder aufsah, war die weiße Wölfin verschwunden.

Artaios wuchs zu einem hübschen, jungen Mann heran. Stets war er gütig und gerecht. Und trotz seiner Jugend hatte der zukünftige Alpha allzeit ein offenes Ohr für jeden.
Doch die Vampire, die jenseits des Waldes lebten, waren böse und grausam. Sie fürchteten die Macht, die von Artaios ausgehen würde und so bezirzte der König der Vampire den Jungen, aufdass seine Krieger den Jungen entführen konnten. Dies geschah in der Nacht des schwarzen Mondes. Sie sperrten Artaios in den dunkelsten Kerker und gaben ihm Wolfswurz, um ihn zu schwächen.
Da Artaios aber ein besonderer Werwolf war, hatte das Gift auch eine besondere Wirkung auf ihn. Kaum, dass es seine Lippen berührt hatte, wurde der Junge von Krämpfen geschüttelt und litt große Schmerzen.
Doch der König der Vampire hatte kein Einsehen und so wurde Artaios krank. Je näher die Nacht des blauen Mondes kam, desto schwächer wurde der junge Wandler.
Der König aber hatte eine Tochter. Die war im gleichen Alter wie Artaios. Sie war jung und schön. Ihr Haar war lang und schwarz wie Nachtholz. Man nannte sie Annea.
Annea spürte Artaios Qualen. Und so schlich sie sich des Nachts heimlich in seinen Kerker. Als sie den Werwolf da liegen sah, schwach und krank auf seinem Lager, verliebte sie sich in den Wandler und befreite ihn. Sie reichte ihm einen stärkenden Trank, auf dass er schnell zu Kräften käme. Und Artaios danke es ihr, indem er sie nicht angriff, denn auch er hatte sich in die junge Prinzessin verliebt.
Und obwohl ihre Völker in ewigem Krieg miteinander lagen, beschlossen sie, zusammen zu bleiben.
Noch in dieser Nacht flohen Annea und Artaios und waren nie wieder gesehen.
Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.


Die Julius-Chroniken - Teil 2: Die GeiselWo Geschichten leben. Entdecke jetzt