Das Sahnehäubchen

102 2 10
                                    

* ** **

Die feinen Härchen in Atsumus Nacken schnellten alarmiert in die Höhe. Das hässliche Knarren, als sich das alte Holzregal von der Wand löste, ging dem kleinen Füchschen buchstäblich durch Mark und Bein. Starr vor Schreck entwich ihm ein ersticktes Fiepen, panisch krallten sich die Pfötchen in das Holz. Seine schlotternden Hinterbeinchen, die gerade noch einigermaßen Halt gefunden hatten, rutschten dagegen wieder ab, sodass sein pelziger Hintern abermals gefährlich in der Luft baumelte.

So kam es, dass Atsumu hilflos und Arsch voran dem Boden entgegen segelte.

Heilige Haselnuss! Dieser kam ihm schnell näher. Viel zu schnell für Atsumus Geschmack! Zwar ließ er es gerne ausgiebig und laut krachen, aber nicht in dieser ganz und gar ungünstigen Konstellation. Vor allem nicht, wenn es seinem kostbaren Fuchsleben dermaßen an den Kragen ging. Er, Atsumu, war viel zu flauschig, schön und talentiert, um jetzt schon das Zeitliche zu segnen! Und ganz bestimmt nicht, bevor er die Chance bekam, Kita-san seine unendliche, nie enden wollende Liebe zu gestehen! Ach ja, seinen Bruder musste er bei Gelegenheit auch noch retten. Hoppla...

Ein gewaltiges Rumpeln hallte durch das Kellergewölbe. Krachend und viel zu laut für die empfindlichen Fuchsohren purzelten nach und nach die begehrten Vorräte aus dem Regal. Konserven, Tüten, Flaschen und Gläser fielen auf den harten Boden, wo der Großteil davon grandios zu Bruch ging.
Trotz seiner misslichen Lage trauerte Atsumu den Leckereien sogleich hinterher. Der fruchtig-süße Duft der selbstgemachten Marmelade ließ dem Fuchs sofort das Wasser im Mäulchen zusammenlaufen. Dennoch gelang es dem Fellball irgendwie, sich zunächst weiter darauf zu konzentrieren, seinen pelzigen Arsch in Sicherheit zu bringen.
Genau in dem Augenblick, als das Regal aus seiner letzten hauchdünnen Verankerung brach und nun endgültig in Richtung Boden sauste. Der Moment, in dem Atsumu seine verbleibenden Kraftreserven sammelte.

„Woahahhaha~", brüllte er aus voller Lunge. „Wuhuhuuuuuu!"
Kräftig stieß er sich mit den Vorderpfoten von dem Regalboden ab, federte schwungvoll in die Luft und schaffte es, begleitet von einem weiteren gewaltigen Brüllen aus der Reichweite der Todesfalle kopfüber in Sicherheit zu fliegen. Sein Sturz wurde von einigen prall gefüllten Reissäcken abgefangen.
Danach drehte sich erst einmal alles vor Atsumu Augen. Ihm war furchtbar schwindelig, in seinen Ohren dröhnte es und eine riesige Staubwolke brachte das Füchschen ausgiebig zum Niesen. Derweil donnerte das Regal endgültig zu Boden. Eine allgegenwärtige Erschütterung ließ Atsumu erbeben. Jammernd kniff er seine Augen zusammen. Instinktiv drückte er sich tiefer zwischen die Reissäcke. Seine Ohren zuckten aufgeregt, nahmen jeden noch so winzigen Laut in sich auf.

Irgendwann legten sich sowohl der Staub als auch das Knacken, Rascheln und Knistern um ihn herum. Atsumus Herz trommelte wild in seiner kleinen Brust. Bereit, jederzeit wieder abzutauchen, lugte er nach einer Weile vorsichtig aus seinem Versteck. Lauschte, schnupperte. Wartete gespannt, ob sich aus dem Inneren der Wohnhöhle etwas tat. Aber entweder war dieser Suna taub oder gerade anderwärtig beschäftigt.

Womit, daran wollte Atsumu gar nicht denken.

​​​​​​​Der Gedanke an seinen Bruder trieb Atsumu schließlich aus dem Unterschlupf. Hoffentlich wusste sein liebeskranker Bruder es später ordentlich zu schätzen, dass er hier sein Leben für ihn riskierte! Noch hatte Atsumu allerdings absolut keine Ahnung, wie er von hier aus in die Wohnhöhle Kitas gelangen sollte. Auf die Idee, dass ihn Tsukki eventuell verarscht haben könnte, nun, mit leerem Magen ließ es sich eben verdammt schwer denken.

Grummel! Grummel! Grummel!

Ein verzweifeltes Grummeln aus den Tiefen seines Bäuchleins entlockte dem Fellknäul ein mitleidiges Jammern. Kaum war der erste Schock überwunden, fiel ihm wieder ein, warum er überhaupt erst auf Klettertour gegangen war! Und sieh da, wie magisch angezogen, folgte das Füchschen prompt seiner Nase.
Keine Minute später labten sich seine Geschmacksknospen an herrlich süßer Marmelade. Vorsichtig stupste Atsumu zunächst seine rechte Pfote in die Kostbarkeit, schnupperte und schleckte die tiefrote Leckerei dann vergnügt von seinem Pfötchen.
„Kyaaaaaaaaa!" Verzückt lief ihm schnell der Sabber von der Schnute. Ausgiebig verschlang er die Reste, die sich glücklicherweise noch in dem zerbrochenen Glas befanden. Süß und fruchtig. Ein Träumchen für einen ausgehungerten Waldbewohner. Allein die Vorstellung, dass Kita-san die Marmelade eigenhändig hergestellt haben könnte, machte das Erlebnis umso süßer. Kita-san, mit seinen sanften Händen. Wenn doch nur Atsumu in deren Genuss kommen könnte...

Gedankenverloren stöberte er nach weiteren Vorräten, die den Sturz unbeschadet überstanden. Atsumsu Freude kannte keine Grenzen, als er auf einen der unzähligen Reissäcke tatsächlich den Schinken aus dem Regal entdeckte.
„Oh ho!?", machte er ungläubig. Vorsichtshalber rieb er sich über die Augen, aber der Schinken blieb, wo er war. Noch mehr Sabber sammelte sich in seinem Maul. Während er voller Eifer auf das sogenannte Sahnehäubchen auf dem Eisbecher entgegen hopste, sog er genüsslich den verlockenden Duft des fleischigen Leckerchens ein.

Dieses Mal nahm sich Atsumu Zeit. Samu würde mit Sicherheit verstehen, dass er sich für die nächste Rettungsaktion erst einmal stärken musste. So schnappte er sich den Schinken, machte es sich auf den recht passablen Stoff der Reissäcke bequem und vernaschte den fleischigen Hochgenuss auf ausgiebigste Art und Weise.
Es schmeckte köstlich! Zart, saftig, deftig. Feinstes Fleisch! So etwas Gutes hatte er noch nie gefuttert. Im Geiste bat er seine Eltern stumm um Verzeihung, aber gegen diesen Leckerbissen kam nichts an! Da seine Familie leider nicht gemeinsam mit ihm diese Erfahrung teilen konnte, aß er gleich für die gesamte Sippe der Miya-Fuchs-Familie mit. Was war er doch für ein wunderbarer Sohn und Bruder!

Leider gönnte ihm das Schicksal seinen Fund nicht. Atsumu war geradeswegs dabei den letzten Bissen zu vertilgen, da ertönte hinter einen der Fässer eine amüsante Stimme.

„Knacki~ Knacki~ Na sieh einmal an, da ist aber jemand ganz schön verfressen~"

* ** **

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 05, 2023 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

Zwei Fuchswelpen, ein Zaun und andere KatastrophenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt