Kapitel 31

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Die Tage vergingen, mal waren sie etwas besser, die meiste Zeit aber so alleine und überfordernd, wie all die Tage zuvor. Ständig plagten mich Alpträume, meine „Eltern", wie sie ihrem Brief Leben einhauchten; meine Freunde, welche sich immer weiter von mir distanzierten und über mich höhnten. Dazu kamen die Lehrer, welche mich auslachten und eine gescheiterte Zukunft. Ich drückte mich vor dem Schlafengehen, hielt mich mit allen möglichen Methoden wach. Doch irgendwann war ich komplett übermüdet und konnte mich nicht mehr dagegen wehren. An seltenen Nächten, war ich so fertig, dass alles einfach schwarz wurde und ich für einige Stunden meine Ruhe hatte. Allerdings war dies wirklich eine Ausnahme und somit sackte ich regelmäßig im Unterricht weg. So auch heute.

„Miss Devon!" Erschrocken zuckte ich auf. Verschlafen blinzelte ich in das tadelnde Gesicht von Professor McGonagall. „Sie sollte ihr Nachtleben etwas zügeln, wenn sie dieses Schuljahr bestehen wollen", ihre Stimme überschlug sich nur vor Enttäuschung. Sie hatte ja keine Ahnung. Ich nickte brav, sammelte schnell meine Sachen zusammen und verließ das Klassenzimmer. Mal wieder war ich die Letzte.

Und mal wieder führten mich meine Beine zur verlassenen Mädchentoilette. Zusammengesunken kauerte ich auf der Toilette. Tränen liefen über mein Gesicht und in meinen Schal hinein. Ich presste ihn enger gegen meinen Mund, um ein erneuertes Schluchzen zu unterdrücken. Auch wenn mich hier eh niemand hören würde, aufgrund der Maulenden Myrthe war dies einer der verlassensten Orte in der Schule. Und es würde sowieso niemanden interessieren.
Mir fehlten die Zwillinge so schrecklich doll.

Ginny war seit einiger Zeit mit Dean zusammen und verbrachte jede freie Sekunde mit ihm. Harry hatte damit anscheinend ein extrem großes Problem, er war manchmal so gereizt. Auch wenn er es niemals offen zugeben würde. Wie Hermine, wenn sie Ron und Lavender sah. Die Stimmung kippte, wenn diese Truppen im Gemeinschaftsraum aufeinander trafen, es wurde ignoriert, geschwiegen und hinter den Rücken des jeweils Anderen, fielen Todesblicke.
Hermine verfiel in eine Lernsucht, um sich abzulenken und Harry fing dann wieder mit dem Malfoy-ist-ein-Todesser Thema an.

Vor wenigen Tagen war Katie Bell verflucht worden und er war der Überzeugung, Malfoy hatte damit etwas zu tun. Ich war es leid, ihm hinterher zulaufen und nach Hinweisen zu suchen oder immer wieder mit den gleichen Leuten zu reden. Doch es schien ihn auch nicht zu interessieren, dass ich mich von ihm distanziert hatte und er alleine weitersuchen musste. Sie alle taten so, als würde ich nicht existieren.
Und ich selber fühlte mich auch so. Einfach vor sich hinzuleben, war anstrengend geworden. Meine Leistungen im Unterricht wurden immer schlechter, ich vergaß die meisten Hausaufgaben und musste schon zwei Strafarbeiten nachreichen, welche ich auch noch nicht einmal begonnen hatte. Doch mir war alles egal geworden und gleichzeitig erdrückten mich meine Gefühle und Gedanken.

Ich brauchte besseren Noten, ich brauchte einen guten Abschluss, damit ich überhaupt einen Job bekam. Ich musste mir schon jetzt, mit gerade einmal 16 Jahren, mein eigenes Leben aufbauen. Eine Zukunft gestalten.
Und ich war unglaublich überfordert. Ich wusste einfach nicht weiter. Der immer wiederkehrende Gedanke, dass ich allen Anderen egal sei und sich niemand für mich interessierte, wuchs mit jedem Tag. Es war eine laute Stimme in meinem Kopf geworden, die mich aufzog, wie hilflos und unnütz ich war.
Schwach. Klein. Zerbrechlich.
Alles Eigenschaften, welche mir missfielen und mein früheres Ich, war das komplette Gegenteil davon. Ich darf nicht aufgeben. Ein zarter Gedanke, der mich am Leben hielt. Ich wischte meine Tränen weg, richtete meinen Schal und verließ die Toilettenkabine. Ich atmete tief ein und aus, versuchte mich zu sammeln.

Ein verzweifeltes Schluchzen ertönte. Doch es war nicht von mir. Wie angewurzelt stand ich da. Wenige Schritte vor mir stand jemand gegen das Waschbecken gestützt. Helle Haare leuchteten leicht in dem schwachen Licht. Er erblickte mich im Spiegel, ruckartig drehte er sich um. Eine einzelne Träne lief über Malfoys Gesicht. Auch mir liefen noch immer die letzten Tränen über die Wangen, welche ich schnell mit meinem Handrücken wegwischte. Seine Haltung war angespannt, sein Gesicht ausdruckslos. Für einen kurzen Moment standen wir einfach da.

Draco POV:
Wie versteinert stand ich da. Was sollte ich jetzt tun? Wieso war sie hier?
Sonst war ich hier immer alleine und niemand sah mich in diesem Zustand. Mein Herz raste wie verrückt. Doch sie weinte selbst, sah schrecklich aus.
Das könnte ich mir vielleicht zu einem Vorteil machen. Sie überwand die paar Schritte zwischen uns. Ich sollte sie verhexen, ihr einen Fluch auf den Hals hetzten, aber ich schaffte es nicht, mich zubewegen.

Ihre glasigen Augen fixierten mich, sie streckte mir ihre Hand entgegen.
„Das ist niemals passiert. Wir sind uns nie begegnet und haben uns nie gesehen." Ihre Stimme war brüchig, doch hatte einen entschlossenen Unterton. Das war wirklich ihr Ernst. Sollte ich ihr trauen? Wollte ich es überhaupt? Zur Not könnte ich genauso über sie herziehen, ihr schien es nicht besser zu gehen als mir.

Nancy POV:
Malfoys Unterkiefer spannte sich noch mehr an. Doch ein knappes Nicken unterstrich seinen Handschlag. Seine leeren Augen musterten mich. Es war ein seltsames Gefühl. Ich wusste auch nicht, ob ich ihm trauen sollte, ob ich ihm trauen konnte. Das würde ich in der nächsten Zeit herausfinden.
Ich machte auf dem Absatz kehrt und verließ schnellen Schrittes die Mädchentoilette.

Das Abendessen ließ ich heute ausfallen und verkroch mich gleich in meinem Bett. Zu viele Gedanken wirrten in meinem Kopf umher. Hatte Harry vielleicht doch recht und Malfoy war ein Todesser geworden? Es war kein Geheimnis, dass sein Vater einer von Voldemorts besten Männern war. Doch er verbrachte seine Zeit in Askaban. Aber wieso sollte er dann weinen? Für Malfoy wäre es doch wie Weihnachten und Geburtstag zusammen, wenn er einer von denen werden konnte. Oder etwa nicht? Vielleicht war ich auch nur schon so sehr von Harry infiltriert worden und es hatte gar nichts damit zu tun. Vielleicht hatte Malfoy nur Liebeskummer, wie gefühlt ganz Hogwarts. Doch wen könnte Malfoy lieben?

Ich bekam Kopfschmerzen von all den Fragen und versank in einen unruhigen Traum. Zu meinem Leidwesen tauchte dort ein Blondschopf immer wieder auf.

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