Kapitel 2 - Juna

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»Wannabe« von ITZY dröhnte mir in die Ohren. Meine beste Freundin Maila hinkte neben mir mit den Schritten hinterher. Ich schaffte sie auf den Takt, allerdings gab es bei der Technik noch einiges an Verbesserungspotential. Und an meinem Gesichtsausdruck. Ich hatte beim Tanzen kein einziges Mal gelächelt, sondern nur konzentriert mein Gesicht verkniffen. Maila stöhnte.

»Dieser eine Schritt bei dem »ah yeah yeah yeah yeah yeah«, bringt mich immer raus«, beschwerte sie sich außer Atem.

»Und ich bekomme den einfach nicht gut hin. Zwar zeitlich schon, aber es sieht bescheuert aus.«

»Man kennt's«, seufzte Maila theatralisch. »Sollen wir uns mal aufnehmen? Ich will sehen, ob man wenigstens eine Verbesserung im Vergleich von gestern und heute bei uns erkennt.«

»Ja, klar. Können wir gerne machen.«

Daraufhin strich Maila eine ihrer hellen Strähnen in dem sonst schwarzen Haar hinters Ohr und stellte ihr Handy auf den Boden, angelehnt an die Wand.

»Video läuft.« Das war der Startschuss. Ich ließ die Musik laufen und wir beide stellten uns auf unsere Plätze. Gleichzeitig begannen wir mit der ersten Schrittkombination. Ich versuchte, bei diesem Durchlauf etwas mehr Ausstrahlung zu zeigen, weshalb aber meine Technik noch mehr nachließ. Trotzdem gab ich nicht auf und versuchte mein Bestes. Nach den etwas mehr als drei Minuten waren wir am Ende. Maila nahm ihr Handy und wir setzten uns nebeneinander auf den Boden von meinem Zimmer. Zusammen beugten wir uns schwer atmend über ihr Handy und sie ließ das Video laufen. Kritisch verfolgten wir uns auf dem Video.

»In meiner Vorstellung haben wir irgendwie doch etwas besser getanzt«, kommentierte Maila. Ich lachte.

»Definitiv. Du hast immerhin noch den Bonus, dass du asiatisch aussiehst. So passt du wenigstens ins Bild. Ich sehe neben dir so aus wie ein mit Photoshop schlecht hinzugefügter Mensch auf einem Hintergrund.«

»Das ist für mich im Alltag eher nervig als ein Bonus. Du kennst unsere - oder nein, jetzt wohl nur noch meine Klasse. Für die ist das ein toller Grund, darüber unlustige Späße zu machen, die einfach nur verletzend sind. Dass ich nicht ganz so dünn bin, wie sie es gerne hätten, macht das Ganze auch nicht gerade besser. Auch fremde Menschen sind da nicht gerade freundlicher.«

Ich seufzte. »Ich weiß. Da hast du recht. Aber das sind auch Idiot*innen. Du bist wunderschön. Und ich finde es cool, dass du aus Vietnam kommst.«

»Du bist ja auch etwas Besonderes«, erwiderte Maila mit einem Lächeln auf den Lippen.

»Du aber auch.«

»Schön, dass wir uns so gut verstehen und uns so toll finden, aber sollen wir nicht lieber weiter an der Choreo üben? Dann müssen wir nicht auf unser Aussehen angewiesen sein, sondern überzeugen auch mal mit unserem Können.«

»Klar. Aber davor bestellen wir noch das Essen, damit das dann auch irgendwann mal ankommt. Ich bin schon fast am Verhungern.«

Wie so oft bestellten wir vietnamesisch. Für mich gab es gebratenen Reis mit Gemüse und für Maila Phở Gà, eine Reisnudelsuppe mit Hähnchen. Während wir auf das Essen warteten, gingen wir die Choreo immer wieder durch, bis wir von einem Klingeln an der Haustür unterbrochen wurden.

»Ich mach auf«, meinte ich, ließ das Lied weiter im Hintergrund laufen und holte das Essen ab. Als ich in die Küche kam, hatte Maila schon alles Nötige hergerichtet. Mein Handy lag nun auf dem Küchentisch. Ich ging nochmal schnell zur Haustüre und kontrollierte, ob ich sie auch wirklich abgeschlossen hatte und gesellte mich dann erst wieder zu Maila.

»Hmm, das riecht lecker«, kommentierte Maila und wir fingen an zu essen.

»Wie fühlst du dich wegen morgen, dem ersten Tag in deiner neuen Klasse?«, durchbrach Maila die Stille. Bei diesen Worten verflog die Leichtigkeit des Nachmittags.

»Ehrlich gesagt nicht so gut. Unsere Klasse ist zwar auch nicht die netteste, aber da habe ich wenigstens dich. Und die anderen haben mich mittlerweile mehr oder weniger akzeptiert und kennen mich. Aber jetzt in der neuen Klasse ... ich weiß nicht. Ich glaube nicht, dass ich mich da sonderlich wohl fühlen werde. Man begegnet sich ja mal im Gang und es gibt viele, die immer hinter meinem Rücken tuscheln. Die denken zwar, sie machen das unauffällig, aber die Blicke bemerkt man schon. Und es ist auch schwieriger, wenn man die einzige Neue in einer Klasse ist und nicht alle die »Neuen«, sind und sich erst kennen lernen müssen«, sprach ich meine Sorgen ungefiltert aus. Bei Maila konnte ich das ohne Bedenken. Das schätzte ich sehr an unserer Freundschaft. Maila sah mich verständnisvoll an und trank einen Schluck von ihrem Wasser, bevor sie mir antwortete. Unruhig warf ich einen Blick zu der Küchentür. Hatte ich die Haustüre wirklich zugemacht? Ich hatte es nochmal kontrolliert, oder? Aber was, wenn ich dabei die Türe wieder aufgemacht habe?

»Ich kann dich absolut verstehen. Würde es dir helfen, wenn wir morgen in der Pause etwas zusammen machen? Oder willst du lieber die Pause nutzen, um neue Kontakte zu knüpfen?«

»Danke für das liebe Angebot. Jetzt kann ich das noch nicht so wirklich einschätzen. Kann ich dir auch kurzfristig sagen, was ich in der Pause machen will?«

»Natürlich. Schreib mir dann einfach. Ich werde auf jeden Fall auf mein Handy schauen.«

»Das mach ich. Danke schön. Ich bin echt froh, dich zu haben.«

Maila lächelte mich als Antwort an. »Es gibt bestimmt auch nette Menschen in deiner Klasse. Es kann ja nicht sein, dass man alle Idiot*innen des ganzen Jahrgangs in eine Klasse gesteckt hat. Die müssen ja auf alle Klassen gleichmäßig aufgeteilt werden.«

Ich lachte. »So ist es zumindest üblich.«

»Und es ist ja nicht so, als hättest du alle Fächer nur mit deinen Mitschüler*innen zusammen. Eigentlich sind die meisten Kurse mit durchmischten Klassen. Und da findest du sicherlich auch nette Menschen. Irgendwo müssen die ja versteckt sein.«

»Dann wäre da aber nur noch die Frage, ob die mich auch nett finden.« Sollte ich nochmal überprüfen, ob die Türe wirklich zu war?

»Ach, Juna. Du bist ein wundervoller und interessanter Mensch mit einem tollen Charakter. Wie kann man dich da nur nicht mögen, wenn man ein bisschen Hirn besitzt?«

»Du bist einfach super.«

»Ich weiß.«, Maila lächelte selbstzufrieden und wir aßen schweigend weiter. Meine Gedanken drifteten dabei, wie so so oft in letzter Zeit, wieder zurück zu meiner neuen Klasse. Aber diesmal blickte ich dem morgigen Tag mit deutlich mehr Zuversicht und sogar ein bisschen Freude entgegen. So ein Neuanfang war nicht nur negativ. Er konnte auch positiv werden und ich hoffte, dass genau das morgen auch passierte.

Am Abend lud ich noch ein paar Ausschnitte vom Üben mit Maila nach ihrer Erlaubnis auf Instagram hoch. Es dauerte auch nicht lange, bis ich das erste Feedback dazu bekam. Ich schaltete lächelnd mein Handy aus und ging in meinen begehbaren Kleiderschrank, um zu entscheiden, was ich morgen anziehen sollte. Etwas Selbstgenähtes? Oder doch lieber etwas einfaches? Eigentlich wollte ich schon etwas Selbstgenähtes anziehen. Ich liebte es, mir selbst Klamotten zu nähen. Deswegen mochte ich das Cosplayen wahrscheinlich auch so gerne. Ich hatte schon vor vielen Jahren nähen gelernt. Und ich hatte nie aufgehört, es zu lieben. Ich mochte es, auf diese Art und Weise mich kreativ verwirklichen zu können. Ich holte ein bauchfreies und enganliegendes Top heraus. Dazu suchte ich noch meine weite Hose aus dem Schrank und legte es auf den kleinen Stuhl, damit ich es für den morgigen Tag sofort griffbereit hatte. Beides war selbstgenäht und hauptsächlich in schwarz mit lilafarbenen Details versehen. Die Sachen gehörten zu meinen Lieblingsoutfits. Darin fühlte ich mich wohl und sicher. Und genau das brauchte ich für den morgigen Tag. 

Wenn wir uns sehen könnenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt