Kapitel 20 - Alenia

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Aus dem Fenster sah ich, wie das Auto von Junas Eltern weg fuhr. Ich setzte mich auf den Boden und schüttelte vollkommen durch den Wind den Kopf. Ich hatte Juna geküsst. Oder eher sie mich. Aber ich wollte es. Ich hatte es so sehr in diesem Moment gewollt. Das konnte doch nicht sein. Ich wusste nicht, was in diesem Moment in mich gefahren war. Ich war allen Fragen von Feline ausgewichen. Ich wusste ja selbst nicht mehr als sie. Ich brauchte Ablenkung. Ich war verwirrt. Ich wollte nicht weiter darüber nachdenken. Es dauerte nicht lange, bis ich einen Entschluss fasste und Fabio anrief. Er nahm gleich ab.

»Hey, Alenia. Schon wieder zu Hause?«

»Ja, seit paar Minuten.«

»Und wie war es? Deine ganzen Stories sahen ja definitiv spannend aus.«

Ich unterdrückte ein Seufzen. »Das war es auch wirklich.«

»Cool, und was machst du jetzt? Koffer auspacken?«

»Das wollte ich eigentlich morgen machen. Jetzt habe ich nichts vor«, deutete ich an und hoffte, dass Fabio verstand, worauf ich hinauswollte. Als er aber nicht antwortete, versuchte ich es weiter. »Und du, was machst du gerade? Habe ich dich bei irgendwas gestört?«

»Ne, ich zocke gerade ein bisschen, aber das mache ich jetzt auch schon etwas zu lange. Wäre wahrscheinlich gut, wenn ich jetzt was anderes machen würde.«

Ich öffnete meinen Schrank und suchte nach einem bestimmten Top und Rock. »Und woran hast du da gedacht?«

»Hmm ... vielleicht willst du ja vorbei kommen? Wenn es nicht zu stressig ist.«

Ich grinste. Das war genau das, was ich jetzt wollte. »Klingt gut.«

»Soll ich dich abholen?«

»Wenn es dir nichts ausmacht.« Ein plötzlicher Energieschub durchlief meinen Körper.

»Dann schick mir die Adresse.«

»Mach ich.« Ich fand die beiden Kleidungsstücke und schmiss sie aufs Bett.

»Dann bis gleich.«

»Tschau tschau.« Ich schickte ihm schnell die Adresse und zog mich dann um. Ich machte mir schnell die Haare, schminkte mich dezent und packte meine Handtasche. Dann klingelte es auch schon. Ich verabschiedete mich von meinem kleinen Bruder, den ich nicht mal richtig begrüßt hatte, und ging nach unten. Wo meine Eltern waren, wusste ich nicht. Schon irgendwie traurig, dass sie mir nicht mal eine Nachricht geschrieben hatten, obwohl sie wussten, dass ich mittlerweile wieder daheim war.

Fabio wartete unten in seinem Auto. Ich stieg auf der Beifahrerseite ein.

»Hübsch hübsch, trotz der langen Fahrt.«

Ich lächelte. »Danke. Du aber auch, obwohl ich dich vom Zocken abgehalten habe.«

»Ach, das war sowieso notwendig.« Er fuhr los. Zehn Minuten später hielt er vor seinem Haus. Wir gingen rein und sofort in sein Zimmer. Es war still. Ich machte eine Story von uns beiden. Wir lächelten in die Kamera. Als ich mein Handy weg legte, musterte er mich von oben bis unten. Ich machte eine selbstbewusste Haltung und er lächelte. Sein Blick wanderte über meinen Körper. Dann kam er auf mich zu und blieb kurz vor mir stehen. Sein Blick stoppte an meinen Lippen. Ich nickte kaum merklich und er küsste mich. Ich erwiderte den Kuss und drückte mich an ihn.

»Das habe ich vermisst«, murmelte er an meinen Lippen.

»Ich auch.« Aber warum fühlte es sich nicht so gut wie bei Juna an? Seine Lippen waren viel rauer als die von Juna. Seine Bartstoppel kratzten an meiner Haut. Er küsste viel grober. Nicht so sanft wie Juna. Verdammt, was dachte ich da nur? Ich ließ meine Hände unter Fabios Shirt gleiten. Ich spürte seine Muskeln an meinen Händen. Auch er berührte mich nun an mehreren Stellen. Ich unterbrach den Kuss und zog ihm sein T-Shirt aus. Ich wollte mich ihm ganz hingeben. Ich brauchte das. Ich wollte das.

Später lagen wir außer Atem nebeneinander in seinem Bett. Ich hatte nur ein weites T-Shirt von ihm übergezogen. Er seine Boxershorts und das Shirt von vorhin. Ich kuschelte mich an ihn. Zum wiederholten Mal dachte ich an Juna. Ich hatte mich nicht richtig fallen lassen können. Es hatte mir nicht das gegeben, was ich brauchte. Ich fühlte mich benutzt. Schlecht. Nicht normal. Und undankbar. Dabei sollte ich doch gerade eigentlich mehr als glücklich sein. Warum hatte ich es nicht genießen können, wenn ich es doch so sehr gewollt hatte? Warum hatte ich ein schlechtes Gewissen gegenüber Juna?

Ich blieb noch eine Weile bei Fabio, dann fuhr er mich nach Hause, nachdem ich noch schnell in meine Klamotten geschlüpft war. Wir umarmten uns zum Abschied. Er hatte mich nicht zum Bleiben überreden können.

»Also tschüss, war echt schön mit dir.«

»Finde ich auch«, meinte Fabio und grinste mich an.

Als ich die Wohnung betrat, waren meine Eltern mittlerweile sogar schon da. Sie saßen in der Küche. Ich ging zu ihnen. Sie aßen Tiefkühlpizza. Der Ofen war noch warm. Also tat ich für mich auch eine in den Ofen und schaltete ihn wieder an. Obwohl es ein Uhr in der Nacht war, aber das war mir egal. Der Tag war zu viel für mich und ich wusste nicht, wohin mit meinen Gedanken.

»Hallo«, murmelte ich und setzte mich schließlich zu ihnen.

»Kannst du morgen nach dem Kellnern Finn vom Kindergarten abholen?«, fragte meine Mutter gleich. Ich nickte seufzend.

»Mach ich.«

Meine Mutter nickte nur. Dann hörte man nur noch das Schneiden der Pizza im Raum. Und die gedämpfte Popmusik aus Leanas Zimmer.

»Wollt ihr nicht wissen, wie es war?«, fragte ich schließlich, nachdem ich minutenlang darauf gewartet hatte, dass einer von den beiden etwas sagte.

»Wo warst du eigentlich überhaupt. Bei Alessa?«

»Nein, in Frankfurt«, sagte ich trocken und sah nach, ob meine Pizza fertig war.

»Achso, stimmt. Auf dieser komischen Messe?«

Ich nickte und richtete mir Teller und Besteck her.

»Achso.«

»Also wollt ihr nicht wissen, wie es dort war?«, fragte ich frustriert.

»Mein Tag war anstrengend, aber dann erzähl halt«, sagte meine Mutter genervt. Mein Vater blickte nicht einmal zu mir auf. Hatte er mich heute überhaupt schon angeschaut? Er war nur in seinem Handy vertieft, auf dem er irgendwelche Artikel las.

»Nein, dann will ich dich damit natürlich nicht belästigen«, sagte ich nur und holte mir die Pizza raus. Darauf erwiderte meine Mutter nichts und schaute nun mit in das Handy von meinem Vater. Ich setzte mich an den Tisch und schnitt meine Pizza grob. Ich wollte mich für die nächsten Tage einfach nur im Bett verkriechen und nicht wieder aufstehen. Ohne jeglichen Menschenkontakt. Ich packte das alles nicht mehr.

Finn kam in das Zimmer direkt zu mir gestürmt.

»Leni, du bist wieder da!«, rief er begeistert.

»Sei leiser Finn«, grummelte mein Vater. Finns Lächeln verschwand für einen Augenblick, dann fand er es wieder.

»Darf ich ein Stück von deiner Pizza?«, fragte er aufgeregt. Ich zuckte mit den Schultern und schnitt im eins ab. Diesmal benutzte ich das Messer sanfter. Finn nahm sich sofort das Stück. Ich fragte mich, warum er überhaupt noch wach war, aber hatte nicht die Kraft, nachzuhaken. Und eigentlich war es auch nicht meine Aufgabe, mich um so etwas zu kümmern, wenn meine Eltern direkt neben mir saßen.

»Danke!« Er setzte sich neben mich und aß es genüsslich. Ich betrachtete Finn. Plötzlich musste ich an Luke denken. Und an Juna. Schon wieder. Mein Herz zog sich zusammen. Konnte ich sie nicht einfach aus meinen Gedanken verbannen? Sie war einfach nur eine Mitschülerin. Mehr nicht. Das musste in meinen Kopf rein. Ich wollte mich nicht weiter mit ihr beschäftigen. Sie war mir egal. Jetzt musste das nur auch noch mein Herz verstehen und nicht nur mein Kopf. Ich seufzte. Warum war das nur so kompliziert? 

Wenn wir uns sehen könnenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt