Kapitel 22 - Alenia

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Ich rührte meine heiße Schokolade um.

»Habt ihr schon mitbekommen? Der Bruder von Chris ist schwul«, meinte Alessa. Ich stockte und meine Aufmerksamkeit lag sofort auf ihr.

»Oha, echt?«, fragte ich.

»Ja, der Arme.«

»Warum der Arme? Ist doch nichts Schlimmes«, verteidigte ich ihn instinktiv.

»Äh, sein Bruder ist schwul? Da denken jetzt wahrscheinlich mehr als die Hälfte, dass Chris auch schwul ist.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Dann muss er eben sagen, dass er das nicht ist. Oder es ist wirklich der Fall.«

»Aber das ist schon echt widerlich.«

Ich zog die Augenbrauen hoch.

»Was ist widerlich?«

»Dass er schwul ist?«

»Finde ich nicht.«

»Du hängst auch mit Juna ab. Wetten die ist auch lesbisch. Pass nur auf, dass du dich da nicht ansteckst.«

Entsetzt sah ich Alessa an. Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen. JedochIch schloss ich ihn wieder und sah Marielle an. Sie hatte dazu noch gar nichts gesagt. Aber sie sagte auch weiterhin nichts.

Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Von Feline hatte ich erfahren, dass Juna schon mal eine Freundin hatte. Und Juna hatte mich geküsst. Und ich hatte mich von ihr küssen lassen. Und hatte es sogar irgendwie gewollt. Alessa lag mit ihrer schnell dahin gesprochenen Theorie also eigentlich ziemlich nahe an der Wahrheit. Das machte es nicht besser. Vor allem hörte es sich aus ihrem Mund gesprochen so negativ an. Aber war es das nicht auch? Vor allem der zweite Teil? Oder nur der zweite Teil?

»Sag nicht, ich liege mit meiner Vermutung richtig?«

Abwehrend schüttelte ich heftig den Kopf.

»Auf keinen Fall. Und woher soll ich Junas Sexualität denn überhaupt wissen?«

»Na du verbringst doch jede freie Minute mit Juna. Wobei ich übrigens den Grund davon nicht nachvollziehen kann. Und positiv ist das nicht.«

»So viel Zeit verbringe ich nicht mir ihr.«

Alessa nickte nur und wandte sich dann Marielle zu, um sie irgendetwas zu fragen. Ich hörte aber nur noch mit einem Ohr zu. Ich wusste einfach nicht, was ich fühlte. Für Juna. Und für Fabio. Und für Marielle und Alessa. Juna brachte meine Gefühle durcheinander und ließ mich an allem zweifeln, an das ich bis jetzt geglaubt hatte. Fabio verstärkte es. Und meine beiden Freundinnen machten es mir nur noch schwerer, das Chaos in meinem Kopf aufzuräumen. Aber eines wusste ich: trotz allem mochte ich Juna irgendwie, und sie hatte es nicht verdient, von mir auf einmal so ignoriert zu werden. Und wenn ich tief in mich hinein hörte und es auch zu ließ, wurde mir klar, dass ich sie auch nicht weiter ignorieren wollte. Den Kuss würden wir einfach vergessen und so weiter machen wie wir es zuvor gemacht hatten. Das klang doch gar nicht schlecht. Es war sowieso nur ein Versehen gewesen.

Wir kamen nicht wieder auf das Thema zurück und unterhielten uns stattdessen noch über ein paar belanglose Sachen, bis die beiden zum Französisch Unterricht gehen mussten. Sollte ich schon einmal in das Klassenzimmer für Mathe gehen? Zu Juna? Sie war immer schon die Stunde zuvor dort. Eigentlich sollte ich gehen. Ich hatte sowieso nichts besseres zu tun. Aber ich wusste noch immer nicht, was genau ich von der Situation zwischen uns halten sollte. Und vor allem, wie Juna selbst darüber dachte. Ich seufzte und zog meine Jacke über mein Oberteil. Mittlerweile wurde es so schnell kalt. Langsam ging ich Richtung Schule und dann Richtung Klassenzimmer, um das Treffen mit Juna herauszuzögern. Schließlich stand ich aber nun doch vor der Tür. Ich atmete tief durch, dann drückte ich die Klinke herunter und ging zwei Schritte in den Raum. Ich blieb stehen und sah mich verdutzt um. Juna war nicht da. Keine Menschenseele war in diesem Raum. War ich auch wirklich im richtigen Klassenzimmer? Ja. Hinten an der Wand hingen immer noch die Plakate von irgendwelchen Referaten, die seit Schuljahresbeginn dort schon waren. Und wahrscheinlich schon viel länger. Aber wo war dann Juna? Erleichtert, aber doch auch etwas enttäuscht ging ich auf meinen Platz, legte dort meine Sachen ab und schaute, ob Juna mir geschrieben hatte. Hatte sie natürlich nicht. Wieso sollte sie auch? Trotzdem vermisste ich irgendwie die Zeit mit ihr vor Mathe. Eigentlich hatte ich mich immer darauf gefreut. Hier nun alleine in diesem Raum zu sein, fühlte sich einsam und falsch an.

Wenn wir uns sehen könnenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt