Mein Handy vibrierte.
Du schaffst das. Ich glaube fest an dich. Wir sehen uns dann später. Ich drücke ganz fest die Daumen, dass es gut wird. Ich hab dich lieb.
Ich lächelte und antwortete schnell Alenia. Dann legte ich das Handy weg, ging mit angehaltenem Atem auf meinen Balkon und sah auf die Straße runter. Mir war mulmig zumute. Ich krallte mich an dem kalten Geländer fest. Aber ich blieb dort stehen. Mein Herz raste. Aber es war auszuhalten. Ich lächelte. Dann kam das Auto meiner Großeltern. Sie parkten im Hof. Schnell ging ich vom Balkon runter und nach unten Richtung Haustüre. Ich kam am Wohnzimmer vorbei, in dem meine Eltern zusammen einen Film sahen. Sie pausierten ihn und winkten mir zum Abschied zu.
»Hab einen schönen Tag. Wir denken an dich. Du schaffst das!«, rief meine Mutter mir noch zu. Ich bedankte mich noch und ging zur Tür. In diesem Moment klingelte es schon. Ohne groß darüber nachzudenken, öffnete ich die Tür. Wie erstarrt blieb ich in meiner Bewegung stehen. Meine Großeltern standen vor der Tür. Ich wusste es. Ich hatte gewusst, was mich erwartete. Trotzdem war dieser Anblick schockierend. Seit dem Unfall hatte ich sie kein einziges Mal mehr gesehen. Meine Oma hatte Tränen in den Augen. Mein Opa sah mich mit großen Augen an. Er sah jetzt deutlich älter aus als noch vor eineinhalb Jahren. Er hatte vermehrt Falten bekommen. Meine Oma hatte sich noch gut gehalten, doch auch sie hatte sich verändert. Nun kamen auch mir die Tränen. Schluchzend umarmte ich beide gleichzeitig. Mein Opa klopfte mir auf die Schulter. Meine Oma streichelte mir den Rücken.
»Ich habe euch vermisst«, sagte ich mit zittriger Stimme.
»Wir dich auch. Wir dich auch«, bestätigte mein Opa, was Tränen in mir auslöste.
»Es tut mir so leid«, murmelte ich verzweifelt. Warum hatte ich nur den Kontakt zu den beiden abgebrochen? Lukes Tod war ein Unfall gewesen. Sie konnten genauso wenig wie ich etwas dafür. Und ich wusste nicht, wie lange sie noch leben würden. Wie viele Jahre ich mit ihnen noch hatte. Sie waren schon alt. Unendlich lange lebten sie nicht. Ich hatte so viel Zeit verschwendet, die ich noch mit ihnen hätte verbringen können.
Erst als alle Tränen getrocknet waren, gingen wir wieder auseinander. Nun musterten mich beide genau.
»Du bist so groß geworden«, sagte schließlich mein Opa.
»Du siehst toll aus«, sagte meine Oma. »Nähst du dir immer noch deine Klamotten selbst?«
»Ja, viele. Und ich cosplaye immer noch. Da nähe ich auch das meiste selbst.«
»Wow, das ist echt schön.«
»Danke.«
»Also komm, dann jetzt alle rein ins Auto.« Mein Opa saß am Steuer, meine Oma auf dem Beifahrersitz und ich auf der Rückbank. Es war ungewohnt, wieder hier in diesem kleinen Auto zu sitzen, in dem ich so oft zusammen mit Luke war. Zu dritt fühlte es sich leer an.
»Wie läuft es in der Schule?«, fragte mich meine Oma.
»Recht gut. Ich bin ja jetzt in der neuen Klasse. Ein, zwei nette Leute sind da schon dabei.«
»Das ist schön.«
Wir unterhielten uns über all das, was in den letzten Monaten passiert war, um die Zeit wider aufzuholen, bis mein Opa parkte und wir ausstiegen. Von dem warmen Auto in die kalte Winterluft. Mir wurde unwohl, als ich den Friedhof erblickte. Ich war hier seit der Beerdigung nicht mehr gewesen. Meine Eltern dagegen waren öfters hier. Genau wie meine Großeltern. Alle waren so viel stärker als ich es war. Ich war sogar dafür zu schwach gewesen. Nein, ich war auch stark. Es war ein großer Schicksalsschlag. Jeder ging anders damit um. Und ich war dabei, das zu lernen, damit es bei mir besser wurde - zusammen mit meiner Therapeutin. Ohne sie würde ich hier jetzt nicht stehen. Es war die beste Entscheidung gewesen, zu ihr zu gehen. Und es half mir auch wirklich sehr, auch wenn ich definitiv noch einige Stunden brauchte. Aber es besserte sich. Ich war auf einem guten Weg und darauf konnte ich verdammt nochmal richtig stolz sein. Denn es war harte Arbeit gewesen, die sich aber definitiv auszahlte. Und außerdem musste man nicht zum Grab, um Luke Wertschätzung zu zeigen. Das konnte man auf viele verschiedene Arten.
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Wenn wir uns sehen können
Teen FictionAlenia und Juna leben in komplett unterschiedlichen Welten. Alenia ist eine beliebte Schülerin, die gerne shoppen geht und viel Zeit mit ihrem Freundeskreis verbringt. Sie hat ein Faible für teure Designerkleidung und ist immer auf der Suche nach de...