Kapitel 4 - Alenia

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Marielle hielt Alessa und mir ihr Handy hin und zeigte uns Bilder vom Konzert, auf dem sie am Wochenende war. Unserer Mathelehrerin Frau Weber hörten wir nicht zu. Sie war die erste Schulwoche krank gewesen und heute war unsere erste Stunde mit ihr. Marielle war mit ihrem Cousin und ein paar Freunden von den beiden auf dem Konzert gewesen. Schon allein die wenigen Bilder sahen nach so viel Spaß aus. Ich war seit Ewigkeiten auf keinem Konzert mehr gewesen. Marielle ging schneller durch die Bilder und ich versuchte mitzukommen. Ein paar waren verwackelt. Aber trotzdem konnte ich die Band relativ gut erkennen. Marielle war ziemlich nah an der Bühne gewesen. Ich musste schmunzeln als ein paar Selfies von Marielle und den anderen kamen. Sie sahen alle so aus, als hätten sie einen riesigen Spaß gehabt.

»Gut, dann hätten wir das geklärt. Alle aufstehen, wir gehen los«, holte uns unsere Lehrerin wieder zurück in das Unterrichtsgeschehen. Verdutzt sahen wir uns an, während alle um uns herum schon so nach draußen eilten, als gäbe es draußen kostenloses Essen.

»Äh, dann gehen wir denen mal hinterher, würde ich sagen?«, meinte ich schließlich. Alessa nickte und wir hefteten uns an unsere Klasse, die schon fast verschwunden war. Wir landeten schließlich in einem neuen Zimmer. Kleiner als unseres. Gerade setzten sich die letzten auf noch freie Plätze. Ich ließ meinen Blick schweifen.

»Na toll, nur noch ein ganzer Tisch direkt vor dem Pult und ein freier Platz neben Juna. Schlimmer geht es fast nicht mehr«, murrte Alessa und steuerte ohne weiteres auf den Pult zu. Marielle ging ihr schnell hinterher. Ich seufzte. Also musste ich zu Juna.

»Danke für nichts«, murmelte ich vor mich hin, während ich mich zu ihr setzte. Die hätten mich wenigstens fragen können, ob ich nicht an dem freien Tisch mit einer sitzen will. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Juna ein kleines Stück von mir wegrutschte. Meine Laune besserte das auch nicht. Als ob ich ein Monster war. Trotzdem riss ich mich zusammen und wandte mich zu ihr.

»Warum sind wir denn jetzt hier her gegangen?«, flüsterte ich, da Frau Weber nun ohne weitere Erklärungen angefangen hatte, den Unterricht fortzuführen.

»Die Tafel war Frau Weber nicht gut genug. Sie will eine karierte und keine blanke. Und außerdem war sie zu klein, da es ja keine aufklappbare ist und sie nicht alle drei Minuten damit verbringen will, die Tafel zu putzen«, erklärte Juna mir.

»Oh, wow. Das wird ja was, wenn sie die Tafel so intensiv benutzen will. Also sind wir jetzt dauerhaft hier?«

Juna nickte nur kurz. Ihre Haltung war abweisend. Dabei hatte ich ihr doch gar nichts getan. Ich hatte mich nur neben sie gesetzt, weil kein anderer Platz mehr frei war. Juna sollte sich nicht so anstellen. Ich hätte mir auch einen besseren Platz gewünscht.

Die ganze Stunde über sprachen Juna und ich kein Wort mehr miteinander. Als wir aus dem Klassenzimmer Richtung Zug gingen, waren Marielle und Alessa sofort bei mir.

»Du Arme musst jetzt das ganze Schuljahr neben der sitzen«, stichelte Alessa sofort.

»Ja, weil ihr euch gleich den noch freien Tisch geschnappt habt«, konterte ich.

»Wir wollten eben auch nicht neben ihr sitzen und waren schneller.«

»Schön für euch«, murrte ich. Wir waren am Bahnhof angekommen und stiegen auch gleich in den dort gerade eintreffenden Zug ein. Es war wieder besonders voll hier drinnen. Wir bekamen nicht einmal einen Platz zum Sitzen.

»Vielleicht heitert dich ja die Party heute Abend auf? Okay nein, dumm von mir. Da brauchst du schon mindestens zehn Partys.« Alessa. Die Freundlichkeit in Person.

»Jetzt übertreib mal nicht. Es gibt auch schlimmeres als neben Juna zu sitzen.«

»Aber es wird gesagt, dass Juna wegen Mathe durchgefallen ist, unter anderem. Sie hat letztes Jahr anscheinend nicht mal einen einzigen Punkt im Zeugnis dort gehabt. Am Schluss färbt das noch auf dich ab und du bist sofort deine Supernoten in Mathe los.«

»Keine Sorge, die werde ich so schnell nicht los. Eher färbe ich auf Juna ab und sie wird super in Mathe.«

»Gut, wir verlassen mal lieber dein Traumland. Hast du heute wieder ihre Klamotten gesehen? Hat sie etwa nicht genug Geld, sich Klamotten zu kaufen? Muss sie die sich etwa selbst nähen?«

Ich biss mir auf die Lippe und kommentierte es nicht. Der Kommentar galt zwar Juna, aber mir tat er auch weh. Meine Familie hatte nicht so viel Geld wie Marielles oder Alessas. Sie hatten immer die neuesten Markenklamotten. Ich kaufte sie mir teilweise gebraucht, so waren sie günstiger, oder neu mit meinem hart erarbeiteten Geld, was mir immer ziemlich schmerzte. Dabei fand ich die Kleidung, die von mir erwartet wurden, nicht unbedingt so schön. Trotzdem musste ich irgendwie mit meinen beiden Freundinnen mithalten können. Ich konnte in meinem Haus schon keine coolen Partys wie die beiden schmeißen, denn man sah eindeutig, dass wir wenig Geld hatten. Und es war klein. Und eigentlich auch kein Haus, sondern eine Wohnung. Leider ohne Garten. Deswegen ging ich auch oft in dem Park in der Nähe eine Runde spazieren. Ich war gerne in der Natur. Dort konnte ich immer etwas von meinem Alltagsstress ablassen. Ich konnte mich unter dem freien Himmel viel besser entspannen als eingeengt in meinem kleinen Zimmer.

Der Zug hielt und ich verabschiedete mich von meinen beiden Freundinnen, die noch etwas weiter fahren mussten.Im Kopf fing ich schon mal an zu überlegen, was ich heute kochen sollte. Milo war beim Handball Training. Finn war bei einem Freund zum Spielen und würde in einer Stunde gebracht werden. Und bei Leana hatte ich keine Ahnung, ob sie da war oder nicht. Gemüsereis hatte ich schon ewig nicht mehr gemacht. Aber dafür müsste ich noch einkaufen gehen, dafür hatte ich eigentlich auch keine Motivation. Ich seufzte und bog nicht zum Supermarkt ab. Ich würde schon irgendetwas aus den Sachen von zu Hause zusammenmixen können. 

Wenn wir uns sehen könnenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt