»Ich finde es schön, dass wir mal nicht im Restaurant unten essen.«, ich grinste, als ich mein Besteck auf meinen Teller legte, um das Zeichen zu setzen, dass ich satt war. Mein Bauch platzte fast und mein Rock spannte, doch das Weihnachtsessen musste ich genießen. Keiner konnte so unfassbar gut kochen wie mein Vater, der seinem Namen wieder alle Ehre gemacht hatte – vor allem zu Weihnachten.
»Ich habe den Posten hinter dem Herd heute extra abgegeben.«, mein Vater grinste mich und Basti an. Sein Grinsen war breit und ehrlich und wieder wurde mir bewusst, wie glücklich er über die Tatsache sein musste, dass Basti und ich an diesem Weihnachten gemeinsam an dem großen Esstisch in dem großen Wohnzimmer saßen. Er hatte immer zu unserer Liebe gestanden und innerlich gehofft, dass wir irgendwann den Weg zueinander finden würden – und dieser Wunsch wurde ihm erfüllt.
»Musst du morgen auch wieder arbeiten? Liv und ich wollten gerne mit euch ein bisschen durch Berlin spazieren, bevor wir am Abend wieder zurück fliegen.«, mischte Basti sich ein und steckte seinen letzten Bissen Braten in den Mund. Es war Weihnachtszeit und Trainingspause und mit einem Lächeln nahm ich wieder einmal wahr, wie sehr er es genoss, unachtsam jeden Bissen in den Mund zu schieben und ihn zu genießen.
»Er hat sich doch vorbereitet, das wäre doch sonst nicht Mark.«, lachte meine Mutter, die ihre Arme auf dem Tisch abgestützt hatte und das Weinglas in ihren Händen hielt. »Wir gehen sehr gerne mit euch ein wenig durch die Stadt, oder Schatz?«
Meine Mutter strahlte meinen Vater förmlich an und strich ihm im gleichen Moment liebevoll über seinen mit dem Hemd bedeckten Arm. Ich bewunderte die beiden und ihre Liebe, die seit über 30 Jahren bestand. Ich bewunderte es, dass sie noch immer so unbeschwert und voller Gefühl miteinander umgingen. Ich bewunderte sie dafür, dass ihre Liebe nie eingeschlafen oder gar erloschen war und dafür, dass sie im Gegensatz dazu immer stärker wurde. Meine Eltern waren meine Vorbilder, nicht nur in dieser Hinsicht, und ich wollte in über 30 Jahren genau das gleiche Bild mit Basti abgeben, wenn unsere Kinder vor uns am Weihnachtstisch sitzen und ihre Partner mit nach Hause bringen würden.
»Wir freuen uns.«, seufzte ich voller Glück und legte meine Hand fast automatisch auf Bastis, die neben seinem Teller auf dem Tisch lag. Weihnachten war eindeutig das Fest der Liebe. Obwohl Berlin mir so fremd geworden war und mir immer wieder ein beklemmendes Gefühl entlockte, das mich panisch aufjapsen und die Flucht ergreifen ließ, genoss ich es seit ein paar Stunden hier zu sein. Eigentlich hätte ich längst wieder an die Rückfahrt nach München gedacht, doch heute war es anders. Ich war glücklich hier zu sein, mit meinen Eltern am Tisch zu sitzen, zu reden, zu lachen und Basti an meiner Seite zu haben. Denn genau er war der Grund, der mich entspannen ließ. Überall, wo er war, war mein Zuhause. Er war mein Zuhause.
»Habt ihr eigentlich die Schlagzeilen über euch im Netz gelesen?«, schnitt mein Vater das Thema an, das ich seit der Weihnachtsfeier des FC Bayern Münchens vor vier Tagen verdrängt hatte. Basti und ich hatten uns vorgenommen, in diese Zeit um Weihnachten nicht einen Blick in die Schlagzeilen zu werfen und jegliche Zeitungsständer zu umgehen. Ich wusste nicht, wie ich auf Negativ-Schlagzeilen reagieren würde, weswegen Basti genau den Vorschlag gemacht hatte. Dass es aber unumgänglich war, war klar.
»Eigentlich haben wir uns vorgenommen, uns die Feiertage nicht vermiesen zu lassen.«, Basti runzelte die Stirn und zog seine Hand unter meiner vor, um sie zu ergreifen und zu drücken. Das war sein Zeichen, um mir deutlich zu machen, dass er für mich da war – egal, welche Neuigkeiten mein Vater uns jetzt überbringen würde.
»Liv wird als Schönheit an deiner Seite bezeichnet.«, stolz grinste mein Vater in die Runde, was mein Herz sofort schneller schlagen ließ. Er war so unsagbar stolz auf mich, dass es mir fast die Tränen in die Augen trieb, und die Presse hatte es anscheinend doch gut mit uns gemeint, dass die Erleichterung fast mit einem lauten Knall auf dem Dielenboden aufprallte.
»Und die Presse sagt, ihr wärt ein schönes Paar – wenn man Gerüchten zufolge davon ausgehen kann, dass ihr den Schritt endlich gewagt habt.«, auch meine Mutter grinste uns glücklich und voller Liebe an. Auch wenn ich schon seit meiner frühsten Kindheit ein engeres Verhältnis zu meinem Vater hatte, liebten meine Mutter und ich uns vollkommen, wie Mutter und Tochter es eben taten. Ich wusste, dass sie mindestens genauso froh über die Beziehung zwischen Basti und mir war wie mein Vater – nur konnte sie es eben nicht so oft zeigen, wie er.
»Zusammengefasst: Ihr seid ein wundervolles Paar und ganz Deutschland freut sich für euch.«, brachte Papa die freudige Botschaft rüber. Ich war erleichtert und konnte kaum aufhören zu grinsen.
»Auch wenn es wahrscheinlich die ein oder anderen weiblichen Fans geben wird, die ein wenig eifersüchtig sind – ich bin erleichtert.«, seufzte ich und schielte zu Basti. Auch er sah mich von der Seite her an.
»Dann sind es keine Fans.«, brachte er seinen Standardspruch zu solchen Menschen zum Vorschein. Er hatte recht, so war es, und trotzdem machte es ein seltsames Gefühl in mir, dass es diese Menschen überhaupt gab. Aber heute, in diesem Moment, und für viele weitere Tage, in denen das Glück mich so sehr umarmte, interessierte mich das nicht und das Gefühl würde überdeckt von Liebe.
»Wir sollten anstoßen.«, ließ meine Mutter verlauten und hob ihr Weinglas, um ihr Gesagtes zu unterstreichen. Sie war gut drauf, sie kam aus sich heraus, und das machte mich noch glücklicher.
»Auf Liv und Basti.«, meine Mutter hob das Glas, was wir ihr sofort nachmachten.
»Auf Mark und Carmen.«, sprach Basti das aus, was ich zuvor die ganze Zeit schon gedacht hatte. Er konnte meine Gedanken lesen und dadurch, dass er sie ausgesprochen hatte, hatte meine Mutter sich wahrscheinlich noch ein Stück mehr in ihren ‚Schwiegersohn' verliebt. Er wusste einfach, wie man selbst der ‚Schwiegermutter den Kopf verdrehen konnte. Ich musste mir ein Grinsen verkneifen und überdeckte es mit einem strahlenden Lächeln.
»Ihr seid ein Geschenk.«, mein Vater nahm einen Schluck von seinem Glas, griff nach der Hand meiner Mutter und musterte uns alle so gedankenverloren, dass es mir fast Angst machte.
»Liv?«, meine Mutter ließ das dreckige Geschirr auf der Arbeitsplatte stehen und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Auch ich ließ die Schüsseln stehen und wendete mich ihr zu. Ihre Miene war ernst, fast schon besorgt, und sofort überkam mich eine schlimme Ahnung. Ich bekam Angst und das Gefühl von Liebe und Geborgenheit wich purer Panik.
»Was ist, Mama?«, ich hielt die Luft an und meine Finger krallten sich hinter meinem Rücken in die Arbeitsplatte. Ich hatte Angst umzufallen und brauchte Halt. Basti war zu weit weg, auf dem Balkon mit meinem Vater, und ich stand mit meiner Mutter in der Küche.
»Ist irgendwas passiert?«, ich konnte ihre Antwort kaum abwarten und hätte sie am liebsten geschüttelt und weiter mit Fragen gelöchert. Sie sollte sich nicht so viel Zeit lassen, schließlich wusste sie, dass ich ungeduldig war und immer von dem schlimmsten ausging. Es gab Gesichtsausdrücke und Ansprachen, die mir Angst machten und die Betonung meines Namens und der Ausdruck meiner Mutter gehörten dazu.
»Nein, es ist nichts passiert.«, sagte sie beruhigend, verfehlte jedoch vollkommen ihren Zweck. Ich konnte mich nicht beruhigen. »Ich mache mir einfach Sorgen um deinen Vater und ich glaube, dass du mal mit ihm sprechen solltest.«
Wieder schoss es mir in den Sinn, dass dieses Thema bei meinem letzten Besuch schon auf den Tisch gekommen war. Papa sah schon damals, als Basti und ich noch nicht zusammen waren und er mich in München besucht hatte, blass und ausgemergelt aus. Und je länger ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir das alles: Sie machte sich Sorgen, weil er sich überarbeitete.
»Du denkst, er arbeitet zu viel?«, hakte ich trotzdem nach. »Es geht um das, was du bei meinem letzten Besuch schon angesprochen hast, oder?«
Meine Mutter nickte und verschränkte ihre Arme vor der Brust. Die Angst war noch immer nicht aus ihrem Gesicht gewichen und die Sorge nahm sie so sehr in Beschlag, dass auch sie augenblicklich um Jahre älter aussah.
»Er arbeitet ständig. Ich weiß, das hat er schon immer gemacht, aber er war schließlich auch mal jünger. Aber er kann nicht über Jahre hinweg ein Workaholic sein. Er wird älter und er sollte sich mehr Zeit für sich nehmen.«, meine Mutter seufzte so stark, dass es mir fast das Herz brach. »Schau ihn dir doch an. Er kommt kaum noch dazu, den Tag über etwas zu essen, weil das Restaurant so gut läuft und er nun mal eben alles am liebsten alleine machen würde. Er lässt sich keine Arbeit abnehmen. Der Schlaf kommt viel zu kurz, das Essen auch, und die Zeit, die er braucht, um mal durchzuatmen auch. Mich stell ich hinten an, aber ich will mir nicht weiter anschauen, wie er sich kaputt arbeitet. Das kann doch nicht gut gehen.«
»Du hast Angst, dass er irgendwann in seiner Küche umkippt?«, meine Stimme zitterte fast als ich daran dachte, dass das wirklich Realität werden könnte. Wer sich in seinem Alter so sehr überarbeitete und ununterbrochen unter Stress stand, wurde nicht oft von Herzinfarkten verschont. Die Gedanken trieben mir Schweiß auf die Stirn und ein Engegefühl in meinen Hals, sodass meine Hand automatisch an meine Kehle wanderte.
»Das kann schneller passieren als uns lieb ist.«, ich sah, wie sich die Augen meiner Mutter mit Tränen füllten, was mich sofort dazu bewegte, die Distanz zwischen uns zu überbrücken und sie in den Arm zu nehmen.
»Wein nicht, Mama. Noch ist er ja munter und genießt den Abend. Vielleicht sollte ich einfach öfter kommen oder euch öfter zu mir einladen, denn dann scheint er sich ja eine Auszeit zu nehmen, um Zeit mit uns zu verbringen.«, versuchte ich sie aufzubauen, ehe ich wieder von ihr abließ, um sie anzuschauen. Ich wollte ihr mein Wort geben und dafür sah man Menschen in die Augen. »Ich rede mit Papa und tu mein Bestes, einverstanden?«
»Er hat schon immer mehr auf dich gehört, du bist schließlich sein Mädchen.«, lächelte Mama schwach und wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln. »So, und jetzt ist genug genörgelt – wir sollten die Männer nicht allzu lange alleine lassen, wer weiß, auf welche Ideen sie sonst noch kommen.«
Ich musste lachen und gab meiner Mutter noch einen tröstenden Kuss auf die Wange. Dieser Moment war einer derjenigen, die uns näher zusammenbrachten. Zumindest für den Moment. Und trotzdem hätte ich mir gewünscht, dass es keinen Grund dafür gab, dass sie mich wegen einem solchem Thema ansprechen musste. Ich hatte Angst und egal, wie oft ich an diesem Abend noch lächeln würde, würde die Angst mir immer im Nacken sitzen und meine Augen jede Bewegung meines Vaters unter die Lupe nehmen.
»Kann es sein, dass dich irgendetwas bedrückt?«, ich lag auf Bastis Brust, als diese Worte so tief in meinen Gehörgang drangen, dass ich fast erschreckte. Ich stützte mich auf seiner Brust ab und sah ihn an. Sofort schlossen sich seine Hände um meinen Kopf und seine Daumen strichen behutsam über meine Wangen. »Ich dachte, dass das ein unbeschwerter Abend für dich wird, weil du so glücklich aussahst.«
»War ich auch.«, nuschelte ich und entwich seinem Blick. Ich wollte nicht noch einen Menschen mit Sorgen in den Augen sehen – vor allem nicht Basti, wenn ich der Grund dafür war.
»Hat es was damit zu tun, dass wir in Berlin sind?«, hakte er nach und strich weiter behutsam über meine Wangen. Seine Wärme erschauderte mich und ließ meinen fast nackten Körper in eine wohlige Wärme hüllen.
»Nein, nein. Ich bin echt froh hier zu sein. Vor allem mit dir.«
»Aber?«
»Aber ist dir was an meinem Vater aufgefallen?«, fragte ich ihn direkt. Wenn es ihm auch aufgefallen war, dann sollte ich mir womöglich Vorwürfe machen, dass meine Alarmglocken beim ersten Anblick meines Vaters nicht sofort geläutet hatten.
»Er sieht gestresst und müde aus.«, gab Basti seinen Gedanken freien Lauf. »Aber das sieht jeder mal. Ich, du, Thomas, Lisa, deine Mutter. Das ist doch normal.«
»Nein, ist es nicht.«, ich schüttelte den Kopf und spürte, wie Panik in mir ausbrach und ich mich automatisch im Bett aufsetzte. Ich wollte nicht weinen, weil ich nicht wollte, dass meine Eltern es mitbekommen würden. Mein Vater hatte immer aus dem alten Kinderzimmer mein Weinen bis ins Schlafzimmer gehört. »Das geht seit Monaten so. Schon als er damals bei mir war, bevor wir überhaupt zusammen waren. Er vergisst das Essen, er schläft kaum, er steht ständig unter Strom. Basti, es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis er umklappt und vielleicht nicht mehr aufwacht.«, meine Worte rannen panisch aus meiner Kehle und meine Augen füllten sich augenblicklich mit Tränen. Meine Hände zitterten und die Angst um meinen Vater nahm mir fast die Luft.
»Hey, hey.«, Basti setzte sich sofort aufrecht hin und zog mich zu sich. Seine warmen Hände um meinen Oberkörper beruhigten mich etwas, konnten mir dennoch nicht die ganze Angst nehmen. Ich musste durchatmen und Luft holen, sonst würde ich mich nie beruhigen können. »Liv, du musst dich beruhigen. Atme ruhig ein und aus. Komm, ganz langsam ein- und ausatmen.«, er machte es mir vor und auch wenn es wahrscheinlich fast schon absurd und kindisch war, dass er diese Übung mit mir machte, half sie. Meine Atmung regulierte sich wieder und meine Lungen wurden wieder mit Luft versorgt. »So ist es gut.«, er strich mir sanft über meinen Kopf, während ich unbeholfen in seinem Arm lag und er mich hielt. »Sollen wir morgen zusammen mit ihm sprechen?«
»Ich.. ich glaube, ich muss das alleine machen. Schließlich bin ich seine Tochter. Ich muss ihn doch zur Vernunft bringen können.«, ein Schluchzen durchfuhr mich und ließ mich kurz zusammen zucken.
»Willst du morgen früh mit ihm Brötchen holen gehen? Oder ist es dir lieber, wenn ihr beide das hier besprecht und ich in der Nähe bin?«, fürsorglich machte er mir Vorschläge und ging auf mich. Basti blieb ruhig und obwohl er ebenso eine Bindung zu meinem Vater hatte, die über Jahre hinweg bestand, behielt er einen klaren Kopf. Dafür liebte ich ihn. Wie für so vieles anderes.
»Ich glaube, ich entscheide das morgen, ja? Weil.. ich bin mir so unsicher und ich bin so durcheinander und.. und ich habe einfach Panik grade.«, hilflos sah ich Basti an. Er nickte und gab mir somit zu verstehen, dass er mich vollkommen unterstützte.
»Egal, wie du dich entscheidest, du weißt, dass ich da bin für dich. Und ich bin auch für deinen Vater da. Und wenn du denkst, dass ich ihm von Mann zu Mann mal meine Leviten lesen soll, dann sag mir Bescheid. Du weißt, dass wir uns über die Jahre hinweg immer näher stehen und vielleicht lässt er sich von mir ja auch was sagen.«, Basti zog mich wieder vollkommen in seine Arme und drückte mir mehrere Küsse auf die Stirn. »Ich bin mir sicher, dass dein Vater vernünftig genug ist und sein Leben nicht aufs Spiel stellt. Ich bin mir sicher, dass er seine Tochter irgendwann zum Altar führen will.«
»Ich liebe dich, Basti.«, schluchzte ich und schmiegte mich noch enger an seine Brust.
»Wofür? Dafür dass ich so viel Positives in mir hege?«, versuchte er mich zum Lächeln zu bringen.
»Dafür dass du mir ein Stück meiner Angst nimmst.«
Er war mein Anker in diesem Ozean, der in diesem Moment so unendlich hohe Wellen schlug, dass ich Angst hatte, sie mit meinem Surfbrett nicht mehr stehen zu können.
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Nichts tut für immer weh
Fanfiction[Fortsetzung von "Another Love"] »Und mein Herz schlägt weiter auch wenn es fürchterlich brennt, wenn alles hier zerfällt.« - Liv hatte den Knopf für das Verdrängen gefunden. Nicht dran denken, Gefühle überspielen und mit anderen Gefühlen bekämpfen...