»Wir waren gemeinsam hier und doch nicht zusammen.«

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  »Genau der Club ist mein Geschmack. Ich glaube, der wird zu meinem Stammclub hier in München.«, ich kicherte in die kalte Luft, sah meine Rauchwolken, verursacht durch meinen Atem, in der Nacht verschwinden und spürte, wie sich allmählich immer wieder eine Gänsehaut über meine Arme schlich.
»Du hast da ehrlich gesagt auch super reingepasst.«, Lisa schloss sich meinem Kichern an und zog mich über die Straße. Die Stadt war fast ausgestorben, es war mitten in der Nacht, kein Mensch schien noch wach zu sein und meine Füße taten weh vom Tanzen.
»Das war halt nicht alles so super schick und gezwungen und man musste kein Geld haben um dazu zu gehören und du kannst auch rum laufen wie du möchtest ohne schief angeschaut zu werden.«, ich deutete auf unsere Outfits, die für das Münchner Nachtleben in diesem Viertel mit Hose und Bluse und flachen Schuhen nun wirklich nicht zu den ansehnlicheren gehörten. Wir hatten nicht unsere knappen und vor allem engen kurzen schwarzen Kleider an, keine High Heels an den Füßen, die uns fast zehn Zentimeter größer machten und auch keine perfekt gedrehten Locken und das Abendmake-up vom Kosmetiker drauf. Wir waren wir und das ließ mich in diesem Moment so unendlich frei und wohl fühlen. Ich musste mich nicht verstellen, obwohl ich dachte, dass es in einer Stadt wie München fast der Fall war. Ich konnte genauso peinlich mit meiner Flasche Bier in der Hand durch den Club tanzen und zu all den Liedern mitsingen, wie ich es in Berlin getan hatte. Ich hatte mich das erste Mal wie zu Hause gefühlt und Momente wie diese mit Lisa ließen mich fast vergessen, wo ich mich eigentlich befand.
»Du hast dich wohl gefühlt?«, erriet Lisa grinsend und dirigierte mich durch den kleinen Vorgarten des Hauses, in welchem sich die Wohnung von Thomas und ihr befand. Es war dunkel, die Nacht war noch immer so still, dass es fast gruselig war und der wenige Alkohol, den ich getrunken hatte, schlich sich durch die frische Luft immer weiter in meine Venen.
»Pudelwohl! Das hat absolut gut getan.«, ich lächelte meine Freundin dankbar an und strich ihr für einen kurzen Moment über den Arm, als sie mit einem Klacken die Haustür aufschloss und uns binnen weniger Sekunden eine angenehm warme Luft im Treppenhaus empfing. Ich spürte, wie sehr ich draußen in meinem Blazer eigentlich gefroren hatte und war für einen Moment froh darüber, dass wir endlich nicht mehr durch die kühle Nachtluft wandern mussten.
»Dann wird der Abschluss-Drink mit Thomas ja der perfekte Ausklang für den Abend.«, Lisa schubste mich leicht die Treppe hinauf, ließ ihre Hand so lange auf meinem Rücken liegen bis wir vor der Tür standen und zückte erneut ihren Schlüssel, um die Wohnungstür aufzusperren.
»Ich hoffe, dass er uns nicht den Kopf abreißt.«, lachte ich als sie die Tür aufstieß und wir mit einem Schritt mitten im Flur standen und von zwei männlichen Lachen unterbrochen wurden. Sofort stand ich stocksteif da, spürte nur noch diese Leere und gleichzeitig dieses unendliche Chaos in meinem Körper, mein Herz pulsierte und meine Finger und Beine fingen urplötzlich so stark an zu zittern, dass ich mich automatisch an dem Türgriff der Gästetoilette zu meiner linken festhielt.
»Dazu kommt er nicht, weil ich ihm vorher den Kopf abreiße.«, flüsterte Lisa und stand ebenso angewurzelt wie ich neben mir und starrte in Richtung Wohnzimmertür. Ich konnte nicht glauben, dass genau das in diesem Moment passierte. Ich hatte mich vor wenigen Minuten noch unglaublich wohl und angekommen gefühlt und jetzt.. jetzt wäre ich am liebsten geflohen. Aus der Wohnung. Aus dem Haus. Aus der Stadt.
»Was?«, Thomas lachte als er mit seinem Fußballkollegen an der Seite lachend aus dem Wohnzimmer kam und Lisa ansah. Ich wusste, dass es schief gehen würde. Wir hätten Thomas vorher schreiben sollen. Es war mitten in der Nacht, halb drei, und eigentlich hätten wir damit rechnen müssen, dass er längst schlafen würde. Wir hätten ihm schreiben sollen, ob ein Absacker bei ihnen in der Wohnung in Ordnung gehen würde. Dann hätten wir uns allen diese Begegnung erspart. Ich hätte sie mir und meinem Herzen ersparen können.
»Liv?«, Thomas schien überrascht und kam langsam auf Lisa und mich zu. Seine Mimik schien ihm aus dem Gesicht gefallen zu sein, seine Hautfarbe wurde heller und die Unsicherheit stand ihm in den Augen. Wieso musste das hier gerade passieren? Wieso jetzt? Wieso hier?
»Ich.. «, meine Stimme zitterte, mein Herz kämpfte gegen das Versagen und Hyperventilieren an, versuchte sich wieder im gesunden Mittelmaß zu bewegen und doch schien es das nicht zu schaffen. Ich hätte gehen, den Moment beenden können, aber irgendetwas klammerte sich an diese Wohnung und an diese Situation. Wahrscheinlich war es mehr mein Herz als mein Verstand – schließlich wusste ich, dass es falsch war, in seiner Nähe zu sein.
»Warum hast du mir nicht geschrieben?«, zischte Thomas seine Frau an und sah zwischen seinem Freund und mir hin und her.
»Thomas, sie kann ja nicht wissen, dass ich mitten in der Nacht bei dir in der Wohnung bin. Lass gut sein.«, ertönte die Stimme, die ich für Wochen nicht mehr gehört hatte. Bastis Stimme. Mein Herz zog sich erneut zusammen und ich hatte das Gefühl seine Anwesenheit legte sich wie eine feste Schnur um meinen Hals und zog sich fest zusammen. Es schien mich fast zu ersticken.
»Ich.. Ich muss eben.. «, ich nickte zu der Treppe, die in den oberen Bereich der Wohnung führte. Ich hatte keinen Blickkontakt mit Basti aufgebaut, hatte seine Gestalt nur einmal mit meinen Augen gestrichen und sofort wieder weggesehen. Es hätte mich wahrscheinlich umgebracht, sobald ich ihn vollkommen wahr genommen hätte.
»Okay.«, Lisa sah mich entschuldigend an, als ich mich umständlich zwischen ihr und der Wand vorbei quetschte. Ich wollte ihm so entfernt wie möglich sein, auch wenn er mir wieder so nah war, wie er es nicht hätte sein sollen.
Völlig außer Atem und mit klopfendem Herzen stieg ich die Treppen hinauf, stand im Flur, wusste nicht wohin mit mir und stürmte trotzdem fast schon nahezu ins Badezimmer. Die einzige Tür, von der ich wusste, dass sie von innen verschließbar war.
Mit stoßendem Atem drehte ich den Schlüssel im Schloss um und ließ mich an der Wand herunter gleiten. Erst saß ich da und wusste nicht, was in mir vorging. Ich konnte nicht sagen was ich dachte oder fühlte. Leere überkam mich, wurde von der Wut gegen das Schicksal abgelöst und endete in der Fassungslosigkeit und Trauer.
Er war hier. Ich war hier. Wir waren gemeinsam hier und doch nicht zusammen. Unsere Herzen hatten sich wieder getroffen und doch nicht gefunden. Unsere Gefühle lagen in der Luft und kämpften womöglich gerade miteinander.
Ich hatte mir ein Wiedersehen anders vorgestellt. Eigentlich hatte ich es mir bis jetzt nie vorgestellt. Auch wenn ich ab und an rumgesponnen hatte wie es wohl wäre ihn wiederzusehen und auch wenn ich in der gleichen Stadt lebte wie er und wir mittlerweile einen gemeinsamen Freund hatten, hätte ich nie damit gerechnet, irgendwann auf diese Art und Weise und völlig plötzlich auf ihn zu treffen. Aber wahrscheinlich wollte uns das Schicksal nicht in Ruhe lassen, nachdem es uns in Brasilien schon einen solch Streich gespielt hatte. Auch da war es zufällig und Basti war in Thomas' Begleitung. Wir hatten damals gesagt, dass es in Deutschland weitergehen würde und es genau hier erst richtig anfangen sollte. Aber das hier war kein Anfang. Das hier war ein zweiter Abschied in Deutschland.
»Liv! Mach auf!«, ich schreckte hoch, als Thomas meinen Namen rief und wie wild an der Tür klopfte. Genervt verdrehte ich meine Augen, hievte mich leicht hoch und drehte den Schlüssel herum.
»Alles okay?«, Thomas stürmte fast schon zu mir auf den Fliesenboden und legte seine Hand besorgt auf mein Knie. Augenblicklich wurde ich in die Vergangenheit katapultiert. Brasilien. Drei Tage vor der Abreise der Spieler nach Rio. Die Begegnung mit Sarah und Basti am Strand. Mein Zusammenbruch im Badezimmer. Thomas' tröstende Worte.
»Ja, alles okay.«, ich nickte ihm lächelnd zu und tätschelte seine Hand als sei er derjenige, der getröstet werden musste. Das musste er nicht, vielmehr musste ich ihn beruhigen, und trotzdem tat es mir gut meinen Fokus auf Thomas' Sorge zu legen, als mich um meine eigenen Gefühle zu kümmern. Einfach nicht dran denken, einfach das Herz verschließen, einfach die Mauer aufrecht erhalten, die ich mühsam aufgebaut hatte und Basti würde sie nicht erklimmen können. »Ich war überrascht, schließlich steht er seit Brasilien das erste Mal wieder vor mir, aber.. aber alles super.«
»Ich habe dir schon mal gesagt, dass du mir das gerade vielleicht sagst, dass dein Verstand dich das grade sagen lässt, aber dass ich dir das noch lange nicht glaube.«, Thomas lehnte seinen Kopf gegen die kalte Fliesenwand hinter uns und lächelte matt zurück. Ich hasste ihn dafür, dass er mich durchschauen konnte, dass er derjenige war, der tatsächlich hinter diese große dunkle Mauer vor meinem Herz gucken konnte. Das sollte er nicht und mit dem, was er sagte, machte er es mir nur noch schwerer mich selbst davon zu überzeugen, dass es okay war.
»Spinn nicht rum.«, ich stupste ihn freundschaftlich an, lachte und zog mein Handy aus der Hosentasche.
»Dein Herz sagt was anderes. Lüg dein armes Herz nicht an.«, Thomas flüsterte fast nur noch und zog meinen Kopf kurz darauf zu sich um mir einen Kuss auf die Wange zu hauchen. Für einen kurzen Moment schloss ich meine Augen, ließ meine Mauer weich werden und baute sie in den nächsten Sekunden auch schon wieder so fest und stabil auf, weil ich wusste, dass das hier gerade ein Moment zwischen Thomas und mir war. Eingeschlossen in diesem Badezimmer. Und für keinen anderen bestimmt.
»Ich.. lass uns runter gehen.«, ich seufzte und war mir selbst nicht einmal sicher, ob es das richtige war. Ich hoffte einfach, dass Lisa Basti längst weggeschickt hatte.
»O-okay.«, Thomas schien überrascht, half mir aber hoch und hielt mir die Tür auf. Unsicher ging ich voran, klammerte mich an meiner Tasche fest, und nahm eine Stufe nach der anderen. Ich hörte noch Stimmen, die von Lisa und Basti und für einen Moment wurde ich wütend, weil er noch immer hier war. Es konnte nicht sein, dass er noch nicht weg war. Doch als ich hörte, dass diskutiert wurde, dass Lisas Stimme diese Tonlage angenommen hatte, die sie nur hat, sobald sie sauer wurde, beruhigte ich mich.
»Ey!«, Thomas stupste mich auf den letzten Stufen von hinten an. »Dein Handy!« Ich schien so sehr in Gedanken versunken zu sein, hatte mich so sehr auf die Diskussion, die aus der Küche in den Flur schallte, weil die Tür offen stand, konzentriert, dass ich jegliche Geräusche ausgeblendet hatte. In der Tasche kramend sprang ich von der letzten Stufe, ignorierte mein wild pochendes Herz und sah nach der erfolgreichen Suche einen Namen auf dem Display, der mich erleichtert aufatmen ließ.
»Oli!«, ich grinste als ich seinen Namen so laut wie möglich aussprach und spürte, dass ich längst nicht nur die Aufmerksamkeit von Thomas, sondern auch die von Lisa und Basti auf mir liegen hatte.
»Wo bist du? Seid ihr noch im Club?«, fragte er nach. Mein Herz fing noch wilder an zu pochen. Nicht weil Basti mir zwei Schritte gegenüber stand, sondern weil Oli der Himmel schickte.
»Ja, ich bin gleich bei dir.«, grinste ich, nahm das Handy vom Ohr und legte auf. Ich hatte ihm nicht auf seine Frage geantwortet und mir eine Antwort zurecht gelegt, von der ich meinte, dass sie Basti treffen würde. Ich fing an, ein Spiel zu spielen, das absolut kein Niveau hatte und das hier absolut Fehl am Platz war. Aber genauso Fehl war Basti hier auch.
»Ich meld mich morgen bei dir. Ich muss zu Oli.«, betonte ich den Namen noch einmal extra als ich Lisa einen Kuss auf die Wange hauchte, ich Thomas auch kurz an mich drückte und im nächsten Moment, ohne Basti eines Blickes zu würdigen, aus der Tür verschwand. Noch im Treppenhaus kramte ich meine Zigarettenschachtel aus der Tasche und zündete den Glimmstängel an, sobald ich den Fuß aus dem Haus gesetzt hatte.

»Das ging aber schnell.«, lachte Oli als er die Tür öffnete, ich mich in seine Wohnung schob und sie mit dem Fuß schon wieder zustieß. Meine Tasche und mein Blazer landeten unter der Garderobe, mein Blick hielt seinen Augen stand und ich wusste, dass ich gerade etwas anderes als eine Unterhaltung brauchte.
»Ich hatte Sehnsucht.«, flüsterte ich, ging stürmisch auf ihn zu, nahm seinen Kopf in meine Hände und presste meine Lippen auf seine. Meine Zunge suchte sich einen Weg zwischen seine Lippen, meine Hände wanderten an den Saum seines T-Shirts und mein Verlangen danach ihn zu spüren und mein Herz auszuschalten, wuchs von Sekunde zu Sekunde. Ich brauchte das Adrenalin, gepuscht von dem Sex, von dem Verlangen, von der Erotik, von seinem Anblick. Ich brauchte das alles, um jegliche Dinge um mich herum zu vergessen. Um meine Gefühle zu vergessen und wenigstens für den Rest der Nacht frei zu sein.  

Nichts tut für immer wehWo Geschichten leben. Entdecke jetzt