Die Fußgängerzone war prall gefüllt, man musste Menschen aus dem Weg gehen um nicht umgelaufen zu werden und Grund dafür war die warme Sonne, die sich trotz Mitte Oktober durch die Wolken schob und 90% der Menschen um mich herum ein Lächeln auf die Lippen zauberte. Auch ich lächelte, hatte einen Tee to go in meiner Hand und spürte einen lockeren Arm, der sich um meine Schulter gelegt hatte. Der starke Geruch von Männerparfüm, der mir in den letzten Wochen so unheimlich lieb geworden war, stieg in meine Nase und ich zog meine Sonnenbrille, die ich lässig mit einem Bügel in meine freie Hosentaschenseite gesteckt hatte, auf die Nase. Meine Haaren lagen mir gewellt und locker über den Schultern und der Stoffrucksack auf meinem Rücken wippte im Takt meines Ganges mit.
»Du hörst mir gar nicht zu, Liv!«, Olis Lachen erklang in meinen Ohren und ließ mich leicht aufschrecken.
»Sorry, ich war total in Gedanken.«, ich drehte meinen Kopf leicht zur Seite und schenkte meiner Begleitung ein leichtes Lächeln. »Was hast du gesagt?«
»Ich habe gesagt, dass heute das perfekte Parkwetter ist. Wir könnten Bier kaufen und uns am Abend mit den anderen im Park treffen und grillen. Was meinst du?«
»Klar, warum nicht? Wir haben uns die letzten Tage viel zu viel im Bett verkrochen.«, stellte ich fest und kicherte leicht.
»Aber es waren aufregende Tage.«, versicherte Oli fest und schenkte mir einen schelmischen Blick. Es war eine Anspielung auf all den Sex, auf all die nackte Haut, auf all das Lachen, das unbefangene Nackt-sein und auf all den Schweiß, die Küsse und Berührungen, die wir ausgetauscht hatten. Ich musste grinsen als ich daran dachte und je länger ich ihn betrachtete, desto mehr fiel mir wieder einmal auf, wie schön er eigentlich war.
»Dem ist nichts hinzuzufügen.«, stimmte ich ihm fest und verschränkte meine Hand mit der seinen, die locker über meine Schulter fiel.
»Kann ich dich was fragen?«, Oli stupste mit unseren verschränkten Händen gegen meine Schulter und sah mich fordernd an, während wir nach links und rechts torkelten, um Personengruppen aus dem Weg zu gehen. Ich liebte München, aber manchmal verfluchte ich es, dass es wirklich überall in der Stadt nur so vor Touristen wimmelte. Ich war von Berlin viel gewohnt, doch die kleinen verlassenen Ecken, die Touristen hier in München nicht kannten, waren mir noch genauso unbekannt.
»Ich denke, dass du langsam wissen solltest, dass du dich neben unserem Sex auch noch mit mir unterhalten darfst, Oli.«, ich legte meinen Kopf leicht schief und war verwundert, wie oberflächlich unsere Beziehung eigentlich war. Die Art wie er mich fragte, ob er mir eine Frage stellen dürfe, sein Blick dazu.. ich bekam eine Gänsehaut und verdrängte alles, woran ich gerade dachte. Wir waren hier, gemeinsam. Gaben uns Nähe, Berührungen und Zuneigung. Wir zeigten dem jeweils anderen, dass wir etwas wert waren und dass wir gebraucht wurden – wenn auch auf eine oberflächliche Art und Weise.
»Warum hast du heute Nacht alleine mit Wein und Zigaretten auf dem Balkon gesessen?«
Seine Frage traf mich mitten in die Magengrube und für diesen klitzekleinen Moment wünschte ich mir, dass ich ihm verboten hätte mich etwas zu fragen.
»Ich.. «, fing ich an, bevor ich überhaupt irgendeine Ahnung hatte, was ich sagen sollte. Die Wahrheit? Eine Lüge? Irgendeine Geschichte, die er mir hundertprozentig abkaufen würde? »Warum fragst du?«
»Weil es mich interessiert. Sieht dir nicht unbedingt ähnlich Wein gegen die Schlaflosigkeit zu trinken. Sonst weckst du mich und.. na ja, du weißt schon.«, er grinste breit. »Also?«
»Genau das ist es, Oli. Wir beide führen eine lockere Affäre, da gehört keine Gefühlsduselei rein.«, ich ließ meine Hand aus seiner gleiten und blieb kurz stehen, um ihn anzusehen. »Manchmal muss man nicht alles mit einem Menschen teilen, mit dem man viel Zeit verbringt.«
»Die Geheimnisvolle.«, er grinste keck und schien sich nicht sonderbar daran zu stören, dass ich ihm etwas verheimlichte. Anscheinend wusste er, wie man Affären führte.
»Nenn wie du es willst.«, grinste ich zurück und drückte ihm einen leichten Kuss auf die Wange, ehe ich an meinem Tee nippte und den Weg fortsetzte. Etliche Menschen, die Massen wurden nicht weniger, egal wie lange wir uns hier aufhielten, egal wie weit wir gingen und vor allem egal wohin wir gingen. Ich fühlte mich bedrängt und am liebsten hätte ich mich schon jetzt mit der Hoffnung auf Besserung in den Park gesetzt und an einem Bier genippt.
»Liv!«, ich zuckte zusammen als ich durch das Stimmenwirrwarr meinen Namen rufen hörte. Es war eindeutig nicht Oli, der mich gerufen hatte, weswegen ich mich verwirrt umsah und am Rande der Einkaufsstraße vor einem Modegeschäft einen dünnen, großgewachsenen jungen Mann stehen sah. Sein Lächeln war breit, seine Zähne wieder so präsent wie immer und der Ausdruck seiner Augen herzlich wie eh und je.
»Komm mit.«, sagte ich zu Oli und nickte Richtung Thomas, der mir dabei zusah, wie ich mich durch die Massen quetschte. Die beiden hatten sich schon einmal gesehen, waren einander bekannt und ich war froh, dass ich die Tortour der Erklärungen, warum ich einen Spieler der deutschen Nationalmannschaft und des FC Bayern Münchens kannte, hinter mir hatte.
»Was machst du denn um die Uhrzeit hier?«, ich grinste breit und warf mich um Thomas' Hals. Seit meinem Umzug in den Süden des Landes, hatten Thomas und ich uns öfter getroffen. Er war derjenige, der mich am Anfang an die Hand genommen hatte, damit ich nicht vollkommen unterging. Es war meinem Vater wichtig, dass ich jemanden in direkter Nähe hatte, der sich um mich kümmern konnte, weswegen etliche Anfangstreffen mit Thomas auf seine Kappe gingen. Seltsam war es trotzdem ihn zu sehen. Fernab vom Fußball, fernab von Basti. So ganz alleine.
»Ich habe noch Trainingsfrei und Lisa wollte unbedingt in die Stadt.«, er drückte mich an sich und hauchte mir einen kurzen Kuss auf die Wange, bevor er von mir abließ und Oli die Hand zur Begrüßung entgegen streckte.
»Frauen!«, warf Oli ein und zog Thomas' Blick auf sich. Ich konnte ihm ansehen, dass es nicht unbedingt seine Meinung traf, wusste aber, dass er trotz weniger Sympathie gegenüber Oli nett und freundlich bleiben würde.
»Kann schon sein.«, lachte er deswegen und sah kurz darauf wieder zu mir. »Kommst du heute Abend um sieben Uhr vorbei?«
Ich sah zwischen den beiden Männern hin und her. Dachte an die Pläne, die ich am Abend mit Oli hatte und wusste nicht, welchen Weg ich gehen sollte.
»Ich.. «, ich sah zu Oli, dann zu Thomas und mir wurde klar, welcher für heute Abend die bessere Entscheidung sein würde. »Okay, ich bin um sieben bei dir.«
Wahrscheinlich würde Oli meine Antwort nicht für gut heißen, aber das war mir egal. Ich hatte mich das ganze Wochenende mit ihm in meinem Schlafzimmer verschanzt, hatte nur das Bett verlassen um zu duschen und dem Lieferdienst die Tür zu öffnen oder um feiern zu gehen. Wir führten eine Affäre, irgendeine oberflächliche Beziehung ohne Tiefgrund und ich brauchte Luft zum Atmen. Und Zeit mit jemandem, dem ich mein Herz ein Stück weit öffnen konnte.
»Hi!«, ich grinste breit, als mir die Tür vor der Nase geöffnet wurde und Thomas mich lächelnd ansah. Sofort wusste ich, was ich die letzten Tage vermisst hatte.
»Komm rein.«, er zog mich für einen kurzen Moment zu sich um mir einen Kuss auf die Wange zu geben und deutete in Richtung Küche.
»Ich hab was mitgebracht!«, stolz zog ich eine Flasche Saft und eine Flasche Rotwein aus meinem Rucksack. »Wein für Lisa und mich und die spezielle Mischung Apfelsaftschorle für dich.«
Thomas brach in Gelächter aus und berührte im Vorbeigehen meine Schulter. »1 Teil Apfelsaft, 4 Teile Mineralwasser?«
»Ich habe viel gelernt.«, stimmte ich in sein Lachen ein, hob stolz den Finger und dachte an die Anfangszeit in München, in denen er sich immer genau dieses Getränk bestellte – egal, wo wir waren. Ich hatte nie verstanden wieso und weshalb und warum, doch anscheinend soll genau das Sportler-Herzen und vor allem die des Trainers höher schlagen lassen. »Wo ist Lisa?«
»Die ist mit Freunden unterwegs.«, gab Thomas unberührt von sich, während er an der Arbeitsplatte stand und einen Salat vermengte.
»Alles okay bei euch?«, verwundert runzelte ich meine Stirn und beobachtete ihn, wie er den Salat mit Brot auf den Tisch stellte und sich setzte.
»Klar, warum?«, er lächelte und deutete mir mich ebenfalls zu setzen. Ich war noch immer skeptisch und empfand seine Stimmung als seltsam. Irgendetwas lief hier anders als ich es vermutlich gedacht hatte und dass Lisa nicht hier war, verunsicherte mich nur umso mehr. Es war zwar nicht sonderbar, dass Thomas und ich uns alleine trafen – anfangs war das der Normalfall -, doch seit Lisa und ich uns angefreundet hatten, war sie immer mit von der Partie.
»Hier läuft irgendwas, von dem ich nichts weiß.«, ließ ich meinen Gedanken freien Lauf und musterte Thomas, als er uns Salat auf die Teller häufte und Baguette abriss. Es kam lange nichts, er schob sich eine Gabel mit Salat nach der anderen in den Mund, füllte unsere Gläser mit den Getränken und entwich meinem Blick. Es brachte mich fast um, dass er so ruhig zu sein schien und in aller Ruhe essend neben mir saß.
»Wenn du nicht gleich sagst, was für ein Spiel hier gespielt wird, gehe ich wieder.«, zischte ich und nahm einen großen Schluck von meinem Wein.
»Liv«, fing er dann urplötzlich an, als ich längst nicht mehr damit gerechnet hätte. Sofort horchte ich auf. »Ich bin echt froh, dass dein Vater mich angesprochen hat und ich ein bisschen auf dich Acht geben soll. Ich weiß, ich bin fast genauso alt wie du und benehme mich wahrscheinlich manchmal so, als wäre ich doppelt so alt und hätte doppelt so viel Lebenserfahrung, aber-«
»Aber was, Thomas?«, ich musterte ihn und wurde noch skeptischer. Ich dachte eigentlich, dass mich seine Worte aufklären würden, doch irgendwie machten sie mich nur nervöser und die Tatsache, dass ich augenblicklich an Basti denken musste, erschreckte mich.
»Ich habe keine Lust drum rum zu reden, aber bist du sicher, dass das mit Oli... also meinst du, dass das das Richtige für dich ist?«
Perplex sah ich ihn an und ließ mich zurück gegen die Stuhllehne sinken. Ich war überrascht, dass er so direkt war und irgendwie berührt, dass er sich anscheinend solche Gedanken um mich machte.
»Lisa ist also nicht da, damit du mal Klartext mit mir reden kannst, ja?«, ich grinste ihn an und lehnte mich wieder vor, um meine Ellenbogen auf den Tisch zu legen. Mein Salat war noch immer unberührt, weil ich es nicht als angemessen empfand, jetzt anzufangen zu essen. Auch Thomas hatte sein Besteck längst zur Seite gelegt.
»Na ja.. «, auch er grinste leicht. »Ich mache mir halt einfach Sorgen. Ich bin echt froh, dass.. dass du wieder glücklich bist und du Spaß hast, feiern gehst und endlich deinen Platz zum Studieren hast, aber.. du bist so eigentlich nicht.«
»Thomas, so gern ich dich habe und so viel Zeit wir mittlerweile miteinander verbracht haben – du kennst mich nicht vollkommen.«, versuchte ich ihn zu beruhigen. Ich wusste, dass er auf Basti und mich hinaus war und ich hoffte einfach, dass ich drum herumkommen würde, darüber zu sprechen. Ich wollte nicht daran erinnert werden.
»Manchmal sieht man es Menschen aber einfach an, Liv. Und du bist manchmal irgendwie.. unecht, wenn du mit ihm zusammen bist.«, Thomas sah mich durchdringend an und verschlug mir urplötzlich die Sprache. Er hatte recht mit dem was er sagte. Aber ich war nicht soweit, um es zuzulassen. Zwar wollte ich endlich mein Herz sacken und das raus lassen, was mir in den letzten Wochen den Verstand geraubt hatte, aber irgendetwas in mir, diese große Mauer, die ich mit Mühe und Not aufgebaut hatte, hielt mich zurück.
»Thomas, mir geht es echt gut. Es ist schwierig hier in München, weil alles an Basti erinnert, aber die Zeit mit Oli tut mir gut. Er tut mir gut.«, lächelte ich und legte für einen Moment meine kalte Hand auf seine. Ich belog mich, ich belog ihn, ich belog Oli und ich belog mein Herz. Aber manchmal war lügen besser als der Einsturz sämtlicher Gefühle. Ich konnte es mir nicht leisten etwas über mich zusammenbrechen zu lassen, schließlich hatte ich gerade mein Studium begonnen und ein Tief, ausgelöst von Gefühlen, konnte ich nun wirklich nicht gebrauchen. Ich musste standhaft bleiben.
»Ich glaube dir, aber deinem Herzen nicht.«, Thomas sah mich noch für einen Moment an und wandte sich dann wieder seinem Essen zu. Perplex saß ich da und konnte kaum glauben, was er gerade gesagt hatte.
»Ehrlich, Thomas.«, verharrte ich auf meiner Aussage und wollte nicht schweigend unser Essen fortsetzen. Diese seltsame Atmosphäre, die sich durch das Gespräch in der Luft aufgehängt hatte, hätte ich am liebsten vertrieben.
»Es ist okay, Liv.«, versicherte mein gegenüber mir. »Wenn irgendetwas ist, weißt du, wo du dich melden kannst, oder?«
»Ja, ich denke schon.«, meine Stimme wurde leise. »Das ist keine Selbstverständlichkeit und.. danke dir, wirklich.«
»Du bist mittlerweile zu einem positiven Effekt in meinem Leben geworden, Liv.«, er lachte und legte seine Gabel wieder beiseite. »Endlich jemand Weibliches, der mindestens genauso viel Quatsch im Kopf hat wie ich. Außerdem mag Lisa dich echt gerne und das macht mich glücklich.«
Ich wusste nichts mehr zu sagen, weil ich mit diesen Komplimenten nicht umzugehen wusste. Ich beließ es dabei, schenkte ihm noch ein Lächeln und widmete mich für einen Moment dem Essen. Es war lecker, Thomas war der Spitzenkoch wenn es um die Zubereitung von Salaten ging und auch bei der Weinauswahl hatte ich hundertprozentig ins Schwarze getroffen. Irgendwie war ich trotz der Stimmung, die sich mittlerweile Gott sei Dank so schnell wieder gelegt hatte, wie sie gekommen war, froh Oli abgesagt zu haben. Auch wenn ich mein Herz nicht komplett öffnen konnte, tat es gut zu wissen, dass Thomas tiefer in mich reinschauen konnte, als ich dachte.
»Kann ich dich noch was fragen?«, ich seufzte und sah ihn fragend an.
»Klar.«, er zuckte mit den Schultern und musterte mich mit diesem Blick, der mir verriet, dass meine Frage überflüssig war.
»Akzeptierst du ihn? Ihr müsst auch echt keine Freunde werden, aber.. «
»Er ist einer von der Sorte, die ich nicht mal kennenlernen muss, um zu wissen, dass ich niemals mit ihnen auskommen würde. Er.. er.. ja, ich akzeptiere ihn.«, Thomas lächelte mich sanft an und augenblicklich wusste ich, dass er es ernst meinen würde.
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Nichts tut für immer weh
Fanfiction[Fortsetzung von "Another Love"] »Und mein Herz schlägt weiter auch wenn es fürchterlich brennt, wenn alles hier zerfällt.« - Liv hatte den Knopf für das Verdrängen gefunden. Nicht dran denken, Gefühle überspielen und mit anderen Gefühlen bekämpfen...