»Es tut so gut, dich wieder in den Arm nehmen zu können.«

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  »Tut mir leid, dass ich mich nicht gemeldet habe. Bin spontan zu meinen Eltern hoch gefahren. Melde mich, sobald ich zurück bin. Liv xx«




Mehr oder weniger zufrieden, steckte ich mein Handy zurück in meine Jackentasche. Nach dem kurzen Gespräch mit Basti am Vortag in seiner Mittagspause, wusste ich, dass ich mich mit Oli auseinandersetzen musste. Doch ich wusste nicht genau wie. Das alles, was gerade mit Basti passierte, war so neu, obwohl ich es schon einmal erlebt hatte, dass ich nicht in der Lage war, mich mit Oli zu treffen. Ich wusste, dass ich seine Nähe gerade nicht ertragen konnte, weil es mich daran erinnern würde, was für ein Leben ich geführt hatte. Das alles hörte sich an, als wäre das alles Ewigkeiten her und ich war mir bewusst, dass Basti und ich noch ganz am Anfang standen und dass es für jeden Menschen auf dieser Welt womöglich naiv anhören musste, doch ich wollte mich auf das konzentrieren, was mir gut tat – und das war nun mal Bastis Nähe. Auch wenn ich vor wenigen Tagen noch so unendlich verletzt war und mich komplett geweigert hatte, auch nur ein Wort mit ihm zu wechseln und ihm die Chance einer Erklärung zu geben, wusste ich jetzt, dass es das richtige war, es wieder zuzulassen. Alles andere musste nun mal hinten anstehen.
Ich drückte mit einem Lächeln auf den Lippen die Tür zum Geschäftsgebäude auf. Da ich keinen Zutritt zum Trainingsgelände hatte, wollten Basti und ich uns vorerst genau hier treffen. Ich kam mir vor wie eine Spionin oder ein Spitzel, musste augenblicklich an den Moment zurückdenken, an dem Jogi mich als Spitzensportlerin aus Brasilien darstellte, und musste mir ein Lachen verkneifen. Die Fußballwelt war nie meins gewesen und ich konnte nicht von mir behaupten, dass ich mich auch nur ein kleines bisschen dafür interessierte, aber erleben tat man trotzdem eine Menge.
»Pünktlich wie die Eieruhr.«, schallte Bastis Stimme vom anderen Ende der kleinen Empfangshalle zu mir herüber, als ich mich gerade auf eines der Sofas fallen lassen wollte. Sofort hielt ich in meiner Bewegung inne und drehte mich lächelnd zu ihm um.
»Ich bin sogar noch zu früh.«, gestand ich grinsend. »Bist du etwa früher vom Platz verschwunden?«
»Nein, ich habe mich beim Duschen eben beeilt.«, Basti schnappte sich meinen Arm und zog mich in eine Umarmung. Die Empfangsdame hinter einem Tresen beobachtete uns genau, sodass ich – wenn ich nicht gewusst hätte, dass sie zu [i]uns[/i] gehörte – hätte denken können, dass sie Journalistin war. Irgendwie war es mir unangenehm und ich fühlte mich so ausgeliefert wie ein Affe im Zoo, weswegen ich froh war, als Basti mich durch die Halle zog, mit mir durch eine Tür und einen Gang entlang ging, um am Ende durch eine weitere Tür wieder ins Freie zu gelangen. Direkt neben uns erstreckte sich nun der große Platz, wo noch die in oder anderen Spieler trainierten und kräftig hinter den Ball traten und vor uns befand sich das Gebäude mit all den Trainings- und Massageräumen – das Gebäude, auf dem wir wieder einmal die Mittagspause verbringen wollten.
»Heute ist aber relativ frisch, findest du nicht auch?«, ich schielte zu Basti und sah, wie sich seine Lippen sofort zu einem Grinsen verzogen.
»Ich wusste schon heute Morgen, als ich den Wetterbericht gesehen habe, dass du das heute sagen wirst.«, gestand er noch immer grinsend und hielt mir die Tür auf, die in das Gebäude führte. »Ich habe oben schon meine dicke Jacke und Decken bereit gelegt.«
»Perfekt. Und ich hab das Essen dabei.«, ich grinste und huschte neben ihm die Treppen hinauf. Dass meine Kondition nicht mehr die beste war, merkte ich, als wir den Fahrstuhl unbeachtete ließen und all die Stufen nach oben liefen. Vielleicht wäre es mal wieder an der Zeit ins Fitnessstudio zu gehen oder mit dem Laufen zu beginnen. Ich wollte schließlich schön und fit sein.
»Was hast du mitgebracht?«, fragte Basti neugierig, als er die letzte Tür auf das Dach aufstieß und uns sofort ein kühler Wind umgab. Auch wenn ich meine dünne längst gegen eine dickere Jacke getauscht hatte, fror ich ungemein und freute mich darauf, mich gleich in eine der Decken kuscheln zu können.
»Ich dachte mir, dass wir heute vielleicht ein bisschen gesunder leben, nachdem wir gestern die dicke Pizza hatten.«, ließ ich verlauten und musste bei Bastis Stirnrunzeln anfangen zu lachen. »Es gibt Salat mit Putenbruststreifen.«
»Na Gott sei Dank! Ich dachte schon, du hast irgendeinen seltsamen Shake mitgebracht. Wo du doch gestern noch von den Bodybuildern aus dem Gym und ihren Shakes geschwärmt hast.«, Basti fing an zu lachen und reichte mir eine Decke, die kurz vor der Kante des Daches lagen. Sofort nahm ich meinen Jutebeutel von der Schulter, legte ihn sanft auf den Boden und wickelte mich in die rote Decke ein.
»Ich hoffe, dass du gestern noch im Gym warst, sonst kannst du das Dressing gleich abgeben.«, ich grinste als ich mich auf meinen Hintern fallen ließ und die beiden abgepackten Salat herausnahm. Auf beidem lag eine Plastikgabel und eine Serviette, dazu stellte ich eine Flasche Wasser zwischen uns.
»Bei mir steht heute Salatdressing auf dem Ernährungsplan.«, gab Basti mit erhobener Gabel zu verstehen und riss schon die Packung mit dem Dressing auf, um ihn auf dem grünen Salat zu verteilen.«
»Schon klar, Basti.«, lachte ich und tat es ihm gleich. Ich fühlte mich schon wieder so unendlich wohl hier oben mit Basti. Die Stimmung zwischen uns war so unbeschwert, noch immer vergaß ich die schlimme Zeit zuvor sofort wenn er in meiner Nähe war, obwohl ich immer gedacht hatte, dass seine Anwesenheit mich nur immer wieder daran erinnern würde, was passiert war.
»Weißt du eigentlich, dass das hier gerade fast wie ein Ritual ist? So wie unser Strandritual?«, Basti sah zu mir, als er runter geschluckt hatte und lächelte leicht. Ich sah ihm an, dass er sich nicht sicher war, wie ich an die Erinnerung an Brasilien reagieren würde, hoffte aber, dass ich ihm zustimmen würde. Er hatte Angst, war sich so unendlich unsicher und für einen Moment hatte ich das Bedürfnis, den Salat von meinem Schoß zu werfen und ihn in den Arm zu nehmen. Doch ich hielt mich zurück und lächelte ihn sanft an, um ihn zu beruhigen.
»Wieso fast?«, hakte ich nach. »Ich meine, wir können das doch zu unserem Ritual hier in Deutschland machen. Sobald es möglich ist, gehört die Mittagspause hier oben uns.«
»Ich wollte dich vorgestern Abend schon fragen, ob du Lust darauf hast.«, seine Stimme war fast nur ein Flüstern und die Tatsache, dass er einem kleinen schüchternen Jungen ähnelte, ließ mein Herz fast schmelzen. Er wollte wirklich alles richtig machen.
»Wieso hast du mich nicht einfach gefragt?«, ich lächelte noch genauso sanft.
»Ich weiß nicht, ob das vielleicht zu schnell gegangen wäre. Schließlich wollten wir erstmal schauen, wie es so weiter geht.«, gestand er und sah mich endlich wieder richtig an. Seine Augen funkelten trotz des dunklen Tages.
»Ich fahre von der Uni 30 Minuten hier her. Ich werde jeden Tag dort unten in der Eingangshalle stehen und auf dich warten und mich von der Dame hinter dem Tresen beobachten lassen. Abgemacht?«, mein Lächeln wurde breiter und mein Herz hüpfte umso mehr. Wir bewegten uns beide gerade in die richtige Richtung, jeder trug genau die richtige Prise dazu bei und wir liefen mit jedem weiteren Lächeln ein Schritt von der doofen Vergangenheit davon.
»Abgemacht. Aber warte«, Basti nahm seinen Salat und stellte ihn neben sich auf den Boden, kurz danach kramte er in der Jackentasche seiner Trainingsjacke herum. »damit du nicht immer dort warten und dich betrachten lassen musst, bekommst du die.«, Basti hielt mir eine kleine Karte mit einem Fc Bayern Schlüsselband unter die Nase.
»Was ist das?«, fragend sah ich ihn an.
»Die kannst du vorne einfach vorzeigen, dann kannst du dich auf dem gesamten Gelände frei bewegen und kommst so gut wie durch jede Tür.«, erklärte er mir. Ich drehte die Karte ein wenig zwischen meinen Fingern hin und her. Mein Name, Geburtstag und ein Foto waren drauf zu sehen.
»Woher hast du das Foto?«, ich lachte empört auf als ich das Foto, das ich für meinen Studentenausweis hatte machen müssen, sah.
»Lisa hat mir ausgeholfen.«, Basti grinste breit und zuckte leicht mit den Schultern. Schon klar – er konnte nichts dafür, dass meine beste Freundin mit Fotos um sich warf, die sie ja eigentlich nur für ihr Portmonee von mir haben wollte.
»Nächstes Mal überlege ich mir drei Mal, ob sie ein Foto von mir bekommt.«, warnte ich mit zusammengezogener Stirn, lachte im nächsten Moment aber schon wieder. »Danke dafür, Basti, das ist lieb von dir.«
Mein Lachen verwandelte sich in ein dankbares Lächeln. Er bemühte sich wirklich, ließ sogar hinter meinem Rücken einen Pass für mich drucken, damit ich zutritt auf das Gelände hatte, was mir zeigte, dass er mich wirklich dabei haben wollte und mir im wahrsten Sinne des Wortes die Tür zu seinem liebsten Platz öffnete. Ich hatte damit Zugang zu diesem Platz hier, der eigentlich der seine ist, wann immer ich wollte. Ich konnte auch her kommen, wenn nicht gerade seine Mittagspause war, ich konnte ihm von hier oben beim Training zusehen, ich konnte mich mit Thomas hier treffen, ich konnte ihn überraschen, aber ich konnte auch auftauchen, wenn er es vielleicht gar nicht wollte. Er hatte es sich gut überlegt, das wusste ich, und die Tatsache, dass ich die Karte wirklich hier in meinen Händen hielt, bedeutete mir so viel, dass es mir eine Gänsehaut über den Körper jagte.
»Ich will dir ermöglichen in mein Leben zu schauen. Und da gehört nun mal auch eine Karte vom Fc Bayern dazu.«, er lächelte und zuckte wieder einmal mit seinen Schultern, als wäre es das normalste der Welt. Er spielte es herunter, das merkte ich, und wahrscheinlich wollte er gerade total cool wirken, aber das nahm ich ihm nicht ab.
»Das ist nichts Selbstverständliches und das weißt du, Basti. Nicht, nach allem was passiert ist.«, meine Miene blieb ernst. »Ich schätze es wirklich.«
»Für mich ist es selbstverständlich. Wie sonst wollen wir uns näherkommen, uns noch besser kennenlernen? Ich will dir zeigen, dass ich dir vertraue und da gehört sowas nun mal eben dazu.«, noch immer standen unsere Salate unberührt vor oder neben uns, noch immer hatten wir kaum mehr als zwei Gabeln davon gegessen, doch dieses Gespräch sättigte uns mehr als alles andere.
»Danke, dass du mir vertraust.«, ich lächelte, war gerührt und musste feststellen, dass es mir schwer fiel, meine Tränen zurück zu halten. Diese Situation war so wunderbar, sie erinnerte mich daran, was wir alles für schöne Momente erlebt hatten und ich war so unendlich dankbar, dass es endlich weiterging.
»Ich hab noch was für dich, Liv.«, ich schreckte hoch, weil ich gedankenverloren auf meine Karte geschaut hatte, und sah Basti fragend an. Noch was? War heute der Tag der Geschenke?
»Noch eine Karte?«, platzte es aus mir heraus, als er mir eine weitere Karte unter die Nase hielt. Fragend nahm ich sie an. Ein dickes »Dauerkarte« mit meinem Namen, Geburtstag, der Saison und dem Stadion waren drauf zu sehen.
»Du kannst bei jedem Heimspiel dabei sein, wenn du magst. Auf der Rückseite steht der Block. Das ist der hinter der Trainerbank. Ich weiß, dass du mit Fußball nicht unbedingt viel am Hut hast, aber in Brasilien hat es dir auch gefallen, und vielleicht.. vielleicht willst du mich ja nicht nur hier auf der Arbeit besuchen, sondern auch im Stadion. Lisa hat auch eine. Ich meine.. ihr könntet dann ja zusammen gehen, wenn du Lust hast.«, Bastis stotternde Stimme machte mir klar, dass es in Überwindung kostete, mir diese Karte zu geben. Er wusste, dass ich Fußball nicht unbedingt interessant fand, und trotzdem machte er mir dieses Geschenk. Aber mir ging es hier auch gar nicht um den Fakt, dass es sich um Fußballspiele handelte, sondern um viel mehr. Es ging hier darum, dass er mich an wichtigen Tagen dabei haben wollte. Darum, dass es ihm wichtig war, mich in sein Leben, in seine Wochenenden einzuspannen.
»Sei nicht so verunsichert, Basti.«, ermahnte ich ihn, schenkte ihm kurz darauf aber sofort ein Lächeln. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
»Du musst nichts sagen, es ist ja jetzt auch nicht so bes-«
»Schweige oder ich muss dir den Kopf abreißen!«, ich wurde immer direkter in seiner Nähe und hatte das Gefühl, dass ich in diesem Moment die emotional stabilere von uns beiden war. Daran hatte ich nie geglaubt – ich hatte immer gedacht, dass Basti mit all dem so wunderbar klar kam. »Das ist sehr wohl was Besonderes. Das zeigt mir unglaublich viel und ich danke dir dafür.«, ich wickelte mich aus meiner Decke, schob meinen Salat, den Jutebeutel und die Flasche Wasser zur Seite und rutschte mit den Karten in meiner Hand über den dreckigen Boden zu Basti herüber. Ich saß direkt neben ihm, als ich meine Arme um seinen Oberkörper schlang und meinen Kopf auf seiner Schulter ablegte. Es kostete mich kaum Überwindung diesen Schritt zu gehen, viel zu gerührt war ich von den letzten Minuten. Wenn ich ihm schon nicht sagen konnte, wie viel mir das ganze bedeutete, musste ich wenigstens versuchen es ihm zu zeigen.
»Danke, Liv.«, flüsterte Basti irgendwann. Er hatte seinen Arm um meine Schulter gelegt und mich noch ein Stück näher an sich gezogen, um die Umarmung perfekt zu machen. Unten konnte man vereinzelte Autos fahren, Spieler rufen, lachen und schießen hören.
»Wofür?«
»Dafür, dass wir hier sitzen. Ich hab das fast gar nicht mehr dran geglaubt.«, wieder war seine Stimme nicht mehr als ein Flüstern. Ich wollte auch nichts mehr sagen, weil ich Angst hatte, ich würde diesen magischen Moment und diese Stimmung, die sich zwischen uns gelegt hatte, zerstören. Ich wollte einfach, dass die Zeit still stand, jeder in seinen Bewegungen innehielt, und nur unsere Herzen weiter im selben Takt schlugen.
»Ich auch nicht.«, stimmte ich ihm zu und spürte, wie seine Umarmung für einen kurzen Moment fester wurde. Auch ich verstärkte den Druck, den ich durch das Umarmen auslöste und schmiegte mich für einen kurzen Moment noch mehr an ihn. Ich fühlte mich so geborgen, so angekommen. Ich spürte, was ich vermisst hatte, was ich all die Monate gebraucht hatte. Ich wusste, dass er mir wehgetan hatte, doch dass seine Nähe pure Medizin war und mich heilte. Jedes Lächeln, jedes Wort, jede Minute mit ihm brachte mich dorthin zurück, wer ich in Brasilien war. Ich war so unbeschwert glücklich, ich dachte an nichts, was mir sonst so Sorgen bereitete. Ich brauchte keinen Wein zum Einschlafen, keine Zigarette zur Beruhigung, weil es mich das Wissen beruhigte, dass er zurück war.
»Es tut so gut, dich wieder in den Arm nehmen zu können.«, gestand Basti nach ein paar Sekunden. Er legte die Decke, die noch unberührt neben ihm gelegen hatte, um seine Schultern und nahm mich auf der einen Seiten mit drunter. Der Wind, der um uns herum seine Spielchen trieb, störte nicht. Mir war nicht mehr kalt, weil er mich wärmte. Weil mir in seiner Nähe immer wärmer war, als wenn er nicht da war.
»Ich.. ich.. «, kurz stoppte ich, weil ich mir nicht sicher war, ob es wirklich der richtige Zeitpunkt war. Doch im nächsten Moment machte sich mein Mund schon wieder selbstverständlich. So, wie es immer der Fall war, wenn Basti da war. Ich öffnete mein Herz immer vor ihm, weil ich wusste, dass all das gut bei ihm aufgehoben war. »ich hab dich vermisst.«
»Ach Livi.«, Basti zog die Decke fester um uns und lehnte seinen Kopf auf meinen. Ich spürte, wie mein Herz schlug und ich spürte durch die dicke Jacke, wie sehr sein Herz schlug. Mein Herzschlag hatte sich seinem angepasst und das beruhigte mich. Weil ich das Gefühl hatte, wieder gemeinsam zu sein.

Nichts tut für immer wehWo Geschichten leben. Entdecke jetzt