»Heute war alles irgendwie anders.«

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  »Du hast Geburtstag, du hast Geburtstag, es wird gefeiert und gelacht und wir tanzen durch die Nacht!«
Mit einem großen Blumenstrauß und einer passenden Karte dazu in der Hand stand ich vor Lisa als sie die Wohnungstür aufgezogen hatte. »Alles Gute zum Geburtstag, Lisa!«, versuchte ich meine gespielte Begeisterung für Geburtstage so echt wie möglich rüberzubringen. Zwar fand ich es noch schlimmer wenn ich selbst Geburtstag hatte, doch auch die Freude wenn andere ihren Ehrentag hatten, konnte mich nicht packen. Doch ich gab mein Bestes, Lisa zuliebe.
»Ach Gott, danke!«, sie grinste breit, nahm den Blumenstrauß entgegen und ließ sich von mir in den Arm nehmen.
»Dass du bleibst wie du bist, so munter und froh.«, versuchte ich es weiter mit Glückwünschen und musste in Lisas Lachen mit einstimmen, dass mir verriet, dass ich dafür wohl oder übel noch üben musste.
»Brech dir keinen ab, komm lieber rein.«, Lisa zog mich in die Wohnung, hatte immer noch dieses typische Grinsen auf den Lippen, das man schon die Tage zuvor sehen durfte, wenn es um ihren Geburtstag ging, und stieß die Wohnungstür hinter uns zu.
»Ich habe mir echt Mühe gegeben!«, stieß ich gespielt empört aus und verschränkte für einen kurzen Moment meine Arme vor der Brust. »Dein Plan ist ja so gar nicht aufgegangen, oder?«, spielte ich auf die Tatsache an, dass Basti und Thomas schon längst beim Training waren und erst zum Kaffee und Kuchen und wieder da sein würden. Man konnte nicht alles haben, auch nicht Lisa. Und vor allem nicht Lisa als Frau von Thomas Müller.
»Nee, irgendwie habe ich mir das alles ein bisschen anders vorgestellt.«, sie schob kurz ihre Oberlippe vor, ehe sie eine Vase aus dem Schrank nahm und die Blumen rein stellte. »Die Karte lese ich morgen in Ruhe, abgemacht?«
»Ja, klar. Kein Stress!«, winkte ich an und zog mir einen Küchenstuhl vor. Der Tisch war gedeckt, die Sektgläser gefüllt. Es gab viele Köstlichkeiten und ich war froh, wenn wir anfangen würden zu essen. »Aber um vier sollten sie doch wieder da sein, oder?«
»Ja, zumindest muss Thomas um vier den Kuchen aus der Konditorei abholen. Wäre also von Vorteil.«, Lisa zog ihre Augenbrauen in die Höhe. Sofort sah man ihr an, dass sie selbst nicht so sehr an den Plan glaubte, die Hoffnung, dass ihr Mann es aber tatsächlich schaffen würde, nicht aufgab.
»Was hat der werte Herr dir denn da eigentlich an den Finger gesteckt?«, ich schielte an ihre linke Hand und zog sie sofort zu mir, als Lisa sich mir gegenüber auf den Stuhl fallen ließ und kurz davor war ihr Sektglas zu heben.
»Einen schönen Ring.«, sie grinste breit und glücklich. Für einen kurzen Moment konnte ich ahnen, warum sie ihren Geburtstag so sehr mochte. Auch wenn ich nicht der Typ für diese Art Ring war, staunte ich nicht schlecht als an ihrem linken Mittelfinger ein Ring mit einem wunderschönen Stein aufblitzte.
»Der ist echt schön.«, ich betrachtete ihn genau. »Sei froh, dass ich nicht der Typ für solche Ringe bin und ihn mir unter den Nagel reißen will.«, leicht streckte ich ihr die Zunge raus und ließ wieder von ihr ab.
»Den werde ich an meinem Finger festkleben wenns sein muss.«, versicherte sie mir. Und ich glaubte es ihr. Sie und Thomas waren Eins. Die beiden liebten sich über alles, da passte nichts zwischen. Sie gaben sich so viel, sie waren füreinander da, sie standen alles gemeinsam durch. Sie hielten sich gegenseitig, sie begleiteten sich und sie schubsten sich an, wenn einer nicht mehr nach vorn gehen wollte. Die beiden waren für mich in den letzten Monaten zu meinem eigenen Inbegriff von Liebe geworden. Für jeden war Liebe etwas anderes, jeder hatte andere Ansichten. Aber wenn mich jemand fragen würde, wie für mich die perfekte Liebe aussehen sollte, dann würde ich mit Thomas und Lisa antworten. Wenn Basti und ich unseren Weg, den wir neu angetreten hatten, bis zum Schluss gingen, dann würden wir vielleicht auch mal irgendwann genau da ankommen. Vielleicht würden wir das endlich schaffen, nachdem der erste Versuch gescheitert war.


Der Tag war geschafft, die Flaschen Sekt stapelten sich fast. Nicht, dass Lisa und ich sie alleine getrunken hatten, doch die Tatsache, dass man bei jedem Besuch, der vor der Tür stand, einen mittrinken musste, machte alles viel schlimmer. Ich wusste gar nicht, dass Lisa so viele Menschen kannte. Aber es war ein schöner Tag, trotz der Tatsache, dass ein Geburtstag Grund dafür war. Wenn ich meinen im kommenden Jahr genauso verbringen würde, würde er vielleicht sogar ganz okay werden.
»Liv, kannst du mir noch ein Bier mitbringen?«, rief mir ein Freund von Lisa hinterher. Als Antwort gab ich ihm nur ein Nicken und ließ die Meute mit ihren Zigaretten auf dem eigentlich viel zu kleinen Balkon zurück und flitzte durch das Wohnzimmer, wo der Rest saß. Der Abend war schön, ich fühlte mich wohl, obwohl mich das Kennenlernen von neuen Menschen gruselte. Heute war es anders. Heute war alles irgendwie anders.
Lisa hatte eine kleine Party organisiert, ganz gemütlich mit den engsten Freunden aus dem Stall, in dem Thomas und ihre Pferde standen, und die Nachbarn, die unter ihnen wohnten. Musik lief leise im Hintergrund und das Stimmengewirr und Lachen übertönte sie fast. Doch das störte keinen. Keiner wollte laut mitgrölen und tanzen, viel lieber wollten sich alle unterhalten. Das sollte keine super Sause werden, das sollte einfach nur ein Abend werden, an dem wir zusammensaßen, mit Lisa, und ein wenig den Tag zelebrierten, an dem sie vor 24 das Licht der Welt erblickte. 24. Wieder wurde mir klar, dass Lisa nur ein Jahr älter war als ich. Ich war nicht viel jünger, aber immerhin, und trotzdem hatte ich manchmal das Gefühl, dass sie mir um Längen voraus war. Sie war so viel reifer, in so vielen Dingen, und manchmal sogar ein Stück Mutter. Sie gab mir Ratschläge, sie half mir und unterstützte mich. Sie war für mich da, als hätte sie in den letzten 24 Jahren kaum etwas anderes gemacht.
»Liv, die warten auf ihr Bier.«, Basti kam in die Küche geplatzt und erst da bemerkt ich, dass ich mit dem Po an der Arbeitsfläche gelehnt dastand und vor mich hinstarrte. Meine Gedanken hörten abrupt auf und augenblicklich zählte wieder nur Basti für mich. Er musste nur anwesend sein und schon war alles andere sonst in meinem Kopf vergessen. Ich musste lediglich an ihn denken und schon war mein Kopf so voll und mein Herz so warm, dass kein Platz für irgendwen oder irgendetwas anderes war.
»Oh Mist!«, stieß ich aus, strich mir kurz meine Haare aus dem Gesicht und drehte mich einmal um die eigene Achse, um nach der Kiste mit dem Bier Ausschau zu halten.
»Jetzt können sie auch noch fünf Minuten länger warten.«, Basti grinste als er sich an meinen vorherigen Platz lehnte und mich in seine Arme zog. Sofort lehnte ich meinen Körper gegen seinen, schlang meine Arme um seinen Oberkörper und bettete mein Kinn auf seine Schulter. Es tat gut ihn zu spüren, das war eine schöne Abwechslung. Nicht dass er mich den Abend über nicht beachtet hatte, doch man merkte, dass wir längst nicht mehr unter uns waren, wo lediglich Lisa und Thomas zugehörten. Hier waren Leute, die Basti zwar kannte, doch trotzdem war er so vorsichtig, um nicht einmal Gerüchte oder voreilige Schlüsse innerhalb des Freundeskreises entstehen zu lassen. Ich fand es nicht schlimm, ich stand vollkommen hinter ihm, freute mich trotzdem, wenn alles, was hier gerade passiert, so weit gewachsen war, um es präsentieren zu können. Ab und an, in diesen kleinen Sekunden, wo die anderen Paare sich nah waren, hatte ich das große Verlangen, allen zu zeigen, wie sehr mein Herz für diesen Mann schlug.
»Du siehst glücklich aus.«, hauchte Basti in mein Ohr und drückte seine Arme noch ein wenig stärker um meinen Körper.
»Ich bin auch glücklich.«, gestand ich ihm. Es war nicht oft vorgekommen, dass ich genau das von mir hätte behaupten können. Aber die letzten Tage und gerade dieser hier, zwangen mich schon fast dazu, in die Welt zu schreien wie glücklich ich war. Wenn man die Situation mit Oli ignorierte, war mir nur Gutes widerfahren. Und das Gute war nun mal Basti.
»Gibt es einen bestimmten Grund?«, scheinheilig fragte Basti nach, während sich auf seinen Lippen ein Lächeln bildete. Er wusste, dass er der Grund war.
»Ich weiß nicht so recht.«, ich grübelte gespielt, legte meine Stirn in Falten und hob mich vorsichtig aus seiner Umarmung, damit ich ihn ansehen konnte. »Ich glaube, gerade ist alles einfach ganz schön okay.«
»Ganz schön okay, ja?«, Basti lachte auf und musterte mich für ein paar Sekunden, in denen keiner von uns beiden etwas sagte. Die Stimmung zwischen uns lag schon seit Tagen in der Luft, doch heute war sie anders. Wir waren uns nicht erst heute nah, und trotzdem hatte ich das Gefühl, dass es ein anderes Nah war. Intensiver, tiefer. Irgendwie anders. Alles war heute irgendwie anders.
»Ja, ich denke schon.«, ich grinste ihn breit an. »Und bei dir so?«
»Bei mir ist auch alles ziemlich okay.«, grinste er zurück, wurde im nächsten Moment aber wieder ernster. »Erklär mir, was ganz schön okay ist oder was das alles ganz schön okay macht.«, auch wenn er ernst war, war da trotzdem dieses sanfte Lächeln, das seine Lippen mir schenkten.
»Ich.. «, ich wusste nicht, wie ich es ihm erklären sollte. »Ich kann nichts erklären, was.. was ich selbst nicht verstehe. Das kommt mir alles so unrealistisch vor. Als würde ich träumen. Ich versteht nicht, was hier grade passiert.«, ich seufzte und legte meine Hand auf seine Schulter. Am liebsten hätte ich sie in seinen Nacken gelegt und ihn gekrault. Oder an seine Wange, damit er seinen Kopf in meine Handfläche hätte legen können. So wie er es am liebsten mochte. »Versuch du mir dein ziemlich okay zu erklären.«
Basti stutzte kurz, setzte dann aber zum Reden an. »Mir geht's wie dir. Ich kann es auch nicht erklären, weil ich es nicht verstehe. Ich habe noch nie verstanden, was du mit mir machst, wenn du in meiner Nähe bist. Viele sagen, dass man nur Abstand zu einem Menschen braucht und dann alles einfacher wird. Aber als wir ab Brasilien getrennte Wege gegangen sind, hatte ich das Gefühl, dass alles viel schwerer wurde. Es wurd nicht einfacher und ich hab auch nicht weniger an dich gedacht. Das wurd alles viel intensiver. Und jetzt.. «, Basti lächelte mich an und zog mich wieder zurück in seine Arme. »jetzt fühl ich mich so frei. Ich fühl mich frei wenn ich dich sehe und ich fühl mich frei wenn du lachst. Dein Lächeln macht mich frei und all das um mich herum so klein. Deine Anwesenheit raubt mir den Verstand, dass ich manchmal das Gefühl habe mich zu benehmen als wäre ich ein Vollidiot, aber das ist mir dann vollkommen egal, weil es sich trotzdem gut anfühlt. Das alles fühlt sich gut an und ich bin dir so dankbar, dass du das schaffst. Dass du es schaffst mein Herz und mich zu berühren.«, ich musste mich zusammenreißen, dass keine Träne auf seinen nackten Hals tropfte als ich in seinen Armen lag und er mir diese Worte fast schon ins Ohr flüsterte. Ich hatte eine Gänsehaut, mein Herz pochte wie wild gegen meine Brust. Wahrscheinlich spürte Basti das durch unsere dünnen Oberteile und die Nähe, die zwischen uns herrschte, denn er fing an mir monoton über den Rücken zu streicheln.
»Das hast du schön gesagt, Basti.«, brachte ich irgendwann vor, weil ich das Gefühl hatte etwas sagen zu müssen. Ich wollte ihn nicht mit seinen Worten allein im Raum stehen lassen. »Weißt du was?«, wieder hob ich mich aus seiner Umarmung, um ihn ansehen zu können. Sein Griff lockerte sich dadurch automatisch, doch trotzdem war die Nähe da. Meine Hände lagen rechts und links auf seinen Schultern und unsere Gesichter waren so nah voneinander entfernt wie nötig, um sich vernünftig unterhalten zu können.
»Sag es mir.«
»Ich fühl mich zuhause. Ich fühl mich angekommen. Ich meine.. so richtig angekommen. Vollkommen. Ohne dass ich irgendetwas vermisse. Ich bin da, wo ich sein will.«, ich senkte kurz meinen Kopf, um ihn sofort wieder zu heben. Ich musste Basti einfach in die Augen schauen. Ich wollte diesen Moment nicht zerstören. Diese Magie sollte für immer zwischen uns schweben und uns so sehr vereinnahmen, dass uns gar keine andere Möglichkeit bleiben würde, als uns ihr völlig hinzugeben. »Ich bin da mit einem Menschen, der für mich wie nach Hause kommen ist.«
Als ich das sagte erschreckte ich mich fast. Ich hatte keine Kontrolle über meine Lippen, über meinen Kopf, über das was ich sagte oder über meine Gefühle. Alles, was dort drin in mir schlummerte wollte plötzlich raus. Es war nicht geplant, dass ich das sagte, ich wollte mir, uns schließlich Zeit lassen. Aber jetzt war es raus, weil es mein Herz so wollte. Und wenn mein Herz das wollte, dann würde es richtig sein. Dies war der richtige Zeitpunkt.
»Es hat sich so viel und doch irgendwie gar nichts verändert. Alles um mich herum ist irgendwie anders. Aber das, was in mir ist, das.. das hat sich kein Stück verändert. Das ist immer noch da.«, Bastis Hand wanderte an meine Wange. Dieses Mal war ich diejenige, die ihren Kopf in seine Handfläche schmiegte. Ich schloss für einen kurzen Moment die Augen, wollte dieses Gefühl vollkommen in mir aufsaugen. Ich wollte diese Nähe in mir aufnehmen, dass ich sie nie wieder vergessen könnte. Es fühlte sich so gut an. Und noch besser fühlte es sich an, als ich feuchte Lippen auf meiner Wange, meinem Mundwinkel und meinen Lippen spürte. Er küsste mich. Leicht und sanft, so vorsichtig, als wär ich eine Puppe aus Glas. Er berührte mich so bedacht und doch so bestimmt, dass es mir eine Gänsehaut über meinen Körper jagte. Basti wusste, was er wollte und er wusste, was er da tat. Er hatte kein Bier zu viel getrunken, er würde morgen früh nicht aufwachen und sich fragen, was er getan hatte. Ich spürte, dass er das alles mit klarstem Verstand tat. Das hier ließ mich explodieren, das hier weckte noch die letzten Gefühle, die seit Brasilien in mir schliefen. Mein kompletter Körper war wach, alles um mich herum war vergessen. Es zählte nur Basti, seine Berührung, seine Küsse. Es zählte nur, dass wir hier zusammen waren und uns zeigten, was wir uns bedeuteten. Ich hatte mit vielem gerechnet, mit vielen weiteren Worten, die aus unserem tiefsten Inneren kamen und noch mit mehr Berührungen, aber niemals damit, dass unser erster Kuss in der Küche der Müller's ausgetauscht wurde. Aber heute war alles anders. Alles war irgendwie anders.

Nichts tut für immer wehWo Geschichten leben. Entdecke jetzt