»Die Hauptsache ist, dass man am Ende den richtigen hat.«

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  Mit schweren Schritten ging ich die Stufen im Treppenhaus hinauf, klingelte und sah im nächsten Moment schon einen müden Thomas vor mir stehen. Seine Augen waren so klein, fast schon dunkle Ringe zeichneten sich unter ihnen ab und auch das Lächeln, das er mir schenkte, wirkte so müde, als hätte er lediglich ein paar Stunden Schlaf bekommen.
»Alles okay?«, ich grinste, ließ mich von ihm den Arm und gleichzeitig in die Wohnung ziehen.
»Mir geht's so schlecht.«, jaulte er und hielt mich weiter fest. Er war größer als ich und trotzdem legte er seinen schweren Kopf auf meine Schulter als wäre er ein kleiner Junge.
»Du solltest öfter trinken, dann gewöhnst du dich wenigstens dran.«, ich lachte und löste mich aus der Umarmung. »Wo ist Lisa?«
»Die musste kurz zu ihren Eltern.«, sein Gesicht war schmerzverzerrt als er meinen Blick im Umdrehen kurz streifte und vor ins Wohnzimmer ging. Der Couchtisch lag voll mit leeren Tablettenhülsen, Tassen mit Teebeuteln, Wassergläsern und Zwieback. »Ich hab so Kopfschmerzen, mir dreht sich alles und mir ist so übel. Liv, hilf mir doch!«, er verzog sein Gesicht zu einer weinerlichen Miene und ließ sich schwer zurück unter die Decke auf der Couch sinken. Die Luft roch abgestanden und ich hatte Mühe überhaupt atmen zu können – er musste hier einfach schon den gesamten Tag liegen.
»Das nennt man Kater, Thomas.«, ich lachte, während ich die große Balkontür aufzog.
»Oh Liv, lass bloß das Fenster zu, es ist so kalt draußen!«, automatisch zog er sich die Decke komplett über den Kopf und machte mir deutlich, dass auch die Gardinen, die er zugezogen hatte, seinen Sinn hatten.
»Stell dich nicht so an.«, kicherte ich und streifte mir die Schuhe von den Füßen und die Jacke von dem Körper. »Mach mal die Beine hoch.«, wies ich ihn an, damit ich mich auf das Sofa setzen konnte.
»Jetzt kannst du meine Beine ein bisschen massieren. Ich weiß gar nicht, wie ich das Training morgen überstehen soll.«, Thomas lugte unter der Decke wieder hervor. So wie er mich ansah, mit seinen kleinen Augen und mit dem Blick, als wäre das alles gerade das schlimmste, das ihm je passiert ist, konnte er mir fast leidtun und ich fing wirklich an, seine Waden, die über meinen Beinen ausgestreckt lagen, zu massieren. Thomas schloss die Augen und fing wohlig an zu seufzen.
»Wenn du frei hast, trinken wir einfach mal drei Tage durch, dann gewöhnst du dich dran.«, schlug ich lachend vor und wusste, dass ich möglicherweise ein übles Gefühl in seinem Bauch auslösen würde. Der Gedanke an Alkohol, wenn man mit einem derartigen Kater wie Thomas flach lag, konnte einem nur vollkommen den Magen umdrehen.
»Du trinkst keine drei Tage durch.«, erwiderte er nur und war mir für den Moment einfach viel zu ernst. Verwundert stoppte ich für ein paar Sekunden das Massieren seiner Waden und sah ihn aus dem Augenwinkel an. »Du trinkst allgemein nicht so viel, dass du am nächsten Morgen einen Kater hast, Liv.«
Ich seufzte und legte meine Hände nun vollends auf seine Schienbeine. Ich konnte mich nicht auf zwei Sachen gleichzeitig konzentrieren – zumindest nicht, wenn Thomas sich gerade auf ein Thema hinarbeitete, das ernster nicht hätte sein können.
»Das weißt du doch gar nicht.«, ich sah ihn grinsend an. »Vielleicht habe ich in Berlin ja jedes Wochenende meinen Absturz gehabt und war auch deswegen in Brasilien.«
»Nein.«, sagte er trocken und mein Grinsen erstarb sofort. Thomas war der wohl beste Zuhörer und ein wahrscheinlich genauso guter Mensch darin, Leute zu durchschauen und manchmal hasste ich ihn einfach dafür. Er sah mir an der Nasenspitze an, wenn mich etwas bewegte und wenn ich log und auch wenn ich am Ende froh darüber war, dass er mich fast zum Sprechen zwang, hasste ich ihn jedes Mal dafür, dass er diese Gabe besaß.
»Ach Thomas, auf was willst du denn wieder hinaus?«, ich legte meinen Kopf schief und linste ihn leicht an.
»Auf Basti.«
Es war raus. So sehr ich es nicht mochte wenn man um den heißen Brei redete, so sehr mochte ich es auch nicht, wenn Thomas mir genau das Thema so direkt in das Gesicht schmiss. Allein sein Name ließ mein Herz jedes Mal aussetzen und ich fühlte mich plötzlich so leer, weil er mir noch immer fehlte und ich nicht daran erinnert werden wollte. Und auch wenn wir gestern einen schönen Abend miteinander verbracht und ich mich sogar mit ihm unterhalten hatte, tat es noch immer weh. Der Schmerz würde so schnell wohl nie weggehen, weil Basti immer noch so weit weg schien.
»Ich versteh nicht ganz.«, tat ich unwissend und zupfte an der Sofadecke, die uns beide bedeckte. Meine Ohren und meine Wangen liefen womöglich gerade rot an und Thomas durchschaute mich sowieso, aber ich wollte ganz genau wissen, was er meinte.
»Du warst gestern anders.«, gab er zu und zog meine Hand zu sich um sie zu halten. »Du warst wieder so richtig Liv, wie früher in Brasilien. Und wie in diesen kleinen, einzigartigen Momenten, von denen es einfach viel zu wenige gibt.«
»Ich.. Thomas.. «, ich schluckte schwer und unterbrach mich selbst. Seine Worte rührten und berührten mich, trafen direkt ins Herz und ich wusste, dass er recht hatte. »Du hast recht. Ich war gestern.. gestern die alte neue Liv, die ich sein wollte. Ich brauchte kein Bier mehr als ich mit ihm draußen saß. Und als ich mir anfangs die Zigarette angezündet hatte, kam es mir vor als täte ich etwas, das ich sonst nie tat. Ich war für einen Moment wieder ich.«
Thomas zog seine Beine zurück und ließ meine Hand für einen kurzen Moment los, um sich aufrecht hinzusetzen. Ein Bein winkelte er an, das andere stellte er neben der Couch auf den Boden. Seine Hände wanderten derweil zu meinem Gesicht, strichen mir Strähnen zur Seite und streichelten sanft meine warme Wange. Er schien von seinem Kater geheilt, weil er anscheinend wieder vollkommen in seinem Freund-Dasein aufging.
»Das hat man gemerkt, Livi.«, hauchte er und nahm meine Hand wieder in seine. Thomas war der Mensch für Nähe und dafür, jemanden zu berühren um seine Anwesenheit zu unterstreichen. Ich war froh drüber und die Tatsache, dass er mir den Spitznamen gab, den mein Dad mir sonst nur gab, schickte mir eine Gänsehaut über den Körper. Ich fühlte mich grade so geborgen und aufgehoben und wusste, dass ich mich, meine Gedanken und meine Gefühle fallen lassen konnte. »Egal, was zwischen Basti und dir vorgefallen ist, du bist bei ihm gut aufgehoben.«
Meine Gedanken waren mit seinem Satz fast völlig leergefegt. Was sollte das heißen? Sollte das heißen, dass ich wieder etwas mit Basti aufbauen sollte? Wieder irgendetwas in Richtung Beziehung? Das ging doch gerade alles viel zu schnell, dafür war ich nicht bereit und irgendwie drängten mich Thomas Worte in eine Ecke, die mich fast zu sehr umgab und die mich so sehr einengte, dass ich mich ein Stück vom Sofa hochziehen musste, um mich gerade hinzusetzen.
»Ich versteh nicht.. «, hauchte ich ängstlich und Thomas Lippen zogen sich sofort zu einem Lächeln.
»Nein, nein, versteh mich nicht falsch, Liv.«, er tätschelte mir beruhigend meine Hand. »Ich will damit nicht sagen, dass du dich Basti sofort annähern sollst. Ich will dir damit nur sagen, dass Basti keine bösen Absichten hatte. Er mag dich wirklich und ich glaube, du.. du solltest ihm die Chance zum Reden geben, wenn du dich bereit dafür fühlst.«
»Weißt du, Thomas«, fing ich an und dieses Mal war ich diejenige, die sich seitlich auf das Sofa legte und die ihren Kopf in seinen Schoß bettete. »Das gestern, das hat sich so gut angefühlt und ich hatte echt das Gefühl, dass das der Basti da neben mir war, den ich damals in Brasilien kennen gelernt hatte. Ich hab mich wieder so wohl gefühlt und mein Herz, das hat so schnell geschlagen.«, ich seufzte lächelnd als ich an den Moment zurück dachte und mir meine Gefühle in Erinnerung rief. »Aber trotzdem kann ich das, was da passiert ist, nicht einfach so vergessen. Das hat wehgetan, weil er mir so wichtig war und weil ich mich ihm geöffnet habe und ich.. ich habe einfach Angst, dass das vielleicht nochmal passiert.«
»Aber meinst du nicht, dass es dir helfen würde all das zu verarbeiten, wenn du mit ihm sprichst?«, hakte Thomas vorsichtig nach und strich weiter behutsam meine Handoberfläche. »Du musst ihn ja nicht sofort wieder in dein Herz lassen und ihm alles anvertrauen oder dich mit ihm treffen. Du musst ihn nur reden lassen. Egal, was er gemacht hat, er hat verdient sich zu erklären. Vielleicht würde es ihm auch helfen, wenn du ihm erklärst, wie es dir geht, verstehst du?«
Ich nickte bedächtig und prägte mir seine Worte ein, ließ sie auf mich wirken und wartete ab, was sie mit mir machten. Sie berührten mich und sie bewegten etwas. Thomas hatte einfach recht. Zwar war ich schon vor seinen Worten und vor dem gestrigen Treffen auf der Halloween-Party der Meinung, dass ich Basti reden lassen sollte, doch ich hatte oft meine Meinung geändert. Ich hatte mir oft etwas vorgenommen und es im nächsten Moment wieder verworfen. Aber dieses Mal hielt ich an dem Vorhaben fest und die Tatsache, dass Thomas mich mit seinen Worten, die meinen Gedanken so sehr ähnelten, berührte, bestätigte mich nur weiter und machte mir noch mehr Mut.
»Ich weiß nur nicht, wie ich es anstellen soll.«, seufzte ich. »Ich weiß nicht, ob ich es schaffe ihn anzurufen. Wahrscheinlich muss er wieder derjenige sein, der den ersten Schritt macht, weil ich einfach zu.. zu schüchtern oder sonst irgendetwas bin.«, ich drehte mich auf den Rücken und sah in Thomas Augen, die mich von oben herab betrachteten. Sie strahlten so viel Wärme aus und auch wenn ich es zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, war da noch viel mehr als Wärme in ihnen. Sie versteckten einen Plan und ein Vorhaben.
»Lass erstmal den gestrigen Abend auf dich wirken und-«, Thomas stoppte als das Handy in meinem Rucksack, den ich achtlos neben das Sofa geworfen hatte, anfing zu klingeln. Entschuldigend sah ich ihn an, kramte mein Handy aus dem Rucksack und nahm den eingehenden Anruf entgegen.
»Ja?«
»Ich bins, Oli.«, meldete sich die sanfte Stimme, die mich völlig aus dem Konzept riss, am anderen Ende der Leitung. Mir stockte kurz der Atem und ich streifte Thomas Blick, der schon fast auf mir klebte.
»Hey, was ist los?«, ich quetschte mir ein Lächeln auf die Lippen und fühlte mich unwohl, in Thomas Anwesenheit mit Oli zu telefonieren. Zumal wir vor wenigen Sekunden noch das Thema Basti hatten und alles dafür sprach, dass ich so, wie ich im Moment war, eigentlich gar nicht wirklich war. Und da gehörte Oli auch zu.
»Ich wollte hören wo du dich rum treibst.«, seine Stimme war so sanft und liebevoll, dass er mir augenblicklich leid tat. Was veranstaltete ich hier?
»Ich bin gerade bei Thomas und Lisa und.. und wir quatschen ein wenig. Warum? Ist irgendetwas passiert?«, ich lenkte vom eigentlichen Thema ab und hoffte, dass durch meine Frage ein anderes aufkommenden würde.
»Nein, alles gut. Ist sonst keiner da?«
»Hm, nein. Eigentlich sind Thomas und ich sogar alleine.«, ich zog skeptisch meine Augenbrauen zusammen, weil es mich wunderte, dass Oli so sehr nachhakte. Eigentlich wäre das Thema schon nach meiner ersten Antwort gegessen gewesen. Wir hatten etwas Lockeres, nichts Zwanghaftes und nichts Bindendes. Wir konnten machen was wir wollten.
»Achso. Was macht ihr denn noch?«, hörte er nicht mit dem Fragen auf und brachte mich einfach völlig aus dem Konzept.
»Warum fragst du denn so?«, ich lachte und versuchte meine Skepsis so zu verpacken, dass sie nicht auffiel. Ich hatte das Gefühl im völlig falschen Film zu sein. Gerade bei Oli hatte ich gedacht, dass er wusste, was es hieß eine Affäre zu führen. Ich dachte eigentlich, dass ihm das nicht sonderlich schwer fallen würde.
»Weil es mich interessiert.«, erwiderte er fast pampig und harsch und ich hielt mein Handy für einen Moment ein Stück von meinem Ohr weg. »Sehen wir uns später?«
Hilflos sah ich zu Thomas. Ich wusste nicht, ob es das richtige wäre, nach diesem Gespräch direkt zu Oli zu fahren. Vielleicht sollte ich erst einmal alles sacken lassen und darüber nachdenken.
»Ich.. also Thomas und Lisa hatten mich eingeladen heute noch ein wenig zusammen zu sitzen und hier zu schlafen. Sei mir nicht böse, aber wir wollten.. wir wollten die Zeit zu dritt verbringen.«, Thomas nickte und streckte den Daumen hoch. Ich verzog mein Gesicht, verdrehte meine Augen und hoffte einfach nur, dass das Gespräch mit Oli nicht im Desaster enden würde. »Was hältst du davon, wenn ich morgen Abend was koche und du um sieben bei mir vorbeischaust? Dann kann ich morgen Vormittag was für meine Hausarbeit schreiben und wir haben übermorgen auch noch Zeit.«, schlug ich noch schnell vor. Irgendwie tat es mir leid, dass ich ihn so sehr abwimmelte. Und auch wenn ich überzeugt davon war, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, knickte Thomas Daumen ein und sank gen Boden statt sich zur Decke hinauf zu strecken wie zuvor. Trotz meines Mitgefühls für Oli musste ich mir ein Kichern unterdrücken. Thomas war einfach ein Vogel und brachte jede noch so ernste und prekäre Situation über den Berg und ließ einen sogar noch mit einem Lächeln davon kommen.
»Okay, Baby.«, Olis Stimme war wieder so sanft wie zuvor und ich hatte das Gefühl, als merkte er in diesem Moment gerade selbst, dass er überreagiert hatte. »Bis morgen dann.«
»Bis morgen Oli.«, ich lächelte und versuchte echt zu klingen.
»Der muss echt gut im Bett sein.«, seufzte Thomas als ich mein Handy auf den Couchtisch vor mich legte.
»Was bitte?«, fragend und lachend gleichzeitig sah ich meinen Kumpel an und hatte im nächsten Moment schon wieder seine Waden auf meinen Oberschenkeln liegen. Mit einem Nicken und der passenden Handbewegung machte er deutlich, dass ich meine Arbeit von zuvor wieder aufnehmen sollte.
»Er telefoniert dir hinterher. Ganz schön stressig für eine Affäre.«, quetschte er zwischen seine Lippen hervor als ich ihm extra doll meine Finger in seine Waden rammte und anfing, ihn zu massieren.
»Als ob du da Ahnung von hättest, Thomas.«, lachte ich nur auf und ertappte ihn dabei, wie er ein Mal in seinem Leben der coole Macho sein wollte. Und dabei, wie er scheiterte. »Du hattest in deinem Leben nie Sex mit einer anderen Frau als Lisa.«
»Was soll das denn jetzt heißen?«, er verschränkte seine Arme hinter seinem Kopf, während er versuchte, seine coole Miene beizubehalten.
»Gar nichts. Ich wünschte, mir würde es mit einem Mann genauso gehen.«, ich lächelte gedankenverloren und dachte daran wie es wohl wäre mit nur einem Mann zusammen gewesen zu sein. Wie es wäre, nur Basti an meiner Seite gehabt zu haben. So richtig, so richtig mit allem drum und dran, mit so richtig gemeinsam durchs Leben gehen.
»Vollkommen egal, wie viele Partner man an seiner Seite hatte – die Hauptsache ist, dass man am Ende den richtigen hat.«, Thomas schlug meine Hände beinahe von sich und zog mich neben sich auf die große Couch. Den Arm legte er um mich und ich bettete meinen Kopf auf seine Brust. Er hatte recht mit dem was er sagte. Wie sollte man schließlich den Einen finden, wenn man nicht nach ihm suchte. Dass manche den Einen oder die Eine schon beim ersten Versuch fanden, beneidete ich. Ich war gespannt, welcher Eine am Ende an meiner Seite war.  

Nichts tut für immer wehWo Geschichten leben. Entdecke jetzt