Kennt ihr das, wenn ihr eine Freundschaft, eine Bekanntschaft oder irgendeine Beziehung zu einem Menschen habt, und irgendwann der Punkt kommt, an dem ihr merkt, dass diese Beziehung jetzt immer fester wird? Dass da nichts mehr kommen kann, das einen umhauen kann? Kennt ihr das, wenn ihr nach einem Streit wieder zu einer Person zurückfindet, es anfangs irgendwie komisch ist, aber auch dann dieser eine Punkt kommt, an dem alles wieder so ist, wie vorher? So, als wäre der Streit nie dagewesen, als hätte man sich nie von dem jeweils anderen distanziert? Vor zwei Tagen auf dem Dach, an dem Basti und ich Salat mit Dressing gegessen und er mir den Pass für das Gelände und die Allianz Arena überreicht hatte, an dem wir uns wieder ein Stück weit dem anderen geöffnet hatten, zeigte mir deutlich, dass diese beiden Punkte bei Basti und mir gekommen waren. Ich wusste, dass wir uns wieder näher waren, dass es ab jetzt nur noch bergauf ging und dass wir auf dem Weg dorthin waren, wo wir in Brasilien standen. Wir waren uns wieder nah – zwar nicht so nah wie während der WM – und es fühlte sich wieder so unendlich gut an. Da war kein Zweifeln und keine Angst mehr, weil er mir klar gemacht hatte, dass ihm all das, was passiert war, leid tat. Es war zwei Tage her und dennoch zeigte er mir in diesen 48 Stunden auch während seiner Abwesenheit mit Nachrichten und Überraschungsbesuchen, was ihm an mir lag.
»Aufwachen!«, ich wurde unsanft aus meinen Gedanken gerissen, als Lisas Stimme viel zu laut in meinen Gehörgang traf und mein Arm von ihrem Schlag fast schon schmerzte. »An was denkst du?«
»Was?«, ich schüttelte kurz den Kopf, um die Gedanken an Basti wenigstens für die nächsten fünf Minuten vertreiben zu können. »Ich habe nur darüber nachgedacht, dass gerade alles wieder ganz schön toll ist.«, ich grinste breit und prostete Lisa mit meiner Bierflasche leicht zu, ehe ich einen Schluck auf meine Gedanken trank, die mich die letzten Sekunden begleitet und beglückt hatten.
»Basti?«, das Lächeln, was mir entgegensprang, sprach Bände. Und auch wenn es Bände sprach, wusste ich genau, was auf jeder Seite dieser Bände stand. Lisa war leicht zu durchblicken und was sie von der ganzen Sache hielt, prophezeite sie mir sowieso jeden Tag.
»Ja, Basti.«, ich grinste und verdrehte trotzdem gespielt meine Augen. Irgendwie kam ich mir wie ein verknallter Teenager vor. Jemand, der seinen Schwarm datete oder gar den ersten Kuss von ihm kassiert hatte. Auch wenn es etwas Schönes war und mein Herz endlich wieder im regelmäßigen Takt schlug, hatte ich das Gefühl, als sollte ich mich nicht zu sehr in die Sache steigern. Alles hatte seine Zeit und überstürzen und dadurch etwas kaputt machen, wollte ich doch nun wirklich nicht.
»Bist du aufgeregt ihn gleich spielen zu sehen?«, Lisas Grinsen war noch immer nicht verschwunden und steckte mindestens genauso sehr an, wie ein lästiges Gähnen in einer langweiligen Vorlesung.
»Schon.«, gab ich zu. »Ich meine, das letzte Mal, wo ich ihn gesehen habe, bevor alles auseinander ging, war auf dem Fußballplatz und in den Gängen eines Stadions.«, ich spürte, wie mein Herz schwerer wurde, wenn ich an diesen Moment zurückdachte. Es tat mir weh, wenn ich daran dachte, wie wir uns verabschiedet hatten und dass all die Monate, die zwischen diesem letzten Aufeinandertreffen und den letzten Tagen lagen, Zeit war, die ich ohne ihn verbracht hatte, obwohl ich mir das Gegenteil so sehr gewünscht hatte.
»Aber du siehst ihn jetzt mit seinen Bayern spielen, in seinem Stadion, in seinem zweiten Zuhause, wo er zu dem Menschen geworden ist, der er jetzt ist, das ihn geprägt hat. Es bedeutet ihm einiges, dass du heute dabei bist, Liv.«, kurz strich sie mir über meinen Arm. »Ich wette mit dir, dass ihm genau das gleiche durch den Kopf gehen wird. Aber hört auf, euch selbst im Weg zu stehen. Ihr beide seid jetzt hier, in München, und nicht mehr in Brasilien. Das war einmal, das ist Geschichte, und was wirklich zählt ist das Jetzt und Hier mit euch beiden.«
Ich lächelte sie dankbar an und schloss für einen kurzen Moment die Augen, um ihre Worte vollends in mir aufzunehmen. Womit hatte ich diese Frau eigentlich verdient?
»Du hast recht.«, auch wenn sie mir ein Stück der Zweifel und Angst genommen hatte, schwang ein Seufzen in meiner Stimme mit.
»Ich hab übrigens noch was für dich.«, plötzlich sprang Lisa auf, verschwand für einen Moment im Wohnzimmer, um kurz darauf mit einem Trikot in der Hand zurückzukommen. »Ich soll dir das noch geben. Er hat es vorher leider nicht mehr geschafft.«
Verwundert nahm ich das Bayern-Trikot entgegen und faltete es auseinander. Auf dem Rücken prangte die Nummer 31, darunter der Name »Schweinsteiger«. Sofort fing ich an zu grinsen, war gerührt davon, dass ich seine Nummer tragen sollte und bekam im nächsten Moment aber sofort wieder diese Zweifel, die Lisa mir kurz zuvor erst von der Seele geredet hatte.
»Ich kann das nicht anziehen.«, ließ ich dem ganzen Luft.
»Warum nicht? Du weißt, wie man ein Shirt anzieht, es ist deine Größe – ich weiß nicht, wo das Problem liegen sollte?!«
Manchmal wünschte ich mir, ich hätte Lisas Optimismus. Sie machte sich keine Gedanken, sondern sie tat einfach, wonach ihr war. Sie tat das, wozu ihr Herz sie bat und achtete nicht darauf, was die Welt um sie herum dachte.
»Ich kann als das Mädchen, das während der WM mit Basti am Strand fotografiert wurde, nicht in seinem Trikot neben dir in der Allianz Arena stehen. Die Presse würde Wind davon bekommen, die anderen Spielerfrauen würden tuscheln – und ich würde Angst haben, dass es da enden würde, wo ich nicht noch einmal stehen wollen würde.
»Du bist Liv, du hast eine Beziehung zu Basti – ob freundschaftlich oder sonst was für eine – und du bist da, um ihn anzufeuern. In der Presse stand, dass du Bastis Cousine bist, also warum darf die Cousine nicht zu einem Heimspiel von ihm kommen? Wenn die Presse daraus das nächste Gerücht faltet, dann lass sie. Wenn sie irgendetwas schreiben wollen, dann machen sie das auch ohne dass du ein Trikot von Basti trägst. Wir setzen dir einfach eine Sonnenbrille auf und du hörst auf, dir darüber unnötige Gedanken zu machen. Konzentriere dich bitte auf Basti und dich – und nicht auf die Presse oder irgendwelche Spielerfrauen, die vielleicht irgendetwas tuscheln. Lass sie tuscheln, wir tuscheln zurück!«
Ich musste ein bisschen kichern, hatte dennoch Angst vor der Situation, die auftreten könnte.
»Vielleicht hast du recht.«, ich seufzte wieder stark auf und zog mir das Shirt über den Kopf, als wär es eine Qual. Dabei war es das gar nicht. Ich war stolz, ich fühlte urplötzlich die Wärme um mein Herz und bekam eine Gänsehaut, wenn ich nur daran dachte im Stadion zu stehen und Basti dabei zuzusehen, wie er mit seiner Mannschaft ein Bundesligaspiel absolvierte. Ich sollte meinen Kopf abschalten, Lisa hatte einfach recht. Ich hatte keine andere Möglichkeit als meine Gedanken und mich für überflüssig zu erklären.
»Die Nummer 31 steht dir besonders gut, wenn ich das mal anmerken darf.«, lächelte Lisa glücklich, als sie sich ihr Trikot von Thomas über den Kopf gezogen hatte. Voller Stolz stand sie vor mir, trug die Nummer 25 auf dem Rücken und wirkte so stark als könnte sie nichts und niemand auf der Welt aus der Ruhe bringen.
»Wir schaffen das zusammen, oder?«, fragte ich, nachdem ich den letzten Schluck aus meiner Flasche genommen hatte. »Ich meine, wenn irgendetwas passiert. Wenn irgendwer redet, wenn irgendwas in der Presse auftaucht.«
Lisa lächelte und griff nach meiner Hand. Sanft strich sie über meine Handfläche und spielte mit meinen langen Fingern, als sie mich durchdringend ansah. »Natürlich schaffen wir das. Wir haben zwei starke Männer, die hinter uns stehen. Und wir beide sind stark. Auch wenn wir das manchmal nicht wahrhaben wollen, aber spätestens jetzt, wo wir zu zweit sind, hat sich unsere Kraft gedoppelt und wir sind unschlagbar.«
»Du bist die beste, weißt du das eigentlich?«
»Jetzt ja.«, grinste sie mich breit an und zog mich für einen kurzen Moment in ihre Arme. Das war das erste Mal, dass ich Lisa sagte, dass sie mittlerweile diese Rolle in meinem Leben eingenommen hatte und es fühlte sich gut an. Ich hoffte, dass ich ihr dadurch vielleicht ein wenig zurückgeben konnte.
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Nichts tut für immer weh
Fanfiction[Fortsetzung von "Another Love"] »Und mein Herz schlägt weiter auch wenn es fürchterlich brennt, wenn alles hier zerfällt.« - Liv hatte den Knopf für das Verdrängen gefunden. Nicht dran denken, Gefühle überspielen und mit anderen Gefühlen bekämpfen...