»Du meintest nicht das Schicksal, du meintest Thomas Müller.«

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  »Ich weiß noch nicht, ob ich heute Abend Lust habe was zu machen, Lisa.«, murmelte ich in mein Handy, welches ich zwischen Schulter und Ohr geklemmt hatte, um nebenbei die Soße meiner Nudeln im Topf umrühren zu können.
»Aber wir könnten wieder in den einen Club, der dir so gut gefallen hat. Du meintest selbst, dass das mit Sicherheit dein Stammclub wird und.. «, ich hörte sie seufzen als sie kurz stoppte. »Vielleicht kommt Thomas ja auch mit. Wir könnten drauf anstoßen, dass du deine Hausarbeit schon fertig geschrieben hast. Das wär doch super.«
»Ach Lisa.. «, ich lächelte in mich hinein, dankbar, dass sie mich von meinen Gedanken ablenken wollte. Sie wusste, dass mir der Abend von vor einer Woche noch immer im Kopf herumschwirrte und mich Bastis Worte im Bezug auf Olis und meine Beziehung nicht mehr losließen. Sie wusste es und insgeheim wusste ich es auch, auch wenn ich es mir nicht zu hundert Prozent zugestehen wollte. »Was hältst du davon, wenn ich mich gegen Abend nochmal melde, hm?«
»Wenn du schon so anfängst, dann wird das mit Sicherheit nichts.«, ihre Stimme hatte diesen Anflug von Enttäuschung und irgendwie tat es mir auch leid, dass ich mir selbst im Weg stand und sie darunter leiden musste. Wir hatten uns seit dem besagtem Abend nicht mehr gesehen, weil ich keine Lust auf Gespräche und Erklärungen hatte. Ich wollte nicht wiedergeben, was zwischen Basti und mir passiert ist und ich wollte nicht hören, was sie zu sagen hatte. Ich wollte das alles doch nur in meinem Kopf hüten und hoffte, dass sich dadurch alles von alleine klären würde – auch wenn ich wusste, dass das niemals der Fall sein würde. »Liv, du musst aus deinem Trott mal rauskommen. Wir können das Thema Basti auch vollkommen ignorieren, wenn du magst.«
»Meinst du ehrlich, dass wir das hinbekommen?«, ich lachte leicht auf und musste dran denken, dass wir bei dem zweiten Glas Sekt sowieso wieder so tiefgründige Gespräche führen würden, dass genau er zur Sprache kam.
»Na ja, ich weiß nicht, aber.. aber wir könnten uns einfach anstrengen und uns selbst ermahnen, wenn wir davon anfangen wollen.«
»Du lässt nicht locker, oder?«, ich legte den Kochlöffel beiseite und lehnte mich mit meinem Po gegen die Arbeitsplatte. Vielleicht war es doch ganz gut mal wieder rauszukommen. Eine Umarmung von Lisa und Thomas konnte Wunder bewirken und vielleicht war genau das jetzt eine Geste, die mich wenigstens ein wenig erleichtern würde.
»Nein.«, ich spürte ihr Grinsen durch den Hörer und hatte ihr hoffnungsvolles Gesicht schon nahezu vor meinem inneren Auge herumtanzen.
»Okay, hör zu, ich bin um acht Uhr bei euch und bringe eine Flasche Wein mit, okay?«, gab ich nach und versuchte all die positiven Aspekte im Vordergrund zu halten und all das negative in den Schatten zu rücken.
»Ich freu mich!«, quiekte meine Freundin am anderen Ende der Leitung fast schon auf. »Wenn du willst, dann-«, Lisas Stimme wurde augenblicklich von dem schrillen Läuten meiner Klingel durchbrochen. Ich zuckte fast schon hoch und wunderte mich, wer das sein könnte. Lisa war schließlich am Telefon, Oli war bei seinen Freunden und.. und der einzige, der gerne unangemeldet vor meiner Tür stand, war.. Basti.
»Lisa, es hat geklingelt.«, unterbrach ich ihren Redefluss, der einfach nicht aufhörte und den ich trotzdem nicht aufnehmen konnte.
»Dann mach auf!«
»Ich.. ich kann nicht. Wer weiß, wer das ist.«, meine Stimme zitterte fast, während ich den Herd runter drehte und langsam in den Flur ging. »Was ist wenn das Basti ist?«
»Das wirst du nie erfahren, wenn du die Tür nicht öffnest. Nun mach schon, ich kann auch am Telefon bleiben.«, sprach Lisa mir Mut zu.
»Nein.«, ich schüttelte den Kopf auch wenn ich wusste, dass sie es nicht sehen konnte. »Das muss ich alleine hinbekommen. Ich melde mich.«, sofort nahm ich das Handy vom Ohr und beendete das Gespräch. Ich hatte all den Mut zusammengefasst, der sich noch irgendwo in meinem Inneren befand und zuckte trotzdem kurz zusammen, als die Klingel ein weiteres Mal ertönte. Ich spürte, wie meine Hände binnen weniger Sekunden schweißnass wurden. Das konnte nicht wahr sein. Wieso konnte ein Mensch nur die Macht über mich und meinen Körper derart besitzen wie Basti. Ich wusste nicht einmal, ob er es wirklich war, der an meiner Tür schellte und trotzdem war er es, an den ich am ehesten dachte und der mich augenblicklich aus dem Konzept bringen konnte.
Ich ging den Flur zügig hinunter und bis zur Tür und zog sie im nächsten Moment schon auf. Ich wusste, dass ich einen Rückzieher machen würde, sobald ich noch mehr darüber nachdenken würde.
»Livi!«, es war der Spitzname, ausgesprochen von der Stimme, die sofort Heimat in mir aufrief. Meine Hand wanderte von der Türklinke zu meinem Mund, um einen kleinen Aufschrei zu unterdrücken, als ich meinen Vater mit einem kleinen Koffer neben sich stehend vor mir sah.
»Dad?«, ich hauchte nur fassungslos und ließ mich im nächsten Moment schon in seine Arme ziehen. Ich hatte ihn seit über zwei Monaten nicht mehr gesehen und die Erleichterung, dass er es war, der vor meiner Tür stand, gemischt mit der Wiedersehensfreude und der Rührung, dass er mich überraschte, trieb mir urplötzlich Tränen in die Augen. Er wusste, wann es Zeit war einfach aufzutauchen und als hätte er es gerochen, dass ich mich verkroch und dass es in mir drin viel zu unordentlich hervorging, war er plötzlich bei mir.
»Ich dachte, eine kleine Überraschung wird sicher gestattet sein.«, er grinste mich breit an als er mich aus seinen Armen hob und mir kurz danach einen Kuss auf die Wange drückte.
»Ja, sehr sogar.«, ich schniefte und lachte gleichzeitig, zog ihn in meine Wohnung und schloss die Tür so schnell hinter uns, wie ich sie geöffnet hatte. Als würde ich all das, was dort draußen passiert war, nicht hereinlassen wollen. »Ich kanns gar nicht fassen. Was tust du hier?«
»Ach Livi.«, mein Vater lachte auf, stellte seinen Koffer unter die Garderobe und hing seine Jacke an einen freien Haken. »Ich habe morgen Mittag einen Termin und dachte, dass ich meine Tochter einfach mal besuchen komme. Wir haben uns viel zu lange nicht gesehen und irgendwie.. irgendwie hatte ich das Gefühl, dass du ein Stück Berlin in München brauchst.«
»Wie recht du doch hast.«, ich lächelte und spürte im nächsten Moment schon wieder seinen Arm, der sich um meine Schulter legte und mich leicht an sich zog. »Ich habe Nudeln mit Soße gekocht. Hast du Lust?«
»Sehr gerne.«, er lächelte so stolz und glücklich und wieder wurde mir klar, dass mein Vater einfach das größte für mich war. Kein Mensch würde mich jemals so kennen wie er und kein Mensch würde die passenden Taten oder Worte für einen Moment finden können wie er.

»Hattest du heute was anderes vor?«, mein Vater schielte mir über die Schulter als ich dabei war, das saubere Geschirr in den Schrank zu räumen.
»Ich wollte mit Lisa und Thomas weggehen.«, gab ich zu und drehte mich zu ihm um als alles an seinem Platz und sauber war. Sofort gab er mir mein Rotweinglas und prostete mir zu.
»Aber?«, hakte er, nachdem er einen Schluck genommen und sich zurück auf seinen Stuhl an dem Küchentisch gesetzt hatte, nach. Seine Fragen konnten einen echt schon in Bedrängnis bringen und trotzdem war ich froh, dass er sie stellte.
»Du bist jetzt da und ich will die Zeit mit dir verbringen.«, ein sanftes Lächeln umspielte meine Lippen und ich setzte mich ihm gegenüber auf den Stuhl.
»Seit wann rauchst du, Liv?«, wechselte er nach einigen Sekunden des Schweigens so plötzlich das Thema, dass ich mich sammeln musste, weil ich vollkommen durcheinander geriet.
»Hm?«, ich runzelte meine Stirn und ließ meinen Blick über den Küchentisch wandern, um sicher zu gehen, dass keine Schachtel Zigaretten rumliegen würde.
»Seit wann du rauchst.«, sagte er noch einmal genauso nüchtern wie zuvor und musterte mich für einen Moment. Irgendwie war es mir unangenehm und es fühlte sich an als wäre ich frische sechzehn und hätte gegen die Regeln verstoßen, die bei uns im Haus ganz oben standen. Das wiederum war eine Frage, die ich mir ungestellt wünschte, weil sie mir unangenehm war. Ich zeigte meinem Vater wie verletzt ich war und auch wenn er es längst wusste, wollte ich nicht, dass er sich wegen des Rauchens Sorgen machte. Mein Vater wusste viel und ich wollte auch, dass er Bescheid wusste, aber dennoch gab es Dinge, die ich ihm lieber verheimlichte.
»Ach, das ist nur gelegentlich.«, winkte ich ab. »Woher.. ?«
»Hier liegt der Geruch in der Luft.«, er lächelte und lehnte sich mit seinen Armen auf den Tisch um meine Hände auf der anderen Seite der Platte zu ergreifen. »Du brauchst dich nicht rechtfertigen. Wenn es dir gut tut, dann tu es. Du bist alt genug und ich denke nicht, dass ich dir da noch irgendetwas verbieten kann.«
»Wird schwer.«, wir lachten für einen Moment, weil wir beide realisierten, dass die Zeit der Regeln, Verbote und Bestrafungen längst um waren und ich erwachsen war. In Papas Augen wahrscheinlich viel zu erwachsen.
»Hast du was von Bastian gehört?«, wechselte er wieder so abrupt das Thema wie zuvor auch. Dass er nichts mehr zu dem Rauchen sagte, beruhigte mich, dass er Bastian in diesem Atemzug jedoch erwähnte, jagte mir Angst ein. Er wusste, dass ich wegen ihm rauchte. Er wusste, dass dieses [i]gelegentlich[/i] immer dann war, wenn ich die Gedanken an Basti im Rauch der Zigarette ersticken wollte.
»Wir haben uns am Wochenende gesehen.«, gab ich zu und machte mich schon jetzt auf ein Gespräch gefasst. »Ganz zufällig in einem Club.«
»Und er war ganz zufällig da?«, hakte Paps nach und brachte mich zum Grübeln.
»Du meinst, dass ihm irgendwer Bescheid gegeben hat, dass ich da bin?«, ich legte meine Stirn in Falten und plötzlich drehten und wendeten sich jegliche Synapsen und irgendwie schien alles so klar zu sein.
»Dass Thomas ihm Bescheid gegeben hat. Nicht irgendwer.«, korrigierte er mich und lächelte mich matt an. Er wusste, dass es in mir brodeln würde und trotzdem half er mir mit seiner kleinen Ahnung auf die Sprünge. »Du kennst Thomas mittlerweile mehr als gut, Livi.«
»Ja und wenn ich im Nachhinein so drüber nachdenke, ist es total logisch, dass Basti irgendwann einfach aufgetaucht ist.«, ließ ich meinen Gedanken Luft.
»Erzähls mir.«
»Ich hatte noch einen Kommilitonen mit und Thomas kann ihn halt einfach nicht leiden.«, fing ich an und ließ den etwas intimeren Teil, den Oli und mich anging, aus. »Er hat ihn die ganze Zeit angeschaut, als würde er ihn am liebsten umbringen. Dann waren wir tanzen und auf einmal ist Basti da und mein Kommilitone weg.«
Mein Vater lachte auf, drückte kurz meine Hand und lehnte sich kurz darauf mit seinem Weinglas in der Hand zurück in seinen Stuhl. »Ist das nicht wieder typisch Thomas?«
»Ja, ist es.«, ich schnaubte und auch wenn ich irgendwie ein wenig sauer auf ihn war, musste ich ein wenig schmunzeln. Thomas war mit niemandem zu vergleichen und dass er schon jetzt irgendwelche Pläne gegen Oli schmiedete und versuchte, Basti und mich wieder näher zueinander zu bringen, rührte mich irgendwie.
»Wie lief es denn dann zwischen Basti und dir?«
Ich zuckte mit den Schultern und schenkte uns von der roten Flüssigkeit nach. Augenblicklich war mir nach einer Zigarette und ich zog die kleine Schublade unter meinem Küchentisch auf. »Ist das okay für dich?«
»Wenn du für mich auch eine hast.«, erwiderte mein Vater nur.
»Papa!«, lachte ich auf und verteilte bereitwillig meine Zigaretten. Wir waren uns einfach viel zu ähnlich. »Das sind die letzten für uns. Hier nach rauchen wir auch nicht mehr gelegentlich.«, sagte ich als ich ihm das Feuer reichte und meinen ersten kräftigen Zug nahm.
»Abgemacht.«, er zwinkerte und seine Augen verrieten mir nur, dass es ihm um Längen einfacher fallen würde als mir. »Magst du mir jetzt vom Abend erzählen?«
»Ich weiß nicht.. «, seufzte ich und war mir wirklich nicht sicher, was ich überhaupt erzählen sollte. »Ich kann nichts erklären, was ich selbst nicht versteh, Dad.«
»Du musst und sollst mir auch gar nichts erklären, Livi. Du sollst einfach erzählen was passiert ist.«, er lächelte mich sanft an und griff noch einmal kurz über den Tisch um meine Hand für einen kurzen Moment zu streicheln.
»Wir saßen irgendwann zusammen draußen und haben uns unterhalten. Nicht nur so unterhalten, sondern schon intensiver. Er.. er meinte irgendwann, dass er weiß, dass er Schuld ist, dass mein Herz gebrochen ist und ich noch nicht bereit bin zu reden. Aber ich soll nicht dicht machen und wenn ich ihm keine Chance gebe, kann er sich nie erklären. Irgendwie so.. und irgendwie halt wie immer. Er will mit mir reden, ich mache dicht und verschiebe es auf morgen. Ich stoße ihn ab und will ihn eigentlich nur an mich reißen. Auf der einen Seite will ich die Gefühle, weil sie mir gut getan haben, aber auf der anderen Seite hab ich so Angst davor, weil sie auch so wehgetan haben. Ich.. ich hab einfach keine Ahnung, was ich tun soll.«, seufzte ich und hörte meine eigene Verzweiflung am Ende schon selbst heraus. Ich war verzweifelt, weil ich mir selbst im Weg stand. Ich stand meinem Herzen im Weg. Verstand gegen Herz.
»Du musst bereit dafür sein, Liv. Wenn du nicht vollkommen bereit dafür bist, dann bringt es auch nichts. Es hat keiner was davon, dass du dich da hinhocken, mit ihm reden sollst, aber das alles trotzdem nicht zulassen kannst – egal, in welcher Hinsicht. Wenn der richtige Zeitpunkt dafür ist, dann spürst du das und dann lässt du das wie von alleine zu. Du musst dich nicht unter Druck setzen, ihr habt Zeit. Vielleicht lässt es das Schicksal zu und ihr seht euch jetzt öfter und dann kommt das alles von ganz alleine.«, sprach Dad beruhigend auf mich ein.
»Du meinst nicht das Schicksal, du meinst Thomas Müller.«, ich verzog mein Gesicht und nahm noch einen Zug von meiner Zigarette und schluckte den Qualm mit einem Schluck Rotwein runter.
»Das Schicksal, das Thomas Müller heißt.«, er grinste sein Grinsen, das ich so an ihm liebte und beugte sich kurz zu mir rüber, um mir einen Kuss auf den Handrücken zu drücken. »Du bist so erwachsen geworden. Und dein Herz ist so stark geworden. Ich bin mir sicher, dass du die richtige Entscheidung triffst. Auch wenn du ein paar kleine Fehltritte zwischendurch machst – am Ende wirst du hundertprozentig den letzten richtigen Schritt gehen und am Ziel ankommen.«
»Ich hab dich vermisst, Daddy.«, ich stand auf, ging um den Tisch herum und setzte mich seitlich auf seinen Schoß. Unsere Zigaretten brannten zwischen unseren Fingern unberührt herunter, während wir minutenlang einfach da saßen. Meinen Kopf hatte ich gegen seine Schulter gebettet, seine Hand strich ununterbrochen über meinen Rücken und seine Lippen küssten ab und an meinen Scheitel. Ich hatte meinen Daddy im Arm und ich hätte in diesem Moment nichts lieber gehabt.  

Nichts tut für immer wehWo Geschichten leben. Entdecke jetzt