»Willkommen in der Familie, Bastian.«

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»Hätte Jogi das mitbekommen, der hätte euch hochkant aus dem Hotel geschmissen.«, mein Vater schüttelte grinsend seinen Kopf und wir drei Frauen brachen in schrillem Gelächter aus. »Dann hofft mal, dass die beiden heute Abend trotzdem zeigen, was sie können.«
Ich wurde ein wenig rot, weil ich in diese Aussage sofort interpretierte, dass wir den Abend jegliche Laken zerwühlt und kaum stillgelegen hatten. Und dass mein Vater mir in diesem Zusammenhang die Schamröte ins Gesicht trieb, war mir noch peinlicher und unangenehmer.
»Ach Marc, sie wird schon ganz rot.«, meine Mutter strich sich ihre Haare aus dem Gesicht und schlug ihrem Mann leicht auf die Schulter. Willkommen am Frühstückstisch meiner Familie.
»Ich denke, die beiden werden heute Nachmittag schon zeigen, was sie können.«, kappte Lisa dieses undankbare Thema und alle verstummten. »Hertha sollte nicht das große Problem für die Jungs sein.«
»Momentan Platz 14.«, warf mein Dad ein und nippte gedankenverloren am Kaffee. »Hatten schon mal eine bessere Saison.«
»Okay, okay – bevor das hier jetzt in einer Fußballdiskussion ausartet, sagt mir lieber, wann wir heute aufbrechen.«, ich stoppten den Wahnsinn und sah den erleichterten Blick meiner Mutter auf mir. Wir verstanden uns was Fußball anging.
»Um 15:30 Uhr geht das Spiel los, also würde ich sagen, dass wir spätestens um drei im Stadion sind. Vielleicht fahren wir einfach um 14 Uhr los, was meint ihr?«, schlug mein Vater vor. Er war so organisiert, wie in seinem Restaurant. Und fast so gut wie ich bei unserem vermeidlichen Einbruch ins Regent-Hotel am Vorabend.
»Abgemacht. Auf wie viel Uhr habt ihr den Tisch unten frei?«
»Toni bereitet uns alles vor, dass wir sofort anfangen können. Papa schreibt ihm, sobald wir aus dem Stadion raus sind. Wir müssen uns also ausnahmsweise keinen Stress machen.«, meine Mutter schielte auffällig unauffällig zu meinem Vater rüber. »Du solltest deinem Vater mal sagen, dass er kürzer treten sollte. Auf mich hört er ja nicht.«
Meine Mutter war unzufrieden. Nicht, weil sie wenig Zeit gemeinsam hatten – sie waren ja kaum was anderes gewöhnt -, sondern weil sie sich Sorgen machte. Und sie hatte recht: Papa sah schlecht aus. Er hatte abgenommen, sah fast schon eingefallen aus und wirkte blass. Ich hatte ihn viel zu wenig betrachtet und merkte es erst jetzt. Seine Augen sahen müde aus, aber trotzdem hatten sie immer noch dieses Leuchten, wenn er lächelte. Er war glücklich, dass ich hier war, dass Lisa da war und dass er zwei seiner liebsten Fußballjungs am Abend einladen durfte.
»Tu mir einen Gefallen und achte auf dich, Dad. Ich will, dass du mich mal zum Altar führst.«, meine Miene war Ernst, all der Spaß von zuvor war verflogen.
»Gibt es etwa schon Pläne?«, mein Vater verzog sein Gesicht gespielt überrascht und lachte mich an. Doch meine Miene war wie versteinert. Auch als er in die Gesichter von meiner Mutter und Lisa blickte, wusste er, dass das lange kein Spaß mehr war. »Tut mir leid, ich achte auf mich, Livi.«
Es erleichterte mich, dass er es einsah, doch beruhigen tat es mich noch lange nicht.

Ich war aufgeregt, als ich mir Bastis Trikot über den Kopf zog, die VIP-Tickets aus meiner Reisetasche zog und sie in meinem Jutebeutel verstaute. Ich war aufgeregt, als ich meinen Vater in seinem Trikot sah, Lisa Thomas' Nummer auf der Brust trug und Mama mit einem Bayern-Schal bekleidet im Flur stand. Wir brachen gerade als Familie und Freunde zum Spiel meines Freundes auf. Halt – zum Spiel eines Freundes, meine Eltern wussten schließlich noch gar nicht, wie weit Basti und ich mittlerweile waren. Sie dachten es sich, wahrscheinlich ahnten sie es innerlich schon, aber offen drüber gesprochen hatten wir noch nicht. Vielleicht war das eine Sache, die für jeden irgendwie klar und einfach nur eine Frage der Zeit war. Außer für mich. Die, die niemals davon ausgegangen war, jemals an Bastians Seite zu sein. Papas Satz, dass Lisa und ich wirklich tolle Spielerfrauen abgaben, war nur einer von vielen, der mir deuten sollte, was in seinem Kopf vorging. Und ich lächelte. Jedes Mal.
Als wir die Stufen zum VIP-Bereich hochgingen, die ganzen vornehmen Leute uns umfingen, musste ich unwillkürlich an Brasilien zurückdenken. An das Finale. Daran, wie ich auch da zwischen all diesen Menschen stand und mich unwohl fühlte. Aber heute war es anders. Heute sah ich meinem Freund beim Spielen zu. Ich fühlte mich wohl und sicher.
Es war kein besonderes Spiel für Basti. Er saß auf der Bank. Die erste Halbzeit und die zweite auch. Ich hatte die Hoffnung fast schon aufgegeben, doch als er anfing sich warm zu laufen und in der 80. Minute tatsächlich der Wechsel angekündigt wurde und er für Thomas auf das Feld lief, hüpfte mein Herz noch mehr. Es waren lediglich zehn Minuten, doch trotzdem waren das die besten zehn Minuten am ganzen Spiel. Ich war aufgeregt, hatte die ganze Zeit nur Basti im Blick – egal, wo der Ball auch gerade war – und vergaß fast, dass Fußball eigentlich so gar nicht in meinem Interessengebiet lag. Auch Mama sog vor Spannung Luft ein, um sie im nächsten Moment wieder auszustoßen und war vollkommen vertieft in den letzten Minuten des Spiels. Dieser Mann dort vorne schaffte es nicht nur, mich in seinen Bann zu reißen.
»Basti hat geschrieben, dass sie gleich da sind. Ich gehe mal raus schauen.«, kündigte ich an und rutschte von meinem Stuhl und ging mit schnellen Schritten durch das Restaurant. Ich spürte den kopfschüttelnden Blick von meinem Vater in meinem Rücken. Ich wusste, was er dachte, wusste aber auch, dass er sich für mich freute. Ja, ich war verrückt verliebt. Und das machte mich verrückt. Brachte mich fast um meinen Verstand.
Ich zitterte als ich vor die Tür trat. Nicht, weil es kalt war, sondern vielmehr weil ich aufgeregt war. Ich hatte Basti gestern erst gesehen, doch trotzdem war dieses Aufeinandertreffen wieder ein etwas ganz Anderes. Mein Vater, meine Mutter, das Restaurant meines Vaters, mein Kiez – und das alles als Paar.
Kurz nachdem ich die Tür hinter mir zugestoßen und zwei- dreimal von dem einen auf den anderen Fuß getreten war, fuhr ein Taxi vor das Restaurant. Ich bückte mich leicht, um in durch die Scheiben zu sehen und blickte in Bastis lächelndes Gesicht. Sofort machte mein Herz einen Satz und ich konnte es kaum erwarten, ihn wieder zu spüren und bei mir zu wissen.
»Hey.«, Thomas war der erste, der von der Rückbank ausstieg. Er sah frisch und fröhlich aus, seine Laune schien positiv zu sein.
»Hey Bub.«, ich nahm ihn in den Arm und ließ mir einen Kuss auf die Wange drücken. »Schön dich zu sehen.«
»Ebenfalls.«, er lächelte mich an, als er sich von mir löste und sah kurz über seine Schulter zum Taxi. »Ich geh schon mal rein, in Ordnung?«
»Klar, geh ruhig. Wir sitzen ganz hinten. Einmal ganz durch.«, lotste ich ihn und war abrupt noch ein Stück aufgeregter. Er ließ uns alleine und irgendwie gab mir das das Gefühl, dass Basti mir irgendetwas sagen wollte.
Als Thomas durch die Tür verschwunden war, starrte ich unentwegt auf die Beifahrerseite des Taxis. Basti sprach mit dem Fahrer, schnallte sich im nächsten Moment aber auch schon ab und stieß die Tür zu. »Schönen Abend noch!«, sagte er, als er sich noch einmal in das Taxi beugte und sich währenddessen sein Portmonee in seine Hosentasche steckte.
Ich sog fast Luft ein, als er sich zu mir umdrehte und mich ansah. Er sah so unfassbar gut aus. Sein Gesicht sah durch seine weichen Gesichtszüge so vertraut aus, sein Lächeln umspielte seine Lippen, die ich am liebsten sofort geküsst hätte. Seine Beine wurden von einer schwarzen Hose bedeckt, an den Füßen trug er weiße Sneaker, dazu ein weißes Hemd, eine leichte schwarze Lederjacke und einen schwarzen Schal. Er sah so männlich aus, so stark, und gleichzeitig doch so zerbrechlich und gefühlvoll. Das war Basti. Das war mein Basti, der mich womöglich noch in Monaten bei jedem Wiedersehen so umhauen würde, als würde ich ihn zum ersten Mal sehen. Ich war vollkommen gefangen in meinen Gefühlen, die mich vollkommen in der Hand hatten.
»Hey Babe.«, er kam auf mich zu und überbrückte die Distanz zwischen uns. Als der Spitzname seinen Mund verließ, jagte es mir eine Gänsehaut über den Körper. Er hatte mich noch nie so genannt. War das das Zeichen dafür, dass es jetzt ernst wurde? Neben dem Zeichen, dass wir bei meinem Vater mit meinen Eltern ein Dinner nahmen?
»Hey.«, ich schlang meine Arme um seine Taille und drückte ihm seine Lippen auf seine. Erst berührten sie sich sanft, dann wurde der Kuss fordernder, aber nicht weniger gefühlvoll. »Glückwunsch zum Sieg.«, ich blinzelte ihn grinsend an, als wir uns voneinander gelöst hatten.
»Danke.«, grinste er zurück. Wahrscheinlich machte er sich gerade lustig darüber, dass ich das sagte, obwohl ich keine Ahnung davon hatte, ob der Sieg überhaupt verdient war.
»Bist du bereit?«, mein Grinsen verschwand und irgendwie machte sich die Nervosität wieder in mir breit, als ich wieder realisierte, wo wir uns befanden.
»Ich schon, aber du siehst ziemlich nervös aus.«, er legte seine warme Hand an meine mittlerweile kalte Wange und strich sanft mit seinem Daumen über meine Haut. Für einen kurzen Moment ließ ich meinen Kopf zur Seite senken, um mich fester in seine Handinnenfläche zu schmiegen. Es tat gut, ihn zu spüren.
»Ich stelle meinen Eltern meinen Freund vor, da darf ich wohl nervös sein.«, protestierte ich mit einem sanften Lächeln.
»Das zeigt nur, wie wichtig dir das alles ist.«, Basti zuckte mit seinen Schultern und drückte einen Kuss auf die Stelle, an der zuvor noch seine Hand gelegen hatte. »Lass uns reingehen. Du erfrierst sonst.«, er nahm meine Hand in seine, zog die Tür auf und schob mich fast schon vor. Fast kam es mir so vor, als würde Basti mich mit zu seinen Eltern und in das Restaurant seines Vaters nehmen. Ich sollte mich zusammenreißen.
»Da seid ihr ja endlich.«, mein Vater grinste breit, als er Basti und mich kommen sah und sprang schon förmlich von seinem Stuhl auf.
»Entschuldigt.«, machte Basti unser Verspäten mit einem Lächeln wieder wett und ließ sich von meinem Vater in die Arme ziehen. Meine Hand ließ er dabei los, was mich dazu brachte, mich auf meinen Platz gegenüber von meinem Vater zu setzen. Basti würde meiner Mutter gegenüber sitzen.
»Schön dich wiederzusehen, Bastian.«, begrüßte meine Mutter meinen Freund viel zu förmlich und ließ sich rechts und links angedeutete Küsse auf die Wange hauchen. Meine Mutter war herzlich, aber lange nicht so warm wie mein Vater, und genau dieser Moment machte das mal wieder deutlich.
»Gehts dir gut?«, fing Papa schon mit seiner Fragerunde an. Ich sah hinter Bastis Rücken rüber zu Thomas, der mich nur angrinste. Lisa saß neben meiner Mutter, unterhielt sich total angeregt mit ihr und machte ein zufriedenes Gesicht. Ich war froh, dass sie angekommen war. Dass sie das alle waren. Ich musste mir keine Gedanken darüber machen, irgendwelche Gespräche zu beginnen oder sie gar am Laufen zu halten – ich konnte mich stressfrei auf den Mann an meiner Seite konzentrieren. Und darüber war ich froh. Ich konnte mich entspannt zurücklehnen, ihn betrachten, ihn dabei beobachten, wie er meinem Vater antwortete, meiner Mutter zulächelte, auf Witze von Thomas einging und in Lachen ausbrach. Und das alles, während er meine Hand ganz fest in seiner hielt. Versteckt unter dem Tisch.
»Dann lasst uns anstoßen!«, Papa hob sein Weinglas, als jeder in der Runde seinen Schluck eingeschenkt bekommen hatte. Auch ich griff mit meiner freien Hand zu meinem Glas und hielt es in die Höhe. »Schön, dass ihr da seid.«
»Danke, für die Einladung.«, sagte Thomas nur, worauf Lisa lächelnd und mit einem Nicken zustimmte.
»Schön euch endlich wiederzusehen.«, sagte ich auch noch etwas und sah meine Eltern direkt an. Wie sie da nebeneinander saßen, auf die gleiche Art und Weise ihr Glas hielten, wie sie es schon immer gemacht hatten, und sich verliebt ansahen, als ihre einzige Tochter ihnen dieses Geständnis machte.
»Bevor wir trinken, würd ich auch noch gern was sagen.«, Basti nahm unsere Hände unter dem Tisch hervor und legte sie offensichtlich auf den Tisch vor uns. Was passierte hier jetzt? Für einen Moment musste ich an die Situation am Frühstückstisch denken und sah auch in Papas Augen leichte Panik, dass er mich doch eher früher als später zum Altar führen sollte.
»Ich bin froh, dass ich heute hier bei euch im Restaurant sein darf. Nicht nur als Freund von Marc, sondern auch als Freund von Liv. Wir haben uns in Brasilien kennengelernt und ich danke dem Schicksal wirklich dafür, dass sie in den Flieger gestiegen und ins Camp geflogen ist. Und ich danke euch, dass ihr so unfassbare Geduld mit uns hattet. Ich habe damals Mist gebaut, das war mir klar und das ist mir auch heute noch klar, aber ich kann meine Fehler nicht rückgängig machen. Ich will nur versichern, dass ich alles mögliche tun werde, dass Liv glücklich ist. Ich gebe mein Bestes, dass ich sie jede Sekunde vergessen lasse, was Schlimmes passiert ist. Ich kann nicht versprechen, dass wir nur tolle Zeiten miteinander haben werden, aber das ist wohl normal. Ich.. ach, ich wollte eigentlich nur sagen, dass eure Tochter mich unfassbar glücklich macht und.. und ich sie mindestens so unfassbar gern habe.«
Mein Herz war in die Hose gerutscht, mein Blick ruhte auf Basti, ich starrte ihn an und konnte kaum glauben, was er sagte. Es kam mir so surreal vor. Wie in den Filmen, in denen die Protagonisten träumen und viel zu schnell wieder erwachen. Ich rutschte auf meinem Stuhl ein Stück hin und her, um zu schauen, ob ich lebte, ob das wirklich real war. Aber alle sahen uns an, lächelten, und ja, das war gerade verdammt echt, was Basti gesagt hatte. Er hatte mir tatsächlich eine Liebeserklärung gemacht. Vor meinen Eltern, und den beiden Menschen, die mir wohl am wichtigsten waren. Es kam mir vor wie ein Traum, es war aber realer als sonst irgendetwas in meinem Leben.
»Ich bin froh, dass ihr es endlich geschafft habt.«, mein Vater lächelte breit. »Auch wenn ich meine Livi ungern aus den Händen gebe, weiß ich, dass sie bei dir in den richtigen ist.«
Auf meinen Armen machte sich eine Gänsehaut breit und mein Bauch rief alle möglichen Glücksgefühle hervor, die er nur kannte. Ich war überwältigt, musste Tränen, die sich in meinem Inneren auf den Weg in meine Augen machten, zurückhalten. Das war zu viel. Viel zu viel Schönes. Und trotzdem wollte ich es nicht missen. Das war so viel Schönes, das ich mir immer gewünscht hatte.
»Willkommen in der Familie, Bastian.«, mischte auch meine Mutter sich ein und hob das Glas, welches wir alle während Bastis Rede abgesetzt hatten, erneut. Sie nahm ihn auf, sie war herzlich zu ihm, und trotzdem nannte sie ihn noch immer bei seinem vollen Namen, was auf eine gewisse Distanz hinwies. Aber das war meine Mutter und das war okay so. Lieben tat ich sie trotzdem.
»Danke euch!«, er hob sein Glas, sah zu mir und traf meinen Blick mit einer Wucht, wie er es selten geschafft hatte. Wir waren mit unserer Beziehung einen Schritt gegangen, einen sehr großen, aber dass dieser Schritt mit dieser Offenheit an diesem Abend noch einmal vergrößert werden konnte, machte mich sprachlos.
»Könnt ihr euch jetzt endlich mal küssen? Der erste Kuss, so ganz offiziell vor anderen Menschen?!«, rief Thomas hinter Basti und riss mich aus dem Blickkontakt mit Basti. Ich hörte Lachen, musste selbst grinsen, fing jedoch sofort wieder Bastis Augen ein. Wahrscheinlich wäre es mir unangenehm gewesen Basti so einen angekündigten und beobachteten Kuss zu geben, doch diese Situation zwang mich schon fast dazu. Ich musste ihn einfach küssen. Dafür, dass er sein Herz so sehr geöffnet hatte und diesen großen Schritt gegangen war. Dafür, dass es ihn gab, dass er mich mochte, dass er mich berührte, dass er mich hielt, mich auffing, und dafür, dass er mich küsste. Und damit jedes Mal eine Rakete in meinem Bauch steigen ließ.

Nichts tut für immer wehWo Geschichten leben. Entdecke jetzt