Kapitel 1

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Abgehetzt schloss ich das Büro hinter mir ab und lief zum Fahrstuhl. Natürlich hatte ich mal wieder nicht rechtzeitig Feierabend machen können, weil am Ende des Tages noch eine der Firmen, die meine Kollektionen produzierten, angerufen hatte und gefühlt stundenlang mit mir über nebensächliche Kleinigkeiten diskutieren wollte. Doch ausgerechnet heute hatte ich dafür eigentlich überhaupt keine Zeit. Ein Blick auf mein Handy verriet mir, dass es bereits nach 20 Uhr war und Max schon mehrfach versucht hatte mich anzurufen. Auf seine letzte Nachricht vor ein paar Sekunden antwortete ich nur mit einem kurzen „Gib mir noch 5 Minuten", wohlwissend, dass der Weg zur Location noch mindestens 15 dauern würde. Immerhin hatte ich mich bereits vorhin umgezogen und mein eng anliegendes, schwarzes Kleid bereits an. Beim Blick in den Fahrstuhlspiegel stieß ich einmal die Luft aus. Ich hatte von Anfang an keine Lust gehabt, Max auf diese Veranstaltung zu begleiten. Vor Jahren waren wir zufällig in Kontakt getreten, als ich ihm eine seiner Merch-Kollektionen entworfen hatte. Da Max, besser bekannt als Kontra K, allerdings selbst auch wenig Lust hatte, diese Musikpreisverleihung heute Abend zu besuchen, und er außerdem in Wien niemand anderen kannte, der ihn begleiten könnte, hatte er mich mehr oder weniger gezwungen. Und allzu schlimm würde es schon nicht werden. Immerhin freute ich mich, Max nach langer Zeit wiederzusehen. Dadurch, dass ich schon mehrere Jahre zwischen meinen Wohnsitze in Berlin und Wien pendelte und eigentlich 24/7 mit meinem Job beschäftigt war, fiel es mir schwer, Freundschaften zu pflegen. Umso mehr freute es mich, wenn es dann doch einmal klappte. Also warf ich meine Tasche auf die Rückbank meines Wagens, setzte mich hinein und machte mich auf den Weg zur Location.

„Endlich, man, ich dachte schon, du lässt mich doch noch hängen bei dieser Spießerveranstaltung!" Max empfing mich bereits ungeduldig, nachdem ich auf den Parkplatz hinter dem Gebäude gefahren war und mein Auto neben seinem abgestellt hatte. „Ich wünschte, ich hätte es durchgezogen, aber ich hatte doch noch genug Mitleid für dich.", neckte ich ihn, bevor ich ihn zur Begrüßung umarmte. „Aber schön dich mal wieder zu sehen Max". „Freut mich auch, Mrs. Worldwide. Ich dachte immer, ich sei viel unterwegs, aber bei dir bekommt man ja garkeinen Termin mehr!". „Ja, ich weiß, in letzter Zeit war es wirklich viel, aber es stand auch einfach super viel an. Wollen wir rein?" „Ungern.", murrte Max und ich musste kurz lachen. „Na komm schon, die werden da hoffentlich Champagner zur Begrüßung verteilen und wir haben zwei gesunde Hände, für jede ein Drink!"

Drei zähe Stunden später war die Preisverleihung zu Ende. Max hatte seine Auszeichnung entgegen genommen und die restliche Zeit hatten wir uns über die anderen Leute im Raum lustig gemacht. Dort saßen ein Haufen spießiger Typen, denen man ansah, wie viel sie darauf gaben, hier Preise vergeben zu dürfen oder Sponsor zu sein, und mindestens genau so viel Pop- und Schlager-Sänger, die ausgezeichnet wurden. Ein Wunder, dass so ein Veranstalter überhaupt eine Kategorie für Rap und internationale Musiker hatte. Und jetzt saßen wir in einem riesigen Saal auf der Aftershow-Party in irgendeiner Ecke und versuchten uns die Zeit hier schön zu trinken und das Buffet auszunutzen. „Eigentlich schuldest du mir mindestens dein Erstgeborenes dafür, dass ich das hier mitgemacht habe", sagte ich zu Max, als dieser sich gerade ein Stück Baguette mit Käse in den Mund schob. „Viel Spaß mit dem Erstgeborenen, der ist mittlerweile 7 und hat ganz schön viel eigenen Willen.", erwiderte er lachend. „Krass, wie groß der schon ist. Aber bei deinem Dickkopf war das ja klar, dass er davon etwas erben wird." „Ja, Hauptsache, er erbt nicht meine Idee, irgendwann mal rappen zu wollen, dann muss ich ihm das wohl oder übel verbieten." "Warts ab, damit wird er schon noch früh genug loslegen", provozierte ich ihn mit einem wissenden Grinsen. "Dann kannst du ihn wirklich haben!" Wir beide lachten kurz auf. Ich genoss es, mal wieder fernab der Arbeit ein wenig Zeit mit einem meiner Freunde zu verbringen, die nicht wirklich was mit meiner Arbeit zu tun haben. "Schaffst du es, dich hier kurz ohne mich zu beschäftigen? Ich muss kurz zur Toilette." Max seufzte dramatisch. "Ich werde es wohl überleben."

Als ich wenige Minuten später aus der Damentoilette trat, sah ich bereits von Weitem, dass Max nicht mehr auf unserem Platz saß. Ich erkannte ein paar Meter vor mir sein schwarzes Shirt und dass er mir den Rücken zuwandte, während er sich mit drei Männern unterhielt, die er zu kennen schien. Während einer von ihnen eher kleiner war, waren die anderen beiden mindestens 1.90m groß und überragten Max somit ein ganzes Stück. Der eine von beiden trug einen dunklen, dichten Bart und war mindestens doppelt so breit wie ich. Er sah aus wie die Definition eines Türstehers. Der andere war schmaler, aber trotzdem zeichneten sich unter seinem engen schwarzen Langarmshirt deutliche Muskeln ab. Seine Haare trug er zu einem kleinen Zopf und ihn umgab, noch mehr als die anderen beiden, eine dunkle Stimmung. Er kam mir irgendwo her bekannt vor, einordnen konnte ich ihn dennoch nicht. Als ich zu den Männern trat, stellte Max mich vor: "Jungs, das hier ist Marlene. Sie hat sich heute erbarmt mich zu begleiten. Wir kennen uns seit ein paar Jahren, sie ist Modedesignerin und hat damals meine erste Kollektion entworfen. Marlene, das sind Shaho, Abudi und Raphael. Mit Raphael habe ich auch schon ein paar Songs zusammen." 

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