Kapitel 23

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Raphael

„Merde, wo hab ich das dumme Ding denn jetzt hingelegt?"

Abgehetzt lief ich durch meine Wohnung, wo die ungewaschenen Klamotten, die Taschen und das Geschenkpapier wild durcheinander verteilt lagen. Erst gestern war ich nach zwei Wochen wieder aus Dubai zurückgekommen und trotzdem hatte ich es geschafft, die ganze Wohnung im Chaos versinken zu lassen. Dank des Jetlags hatte ich kaum geschlafen, es aber wenigstens noch geschafft die Geschenke für Elio und die Nichten und Neffen von Barbaras Mann einzupacken.

Heute war Heiligabend, ein besonderes Fest für meine Familie, und dieses Jahr feierten alle zusammen bei meiner Schwester.

„Ah, hier."

Der knallrote Rennwagen für Elio lag noch in einem meiner Koffer versteckt. Barbara würde mich umbringen dafür, dass ich ihm dieses Plastikauto schenkte aber ich liebte es ihm die Dinge zu ermöglichen, die ich als kleiner Junge gerne gehabt hätte, aber nicht bekommen habe, weil meine eigenen Eltern sich vieles nicht leisten konnten.

Nachdem ich auch das letzte Geschenk in meine große Tasche gepackt hatte, zog ich mir das Jackett über mein schwarzes Hemd und machte mich fertig, das Haus zu verlassen. Ich war bereits viel zu spät dran und meine Mutter würde mir das den gesamten Abend vorhalten; vermutlich war sie seit Stunden damit beschäftigt, alles bei meiner Schwester zu dekorieren und das Essen vorzubereiten. Noch einmal ließ ich den Blick durch die Wohnung streifen und unwillkürlich entfuhr mir ein tiefes Seufzen. Nicht, weil es aussah, als hätte der Balkankrieg hier drin stattgefunden. Sondern weil mir bewusst wurde, dass die ganzen Sachen, die aus meinen Koffern quollen, ein ziemlich vertrautes Bild für mich darstellten, was ich immer sah, wenn ich von einem Ort an den anderen vor mir selbst geflohen war. Alles in einen Koffer schmeißen und aus Wien nach Berlin, aus Berlin nach Dubai, aus Dubai nach Ibiza fliehen; wohin auch immer. Hauptsache nicht mit den Dingen beschäftigen, die sich in meinen Kopf schlichen, die sich um Raphael drehten, anstatt um Raf Camora.

Ich freute mich auf die Zeit mit meiner Familie; ein paar Tage nur für sie zu haben war selten. Meine Mutter, meine Schwester; die beiden kannten mich mein Leben lang, hatten alles mitbekommen von mir und ich wusste, dass ich mich bei ihnen nicht verstellen musste, was für mich auch Entspannung bedeutete. Dennoch war es ein weiteres Weihnachten, an dem ich alleine ankam.

Eine halbe Stunde später klingelte ich an der Wohnung meiner Schwester und Elio öffnete die Tür.

„Onkel Raf!", schrie er mich beinahe an und sprang an mir hoch.

„Hey mein Großer, hast du schon lange auf mich gewartet?"

„Du bist zu spät!"

„Ich hab noch aufs Christkind gewartet, damit es mir deine Geschenke gibt, also beschwer dich besser nicht!", sagte ich zu ihm, während ich mich an ihm vorbei in die Wohnung drängelte.

„Raphaël!", trat meine Mutter aus der Küche.

„Maman, frohe Weihnachten!", nahm ich die zwei Köpfe kleinere Frau in den Arm.

„Schön, dass du dich noch blicken lässt, die Kinder gehen gleich ins Bett!"

Damit drehte sie sich um und ging direkt wieder zurück in die Küche. Es war gerade einmal 17 Uhr und so aufgedreht wie die Kleinen durch die Wohnung rannten, würden sie vor 00 Uhr auf keinen Fall schlafen.

„Nimm's ihr nicht übel, sie freut sich, dass du endlich da bist."

„Weiß ich doch, Fleur.", begrüßte mich nun auch meine Schwester.

In der Wohnung herrschte eine angenehme Unruhe, die Kinder tobten durch alle Zimmer, das Wohnzimmer war geschmückt, genauso der Weihnachtsbaum, unter den ich meine Geschenke legte.

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