Kapitel 2

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"Hey Jungs, guckt mal wer da ist!", hörte ich Shaho hinter mir sagen, während wir uns grade einen Weg durch die Menge kämpften. Zusammen mit ihm und Abudi musste ich heute Abend zu einer Preisverleihung in Wien, zu der keiner wollen kann, der auch nur etwas guten Geschmack hatte. Aber leider kann man sich nicht jedes Mal gegen solche Veranstaltungen wehren. Umso besser, dass ich einen Teil meiner Equipa immer zu so etwas mitnehmen konnte. Nachdem ich mich umgedreht hatte, sah ich, wie Kontra auf Shaho zukam und mit ihm einschlug . "Hey Bruder, was machst du denn bitte in Wien?", empfing ich ihn. Ich freute mich, Max zu sehen. Früher hatten wir öfter zusammen Songs aufgenommen, im Vergleich zu damals hatten unsere Karrieren aber deutlich mehr Fahrt aufgenommen und da Zeit für eine gemeinsame Session zu finden, wurde immer schwerer. Hinzu kam, dass Max seit Jahren eine Frau und Kinder hatte, für die er sich selbstverständlich Zeit nehmen wollte. Etwas, das mir im Gegensatz zu ihm seit Jahren verwehrt blieb, doch diesen Gedanken unterdrückte ich schnell wieder. "Ich war in der Nähe für ein Festival und konnte es meinem Management dann nicht ausreden, mich hierhin zu schicken." "Aah Bruder, wir wären auch lieber nicht hier, glaub mir.", antwortete ihm Shaho. Die beiden kannten sich natürlich auch seit Jahren und hatten schon zahlreiche Musikvideos zusammen gedreht. Nachdem wir uns einige Augenblicke über das Release von Kontras Album vor ein paar Tagen unterhalten hatten, sah ich, wie er sich umdrehte und nach jemandem Ausschau hielt. Und auch, wenn der Raum vollgepackt war mit gut angezogenen Leuten, fiel mir eine junge Frau auf, die sich ihren Weg durch die Menge bahnte und offensichtlich auf uns zukam. Sie schritt elegant durch die Menge und man sah ihr an, dass ihr vollkommen bewusst war, dass sich mindestens jeder zweite Typ, an dem sie vorbei kam, nach ihr umdrehte. Als sie bei uns ankam, stellte Kontra sie uns vor: "Jungs, das ist hier ist Marlene. Sie hat sich heute erbarmt mich zu begleiten. Wir kennen uns seit ein paar Jahren, sie ist Modedesignerin und hat damals meine erste Kollektion entworfen. Marlene, das sind Shaho, Abudi und Raphael. Mit Raf habe ich schon ein paar Songs aufgenommen." "Beruhigend zu sehen, dass sich hier noch ein paar andere normale Leute hinverirrt haben", erwiderte sie mit einem frechen Grinsen, während sie einem nach dem anderen von uns die Hand reichte. Sie entsprach dem Typ Frau, der mir auch sonst auffiel: Circa 1.70 m groß, ihre langen blonden Haare trug sie zu einem strengen Zopf und war komplett in schwarz gekleidet; elegant, aber nicht unnatürlich. Als ich ihr die Hand reichte, fielen mir ihre dunkelblauen Augen auf. Generell umgab sie, trotz dessen, dass sie uns freundlich zulächelte,  eine eher dunkle Aura. Etwas, auf das ich in den letzten Jahren zu achten gelernt hatte. Im Showbusiness wurde man nur allzu leicht von Oberflächlichkeiten getäuscht, aber was sich dahinter verbarg, konnte man meist erkennen, wenn man sich auf das Gefühl verlässt, was diese Person einem entgegenbringt. "Kommst du aus Wien?", fragte ich sie. "Nicht direkt, ich komme ursprünglich aus Berlin. Vor 7 Jahren bin ich nach Wien gezogen, um hier zu studieren. Ich habe hier mein Business und meine erste Firma aufgebaut. Aber mittlerweile lebe ich auch teilweise in Berlin und pendel zwischen beiden Städten hin und her." "Ah, die Strecke kenne ich aus dem Flugzeug mittlerweile auch in- und auswendig.", antwortete ich. "Ja, jedes Mal aufs Neue eineinhalb Stunden Zeit, sich von den einen schlecht gelaunten Menschen auf die Nächsten einzustellen." Ich lachte kurz auf und sie erwiderte es mit einem kleinen Lächeln. 

Eine halbe Stunde später, in der sich Kontra, Marlene, meine Jungs und ich in eine Ecke verzogen hatten, um in Ruhe zu reden, erhob sich Kontras Begleitung. "Entschuldigt mich kurz, ich muss eben mal meine Schwester zurückrufen.", womit sie aus einem der hinteren Ausgänge verschwand. "Guck ihr nicht so hinterher Bruder, sie ist nicht so leicht zu knacken, wie deine ganzen Insta-Models.", lachte Max. "Tzz, spinn nicht rum. Aber wie sollt ich nicht schauen, sie sieht bombe aus und nach allem, was ich gehört habe, scheint sie sich wirklich ein krasses Geschäft aufgebaut zu haben." "Das hat sie auch und sie kommt von nicht viel, es ist wirklich beeindruckend, was sie gemacht hat. Aber ich kenn dich Raf, lass die Finger von ihr.", warnte mich Kontra nun mit einem ernsteren Ton. Ich wusste, was er meinte. Vor Jahren war ich ein Beziehungsmensch gewesen, hatte zwei langjährige Beziehungen gehabt. Aber die letzte endete, als meine Karriere endgültig ihren Durchbruch hatte. Sie hatte tiefe Narben in mir hinterlassen und seitdem hatte ich niemanden mehr an mich heranlassen wollen. Die Frau meines Lebens hatte ich gehen lassen, um meinen Traum von der Musik wahr machen zu können. Beide Träume, Familie und Karriere, schienen in meinem Leben keinen Platz zu haben. Seitdem hatte ich mich, was das Thema Frauen anging, immer mehr verloren, hatte One-Night Stands gehabt, immer häufiger, immer anonymer und bedeutungsloser. Eine Frau, die mich vor Jahren noch nicht mal angeschaut hätte, knacken zu können, hatte mir den nötigen Kick gegeben, aber danach hatte ich genug von ihnen. "Mach dir keinen Kopf, Max.", antwortete ich ihm. "Ich werd kurz eine rauchen gehen." Damit verließ auch ich unseren Platz und machte mich auf den Weg zu einem Ort, an den ich schon ein paar Mal von hier geflüchtet war, als mir eine Veranstaltung und die ganze Oberflächlichkeit der Leute in diesem Business zu viel geworden waren. 

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