Kapitel 26

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Marlene

In meinem Hals hatte sich ein riesiger Kloß gebildet, als der schwarze Audi an mir und Daniel vorbeigerast war. Als ich Raphaels Blick gesehen habe. Die Enttäuschung und die Wut in seinen Augen, als er realisiert hat, was er hier gerade zu sehen schien.

„Alles okay bei dir? So doll erschrocken von dem Hupen?", fragte mich Daniel, der bemerkt hatte, dass ich ein bisschen weggetreten war.

„Ein wenig, ja. Geht gleich wieder.", log ich ihn an und schluckte.

Er wusste nicht von Raphael und mir. Er wusste generell nicht viel von mir. Daniel und ich hatten uns vor Jahren bereits kennengelernt, er war in der gleichen Branche wie ich tätig und hin und wieder hatten wir miteinander gearbeitet. Fast jedes Mal hatte er vorgeschlagen, dass wir auch außerhalb der Arbeit mal etwas unternehmen könnten und ich hatte immer abgelehnt. Er sah gut aus, keine Frage: Groß und trainiert, dunkle Haare und Drei-Tage-Bart. Aber ich hatte kein Interesse daran gehabt, jemanden kennenzulernen.

Jetzt, als wir Anfang des Jahres wieder zusammen an einem Projekt arbeiteten, hatte ich ihm das erste Mal zugesagt, nach Feierabend Essen zu gehen. Ich dachte, ein wenig Ablenkung nach der Sache mit Raphael, Zeit mit einem anderen Mann als ihm zu verbringen, würde mir gut tun. Und aus einem Treffen wurden mehrere. Wir verstanden uns gut und mir war bewusst, dass Daniel die ganze Sache längst als Dates und nicht mehr nur als „Treffen" sah. Aber für mich war es nicht mehr als das. Ich ließ ihn nicht an mich heran; stattdessen erwischte ich mich immer wieder, wie ich ihn und Raphael miteinander verglich.

Gerade, als wir die Straße überquert hatten, spürte ich, wie mein Handy vibrierte und zog es mit einer bösen Vorahnung aus meiner Handtasche.

[20:10] Muss dich sehen. Bist du in Wien?

[20:18] Vergiss es.

Fuck. Ich spürte die Übelkeit in mir aufkommen. Das Letzte, was ich wollte, war, dass Raphael dachte, dass ich innerhalb von wenigen Wochen dabei war, jemanden kennenzulernen. Und vor allem wollte ich ihn nicht verletzen.

„Kommst du?"

Wenig später saßen wir uns in einer Bar gegenüber, Daniel erzählte mir seit mehreren Minuten etwas von einem seiner unzähligen Hobbys, aber ich konnte nicht einem einzigen Satz folgen. Mir erschien das ganze Treffen hier nun noch unwichtiger als zuvor schon.

„Marlene? Hörst du mir zu?", fragte er mich mit einem misstrauischen Blick.

„Entschuldigung, mir gehts irgendwie nicht so gut. Würdest du es mir übel nehmen, wenn ich nach Hause fahre?"

„Ist etwas passiert?"

„Nein, alles gut, ich hab' nur wirklich Kopfschmerzen.", log ich ihn an.

„Dann komm, ich bring dich natürlich nach Hause."

„Wenn du etwas brauchst, melde dich, okay?", sprach er, als wir vor meinem Haus angekommen waren.

„Mach ich. Danke fürs Fahren und sorry nochmal.", gab ich zurück, während ich ein falsches Lächeln aufgesetzt hatte.

„Kein Problem, wir holen das mit Sicherheit nach."

„Machs gut, Daniel."

Damit stieg ich aus seinem Auto aus und ging Richtung Hauseingang. Nachdem ich aufgeschlossen und ihm noch einmal gewunken hatte, bog Daniel mit seinem Wagen um die Ecke. Ich ließ die Haustür wieder zufallen und machte mich auf den Weg zu meinem eigenen Auto, das nur ein paar Meter weiter geparkt stand. Ich fühlte mich eklig, weil ich ihn angelogen hatte, obwohl ich wusste, welche Absichten er hatte. Daniel war ein guter Mann, nur kein Mann für mich. Ich nahm mir vor, bei der nächsten Gelegenheit mit ihm darüber zu sprechen. Aber heute hatte ich erst einmal eine andere Baustelle, die ich abzuarbeiten hatte. Auch, wenn ich mir einredete, dass die Sache mit Raphael und mir ein für alle mal vorbei war, war er mir nicht egal. Ich wollte nicht, dass so ein Missverständnis zwischen uns stand.

Bereits als ich in seine Straße einbog, sah ich, dass in seiner Wohnung Licht brannte. Ich parkte am Straßenrand, mitten im Halteverbot, aber das war mir gerade egal. Erst jetzt realisierte ich, dass er mir vermutlich die Tür nicht aufmachen würde. Raphael öffnete nicht, wenn er keinen erwartete. Ich entschied mich, ihn anzurufen, in der Hoffnung, dass er abnehmen würde. Doch schneller, als ich es realisieren konnte, hatte er mich weggedrückt.

Raphael: Lass gut sein. Ich brauch keine Erklärung.

Marlene: Machst du mir wenigstens die Tür auf? Ist Arschkalt. 

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