Raphael
Marlene saß mit Elio auf dem Teppich in meinem Wohnzimmer und sie spielten mit seinen Autos. Ich beobachtete die beiden aus der Küche, wo ich die Reste unseres gemeinsamen Frühstücks wegräumte. Der Dreijährige war, wie schon beim ersten Treffen, immer noch vernarrt in Marlene und hatte darauf bestanden, mit ihr zu spielen. Allerdings hatte sie auch wirklich ein Händchen dafür, mit Kindern umzugehen und ich musste mir eingestehen, dass mich das schon damals beeindruckt hatte.
„Onkel Raf, du auch!"
„Ja genau Onkel Raf, nicht nur gucken, mitmachen!", grinste Marlene, die mitbekommen hatte, dass ich rübergeschaut hatte.
Doch noch bevor ich mich zu den beiden setzen konnte, klingelte es an meiner Tür.
„Stunde der Wahrheit..", murmelte Marlene, während Elio schon zur Tür flitzte.
„Mach dir keine Gedanken und nimm nicht persönlich, was sie sagt.", riet ich ihr und gab ihr noch einen flüchtigen Kuss auf die Stirn.
„Mamie!", begrüßte mein Neffe seine Großmutter.
„Elio, warst du anständig?"
„War er. Hallo Maman.", nahm ich die kleine Frau in die Arme.
„Raphael, muss es erst einen Notfall geben, bevor du deine Mutter mal wieder siehst?"
Ein vorwurfsvoller Ton schwang in ihrer Stimme mit. Perfekte Voraussetzungen, dass sie auf Marlene trifft, wenn sie schon auf mich sauer war..
„Maman, ich bin doch gestern erst wieder angekommen."
„Ich weiß ja. Du kannst dich trotzdem öfter sehen lassen.", marschierte sie an mir vorbei in die Wohnung.
„Hast du schon wieder eine neue Putzfrau, Raphael? Hallo.", sprach sie, an Marlene gewandt.
„Äh ja.", sprang ich dazwischen. „Das ist Marlene. Eine...Freundin von mir."
„Hi.", kam es von dieser, die mit der Situation nun noch überforderter schien, als vorher. So unsicher hatte ich sie bisher wirklich selten erlebt.
„Ach Raphael, nicht schon wieder. Es muss doch wirklich nicht sein, dass der Kleine das mitbekommt.", flüsterte meine Mutter zu mir. Es dauerte einen Augenblick, bis ich verstand, was sie meinte. Es war schon einmal vorgekommen, dass meine Mutter spontan vorbeigekommen war und ich noch Damenbesuch hatte. Ich hatte mich in Grund und Boden geschämt dafür und meine Mutter war nicht begeistert gewesen, als sie realisiert hatte, dass ich mich regelmäßig mit Frauen für ein einmaliges Vergnügen traf. Sie wurde nicht müde, mich deswegen zu kritisieren. Wie ich ihr jetzt allerdings erklären sollte, dass Marlene kein One-Night-Stand war, ohne vor ihr das Wort Freundin in den Mund zu nehmen, wusste ich nicht. Wir hatten nicht darüber gesprochen, was wir waren.
„Nein, du verstehst das falsch. Sie ist wirklich.."
„Lass gut sein, deine Mutter ist nicht dumm. Ich will nur nicht, dass Elio das mitbekommt.", unterbrach sie mich.
„Marlene ist aber meine Freundin!", behauptete der Kleine trotzig und verlangte gleichzeitig von ihr auf den Arm genommen zu werden. Ein kleines Schmunzeln konnte ich nicht unterdrücken; Kinder bekamen mehr mit von Gesprächen, als man dachte.
„Ja, also...Ich bin Marlene, wie Sie schon mitbekommen haben."
Mit Elio auf dem Arm reichte sie meiner Mutter die Hand, die sie kritisch blickend entgegennahm.
„Freut mich."
Dass sie ihr nicht das Du anbot, war nur typisch für sie.
„Na gut. Ich werde jetzt trotzdem mal mit dir losfahren.", sagte sie zu Elio und nahm ihn entgegen. „Ich hoffe, du lässt dich demnächst nochmal bei mir Blicken, Raphael. Ohne Begleitung."
Ohne Marlene eines weiteren Blickes zu würdigen, ging sie aus der Tür. Lediglich mein Neffe hatte noch einmal über ihre Schulter hinweg gewunken, bevor die Tür zufiel.
„Uff.", hörte ich Marlene hinter mir seufzend ausatmen. „Das war ja noch schlimmer, als ich es befürchtet hatte."
„Tut mir leid."
Ich trat auf sie zu und nahm sie in den Arm.
„Sie meint das nicht so. Aber meine Mutter war schon immer kritisch, wenn es um Frauen in meinem Leben ging. Erst recht, seitdem ich nicht grad mit den Vorzeige-Schwiegertöchtern zu tun hatte, in den letzten Jahren."
Marlene löste sich von mir, um mich ansehen zu können.
„Hat sie dich mal erwischt? Ich meine, weil sie meinte ‚nicht schon wieder'..:"
„Ja. Ein Mal. Aber das ist länger her. Ich-"
„Schon gut. Fühlt sich nur seltsam an, dass deine Mutter es für wahrscheinlicher hält, dass ich eine Putzfrau oder dein One-Night-Stand bin, als etwas anderes. Auch nicht grad normal."
„Ja...Ich schätze ihr braucht einfach noch einen zweiten Anlauf und spätestens dann wirst du dich mit ihr gegen mich verbünden, wie mit Barbara."
„Elio hab ich ja auch auf meiner Seite.", lächelte sie mich nun wieder an und beugte sich vor, um mir einen versöhnlichen Kuss auf die Lippen zu drücken.
Langsam löste sie sich wieder von mir.
"Ich muss dir trotzdem noch etwas sagen, Rapha."

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Untenable
Hayran KurguMarlene war eine erfolgreiche Geschäftsfrau, die seit Jahren unabhängig war - vor allem von Männern. Und Raphael Ragucci hatte es seit mindestens genau so vielen Jahren bereits aufgegeben, daran zu glauben, dass er eines Tages wieder eine normale Be...