Kapitel 29

196 17 5
                                    

Marlene

Eine angenehme Stille machte sich im Wohnzimmer von Raphaels' Wohnung breit. Wir beide immer noch nackt auf dem Sofa, ich lag zwischen seinen Beinen, mein Kopf ruhte auf seiner Brust, ich hörte nichts außer seinem Herzschlag. Mit einer sanften Regelmäßigkeit fuhren seine Finger meine Wirbelsäule entlang, zu meinem Nacken, in den Haaransatz. Erst langsam realisierte ich, was in den letzten Stunden alles passiert war. Heute noch war ich mit Daniel aus gewesen. Für mich war es nie ein Date, doch wenn ich ehrlich war, hatte ich mich getroffen, um mich von Raphael abzulenken. Dann seine Nachrichten, nach langer Zeit. Der Schreck, als er mich gesehen hatte. Die Angst, als ich realisiert hatte, wie wütend er auf mich war. Der Streit in seiner Küche. Der Sex.

„Worüber zerbrichst du dir den Kopf?", durchbrach Raphaels Stimme die Stille. Er hatte mir nicht einmal in die Augen geschaut und hatte trotzdem irgendwie gemerkt, dass mein Gedankenkarussell angesprungen war.

„Bereust du es?", fragte er und mir entging nicht, dass sein Tonfall ein wenig unsicher klang.

„Nein!", schob ich schnell ein. „Nein, ich bereue es nicht. Ich bin froh, dass wir alles geklärt haben, Rapha. Es war nur sehr viel heute. Beim besten Willen - Ich hätte niemals damit gerechnet, dass der Tag so endet. Geschweige denn, dass wir jemals noch so enden."

„Sieh mich mal an, bitte.", kam es von ihm. Er setzte sich auf, zog mich auf seinen Schoß und legte die Sofadecke über meine Schultern.

„Ich versteh das komplett, auch für mich ist das viel gewesen. Spätestens seit Weihnachten hast du mir die ganze Zeit gefehlt und dann seh' ich dich heute mit diesem Piç. Auf einmal stehst du vor meiner Tür, wir schreien uns an und dann besorgst du es mir hier wie keine ande..Au!", lachte er, weil ich ihm ein Kissen über den Kopf gezogen hatte.

„Hör auf so zu reden, Ragucci, das war ein ernstes Gespräch!", lachte auch ich nun.

„Ist ja schon gut." Er nahm meine Arme und legte sie um seinen Hals, mit seinen Händen an meiner Taille zog er mich näher an sich heran und sah mir tief in die Augen.

„Ich meins ernst, was ich vorhin gesagt habe. Ich weiß, was ich über Beziehungen gesagt habe und wie ich die letzten Jahre gelebt habe. Es wird nicht von heute auf morgen klappen, dass ich mich um 180 Grad wende. Aber seit dem Abend auf dem Kahlenberg hast du etwas mit mir gemacht. Du bist die erste Frau, die ich wieder an mich rangelassen habe und die mir etwas bedeutet. Das werde ich nicht aufgeben."

„Das..Wow." Ich wusste nicht wirklich, was ich darauf antworten sollte. Ich war nicht nur mit meinen eigenen Gefühlen überfordert, sondern auch mit Raphaels plötzlicher Ehrlichkeit bezüglich seiner Gefühle.

„Ich weiß, dass ich es uns auch nicht immer leicht gemacht habe. Du kamst mir so schnell so nah, dass ich Ansprüche gestellt habe, denen ich selbst nicht entsprochen habe."

Seine Hand fuhr von meinem Rücken in meine Haare, sein Daumen strich sanft meinen Unterkiefer entlang.

„Dass du nach all den Monaten und Problemen immer noch hier bist - oder wieder - ist mir fürs erste Antwort genug, Marlene."

Mit einem leichten lächeln beugte ich mich ihm entgegen und legte meine Lippen sanft auf seine. Unsere Küsse waren nun viel ruhiger, sanfter und inniger. Waren wir vorher wie ausgehungert übereinander hergefallen, schalteten wir nun einen Gang runter. Trotzdem bemerkte ich, dass er wieder hart geworden war. Und auch mich ließ die Situation nicht kalt. Meine Zunge spielte sanft mit der seinen und ich fing an meine Becken wieder über seinem zu bewegen. Raphaels löste seine Hand aus meinem Nacken und legte sie mit einem bestimmten Griff um meinen Hals. Ich mochte diese Art der Dominanz: Normalerweise fiel es mir schwer, die Kontrolle abzugeben; doch in dieser Situation genoss ich es.

„Hast du nicht genug bekommen, Baby?"

Seine Stimme war einige Nuancen dunkler geworden als noch vor wenigen Minuten.

„Niemals.", gab ich fast tonlos zurück.

„Dann geh runter auf die Knie."





Am nächsten Morgen war ich noch vor Raphael wach geworden. Etwas, was bei unseren bisherigen Nächten nicht oft vorgekommen war. Aber auch ihn schien die letzte Zeit geschlaucht zu haben, weshalb ich ihm den Schlaf lassen wollte. Stattdessen schlich ich mich vorsichtig aus dem Schlafzimmer, griff nach einem seiner Shirts, die unordentlich verteilt lagen, und zog es mir über. In der Küche suchte ich mir aus den spärlichen Lebensmitteln, die es hier gab, alles zusammen, was ich für ein Frühstück brauchte. So vertieft in mein Tun, bemerkte ich nicht, dass Raphael doch aufgewacht war und zuckte zusammen, als seine Arme sich um meine Taille schlangen.

„Guten Morgen, ma belle."

„Morgen, Rapha. Ich wollte dich nicht wecken."

„Hast du nicht. Ich hab unfassbar Hunger.", schielte er auf das Rührei in der Pfanne. Gerade, als ich antworten wollte, klingelte es an der Tür.

„Erwartest du wen?"

„Eigentlich nicht.", schaute Raphael skeptisch zur Tür, öffnete aber dennoch.

„Fleur?!"

Tatsächlich hörte ich schon Elio durch den kompletten Flur nach Raphael rufen. Hatte er etwa wieder seine Schwester vergessen?

„Tut mir leid Rapha, dass ich so unangekündigt komme. Aber Phillip ist ins Krankenhaus gekommen, Blinddarm. Ich habe niemanden, der jetzt auf Elio aufpassen kann. Maman kommt in ein oder zwei Stunden und nimmt ihn. Kannst du ihn so lange.."

„Barbara, beruhig dich mal. Natürlich passe ich auf ihn auf. Mach dir keine Gedanken."

Als Barbara sich langsam beruhigte und Elio absetzte, zusammen mit einer Tasche, die sie scheinbar für ihn gepackt hatte, ging ihr Blick an Raphael vorbei zu mir.

„Oh, Besuch?", grinste sie ihn an. „Hallo Marlene!"

„Hey!", gab ich zögerlich zurück, immerhin trug ich nur einen Slip und ein Shirt ihres Bruders.

„Marlene!", rief Elio nun, als er mich erkannte und stürmte auf mich zu.

„Na gut,", schmunzelte Barbara nun. „Dann lass ich euch drei Mal alleine. Danke, Raf. Und: Sorry für die Störung.", lächelte sie in meine Richtung.

„Ja, ja, jetzt geh schon Fleur. Und gute Besserung an Philip.", scheuchte er sie regelrecht aus dem Flur und drehte sich mit einem entschuldigenden Blick zu mir um, während ich Elio mittlerweile auf den Arm genommen hatte.

„Dann lernst du wohl direkt auch meine Mutter kennen."

Also fürs Erste gibt es dann doch noch ein wenig Harmonie, ich denke, das haben sich die beiden verdient. :)

UntenableWo Geschichten leben. Entdecke jetzt