Raphael
„Elio! Barbara, was macht ihr denn hier?", fragte ich meine Schwester, die noch immer im Türrahmen stand, während mein Neffe bereits durch meine Wohnung flitzte und auf das Sofa sprang.
„Wir waren zum Frühstück verabredet Raphael, hast du das vergessen?", erwiderte Barbara und trat selbstbewusst in meine Wohnung. „Scheinbar ja nicht?"
Sie hatte die Spiegeleier auf dem Herd und den gedeckten Tisch auf meinem Balkon entdeckt. Dass ich den garnicht für sie und Elio, sondern für Marlene und mich gedeckt hatte, sagte ich ihr nicht.
Bevor ich darüber nachdenken konnte, wie ich die ganze Situation auflösen sollte, hörte ich aber schon, dass die Badezimmertür aufging. Auch meine Schwester hatte das mitbekommen und schaute mit einem abschätzigen Blick an mir vorbei.
„Ah, schau an. Ans Frühstück hat er gedacht, aber nicht für seine Schwester. Komm Elio, ich glaube, wir müssen uns einen anderen Ort zum Frühstücken suchen."
„Quatsch, jetzt bleibt doch...", wollte ich mich gerade erklären, als mein Neffe dazwischen funkte.
„Nein Mama, Onkel Raf!"
„Ich kann auch gehen, ich mein, wenn ihr verabredet..", schaltete sich jetzt auch Marlene aus dem Bad ein.
„Jetzt hört doch alle mal auf! Wir frühstücken jetzt gemeinsam, ist doch kein Problem."
Ich war mit der Situation vermutlich einfach wahnsinnig überfordert, keine Ahnung weshalb ich sonst meine Schwester und Marlene zum gemeinsamen Frühstücken bringen wollte. Ich wusste, wie schwierig Barbara gegenüber Frauen in meinem Leben sein konnte und wir hatten gerade nicht die besten Ausgangsbedingungen geschaffen. Die geschockte Stille wurde jedoch in diesem Moment bereits unterbrochen.
„Wer bist du denn?", ging Elio auf Marlene zu, die er scheinbar gerade erst entdeckt hatte. Sie hockte sich zu ihm herunter und hielt ihm die Hand hin.
„Ich bin Marlene, eine Freundin von Raphael. Und wer bist du?", sprach sie ihm freundlich zu.
Der sonst so schüchterne Dreijährige, der manchmal sogar bei mir Zeit brauchte zum auftauen, wenn wir uns länger nicht gesehen hatten, ging direkt auf sie zu und ergriff ihre Hand.
„Elio!", sprach er ganz stolz.
„Na gut.", hörte ich Barbara neben mir leise sagen. „Ich bin trotzdem sauer und du bist mir mindestens eine Erklärung schuldig!". Damit ging sie an mir vorbei in die Küche, um für sich und Elio zusätzliche Teller zu holen. Marlene hatte sie noch nicht eines weiteren Blickes gewürdigt. Mit einem tiefen Seufzen ging ich auf sie und Elio zu. Er hatte sie mittlerweile in ein wichtiges Gespräch über seinen Dino, den er als Kuscheltier immer dabei hatte, verwickelt und sie ließ sich darauf ein, als wäre es das wichtigste, was es auf der Welt gerade zu besprechen gäbe.
„Elio, magst du Mama beim Tisch decken helfen?"
„Aber Marlene isst mit!", gab er standfest zurück.
„Klar mach ich das.", versicherte sie ihm und Elio flitzte bereits durch die Wohnung zum Balkon.
„Tut mir leid, dass das so gelaufen ist. Ich hatte wirklich nicht mehr auf dem Schirm, dass Barbara heute morgen kommen wollte.", erklärte ich ihr mit einem entschuldigenden Blick.
„Ich nehm's dir nicht übel, Rapha. Aber ich kann wirklich gehen, wenn das irgendwie unpassend ist.". Obwohl Marlene immer tough und selbstsicher wirkte, merkte ich mittlerweile ziemlich genau, wenn sie in Wirklichkeit unsicher war.
„Wenn Barbara sagt, wir können zusammen essen, meint sie das auch so. Aber lass dich von ihr nicht verunsichern. Sie ist wie ich, nur in weiblich. Auch, wenn sie kühl wirkt, ist sie es nicht. Sie ist nur ähnlich von meinen Frauengeschichten begeistert, wie du."
„Oh Gott, und da reihe ich mich für sie jetzt ein, na herzlichen Glückwunsch."
Damit spazierte sie auch bereits an mir vorbei, um zu meiner Schwester und Elio auf den Balkon zu gehen.
„Ich hab mich noch garnicht vorgestellt.", trat sie auf Barbara direkt zu. Von der Unsicherheit von eben war nichts mehr zu spüren; sie hatte ihre professionelle Art aufgelegt, die sie immer hatte, wenn wir nicht alleine waren. „Ich bin Marlene, eine Freundin von deinem Bruder."
„Eine Freundin also?"
„Ja. Wir haben uns über Max kennengelernt, Kontra K. Ich bin Modedesignerin und habe für ihn mal eine Merch-Kollektion entworfen."
„Modedesignerin aus Wien? Deinen Namen habe ich glaube ich noch nie gehört."
Ich schaute Barbara mit einem ermahnenden Blick an. Dass sie Marlene testen wollte, da sie nicht wusste, in welcher Beziehung wir zueinander standen und warum sie das Frühstück mit ihrem Bruder nun mit ihr teilen musste, konnte ich noch verstehen. Aber Maman hatte uns nicht dazu erzogen, unhöflich zu sein.
„Ja, Wien und Berlin. Ich pendel seit Jahren zwischen den beiden Städten.", gab Marlene ruhig zurück. „Dadurch bin ich auch mit deinem Bruder ins Gespräch gekommen und wir konnten den Kontakt halten. Bei so vielen Städten, in denen er dauernd ist, ist das ja garnicht so einfach."
„Ja, in vielen Städten, mit vielen 'Freundinnen'", provozierte sie trotzdem weiter. Elio schien von dem Ganzen nichts zu bemerken, er hatte sein Frühstück beendet und krabbelte gerade sogar auf Marlenes Schoß. Ich betrachtete die Szene, die so vertraut wirkte, als würden die beiden sich ewig kennen, und Marlene und mein Neffe ganz normaler Bestandteil von so einem Morgen sein. Ich erwischte mich selbst dabei, wie es mir gefiel, sie so zu sehen.
„Das stimmt. Den Lebensstil deines Bruders habe ich auch schon zur Genüge vorgeführt bekommen. Aber da mische ich mich nicht ein, das ist nichts, was mich betrifft. Ich halte nichts von Dubai, Partys und ‚Freundinnen'.", sprach Marlene, mit einem Blick auf Elio, der natürlich nichts davon mitbekommen sollte, was sein Onkel mit sogenannten Freundinnen trieb. „Aber zum Glück gibt es noch andere Seiten von Raphael, mit denen man etwas anfangen kann."
Kurz schwiegen sich die beiden Frauen an und betrachteten sich abwartend, bis sogar meine Schwester sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen konnte. Ich wusste, dass sie sich eigentlich gut verstehen würden und vor allem die gegenseitige Ablehnung meines Lebensstils würde die beiden sehr verbinden.
„Ich bin Barbara."
So, damit bin ich zurück aus einer ungeplanten Pause, ich hoffe, es sind überhaupt noch ein paar Leute hier, die weiterlesen wollen.^^ Zum Anfang ein recht kurzes Kapitel, aber ich hoffe, dass es bald weiter geht. :)
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Untenable
Hayran KurguMarlene war eine erfolgreiche Geschäftsfrau, die seit Jahren unabhängig war - vor allem von Männern. Und Raphael Ragucci hatte es seit mindestens genau so vielen Jahren bereits aufgegeben, daran zu glauben, dass er eines Tages wieder eine normale Be...