Kapitel 4

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Als ich auf das Dach gekommen war und gesehen hatte, dass ich nicht allein sein würde, war ich in der ersten Sekunde genervt gewesen. Eigentlich hatte ich mich darauf gefreut für ein paar Minuten meine Ruhe genießen zu können; wäre es nach mir gegangen, wären wir schon längst wieder gefahren. Aber Abudi war von irgendeiner Frau angequatscht worden und wollte jetzt um jeden Preis noch bleiben. Also hatte ich mich aufs Dach verzogen, nur um feststellen zu können, dass ich nicht der Erste war, der diesen Plan gehabt hatte. Marlene wollte ebenfalls vor den Menschenmassen auf der Veranstaltung, die unter uns seit Stunden lief, fliehen.

Auch, wenn sie mir bereits vorhin sympathisch gewesen war, hatte ich eigentlich kein Interesse daran gehabt, hier in ein Gespräch zu verfallen. Meine Energie konnte ich gut anderweitig benutzen, als für sinnlosen Smalltalk mit flüchtigen Bekanntschaften, die ich danach nie wieder sehen würde. Aber irgendwie hatte sich dieses Gespräch in eine ganz andere Richtung entwickelt: Sie hatte mir von ihrer Geschichte erzählt, wie sie nach Wien kam und sich ihr Leben hier aufgebaut hat. Marlene stand zwar selbst nicht im Rampenlicht wie ich, aber in ihrer Branche war sie ein Name. Sie hatte mit allerlei Leuten aus meinem Business zu tun gehabt, durch Kooperationen hatte sie auch Max kennengelernt, und ließ sich nicht davon beeindrucken, dass ich Raf Camora war. Ihr Lebensweg erinnerte mich ein wenig an meinen. An damals, als ich ohne einen Cent in den Taschen aus Wien nach Berlin gezogen war, um dort meinem Traum nachzugehen. Damals war sie in genau die andere Richtung unterwegs, verließ Berlin für Wien.

„Wofür braucht man bitte 5 Autos? FÜNF?", fragte sie mich lachend und mit einem ungläubigen Gesichtsausdruck. Wir hatten uns gerade darüber unterhalten, wie sich unsere Leben verändert hatten, im Vergleich zu dem Zeitpunkt, als wir unsere Heimatstädte verlassen hatten. Ich hatte vom Alfa Romeo erzählt und wie viel es mir damals bedeutet hat, ihn abzuholen.

„Also erstmal brauche ich Autos in Wien und in Berlin. Und dann fahren meine Mutter und meine Schwester auch meine Autos. Oder meine Freunde."

„Und die latschen dann jedes Mal in deine Garage? Kauf denen doch einfach eigene Autos, wenn du so ein Samariter bist." Als ich mich ihr zuwandte sah ich, dass sie ihr Lachen unterdrücken musste. Sie nahm mich nicht ernst.

„Na gut, vielleicht find ich die meisten davon auch einfach schön. Oder wollte sie haben. Um sie zu haben."

„Man kann ja schließlich auch nicht mit einem Opel in Dubai aufkreuzen, oder?" Ihre direkte und freche Art weckte in mir ein Interesse an ihr und dem Gespräch. Eine Frau, die wie sie elegant gekleidet und sich dessen bewusst war, wie gut sie aussieht, und dennoch mit einer fast rotzigen Art Witze machen konnte.

„Du machst dich lustig über mich!", antwortete ich ihr.

„Ein wenig vielleicht. Ich bekomm nur mein Bild von dir nicht ganz zusammen. Was du erzählst ist sehr reflektiert und man könnte denken du seist super bodenständig. Und dann erzählst du mir von deinen 5 Autos, 8 Wohnungen und 100 Uhren.", gab sie ehrlich zurück.

„Geht nicht beides?", fragte ich Marlene.

Als sie gerade zu einer Antwort ansetzen wollte, vibrierte mein Handy in der Hosentasche. Ich nahm es heraus und den eingehenden Anruf von Abudi an.

„Eh, Bruder, was ist los, rufst du dein Taxi?", fragte ich ihn.

„Raf Bruder, ich brauch deine Hilfe. Kann ich den FeFe haben?" 

„Wie bitte?", lachte ich auf. „Was hast du denn bitte vor?"

„Die Kleine von vorhin hat mich gefragt, ob ich sie nach Hause bringen kann. Bitte Raf, ich kann jetzt nicht ein Uber rufen und sie damit nach Hause bringen!"

„Du bist der größte Piç Abudi, aber du hast meinen Schlüssel eh noch in der Tasche, pass bitte einfach auf, dass der heile zurück kommt. Und wehe ihr fickt im Auto!"

„Ich schulde dir mein Erstgeborenes, ich meld mich!"

Abudi hatte aufgelegt und ich steckte mein Handy wieder zurück in meine Tasche.

„Da hab ich schon zig Autos und am Ende bleibt mir trotzdem keins!"

„Hast du ihm grad ehrlich dein Auto gegeben, damit er ein Groupie mitnehmen kann?", lachte sie.

„Soll er seinen Spaß haben. Ich muss dann nur mit dem Taxi nach Haus. Ganz bodenständig.", stichelte ich zurück und sie erwiderte mit einem Lachen.

„Wenn du magst, kann ich dich auch fahren. Aber dann lass uns langsam losgehen, wird ein wenig kalt.", sagte Marlene.

„Das ist sehr lieb, aber du musst den Umweg nicht fahren.", antwortete ich auf ihr Angebot und stand gemeinsam mit ihr auf. Ich reichte ihr die Hand, um ihr über die kleine Stufe zurück aufs Dach zu helfen.

„Ist kein Problem. Unser Gespräch hat mir gefallen und ich habe kein Problem damit, es noch ein paar Minuten fortzusetzen." Sie ergriff meine Hand und schaute mir nach diesem Satz ins Gesicht. Eine Gewisse Ernsthaftigkeit lag in ihrem Blick und in ihren dunkelblauen Augen und ich glaubte ihr, dass sie das was sie sagte auch so meinte. Noch immer hielt sie meine Hand fest und die Stimmung zwischen uns hatte sich schlagartig verändert. 

"Wenn das so ist, nehm ich das Angebot gerne an.", reagierte ich auf ihren Satz und hielt ihren Blick. Von einer auf die andere Sekunde ließ sie meine Hand los, setzte sich in Bewegung und beendete damit die Situation zwischen uns. 

"Na dann komm. Du schlägst Wurzeln Ragucci."



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