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Die Haushälterin hatte den Kühlschrank aufgefüllt. Bedeutete das, das Alex heute noch zurückerwartet wurde? Sie hatte sich etwas beruhigt und reichlich Zeit gehabt nachzudenken. Jeden Raum hatte sie inspiziert und nach einer Fluchtmöglichkeit gesucht und keine gefunden. Vielleicht sollte sie zunächst gute Miene zum bösen Spiel machen, hoffen, dass er ihr dadurch mehr Freiheiten ließ und dann sehen, ob sich nicht doch noch eine Möglichkeit bot.

Aber Alex war nicht dumm. Er würde sie durchschauen, wenn sie plötzlich brav war, oder vielleicht doch nicht? Doc hatte Angst vor Konsequenzen, wenn er sich Alex widersetzt. Warum hatte sie keine Angst? Sie hatte ihm eine Ohrfeige gegeben und er hatte sie deswegen nicht bestraft. Warum nicht? Ok, da war niemand dabei gewesen. Aber egal. Sie hatte sich ihm widersetzt und er hatte sie dafür nicht übers Knie gelegt.

Plötzlich spürte sie einen unglaublichen Drang, dieses Haus einfach zu verwüsten. Ein Messer zu nehmen und ihrer Wut und ihrer Enttäuschung freien Lauf zu lassen und damit die Möbel zu zerkratzen und die Polster zu zerschneiden. Sie wollte die Bilder von den Wänden reißen, die Regal mitsamt den Büchern und Dekosachen umwerfen. Und dann sehen, wie er darauf reagierte. Aber sie tat es nicht. Warum? Stattdessen stand sie einfach nur da und starrte durch die Glastür auf den Wald. Es war niemand zu sehen. Aber sie wusste, dass das täuschte. Was würden sie tun, wenn sie es einfach nochmals versuchte und in den Wald ging und einfach weiterging und sich nicht von einem drohenden Knurren aufhalten ließ?

Hinter ihr öffnete sich die Haustür. Ria drehte sich nicht um. Vielleicht war es nochmals die Haushälterin, vielleicht wollte Doc doch nochmals nach ihr sehen. Doch dann spürte sie jemand direkt hinter sich stehen und ihr wurde bewußt, dass es Alex war. Er sagte kein Wort und er berührte sie nicht. Und doch spürte sie seine Anwesenheit und versuchte krampfhaft ein Zittern zu unterdrücken. Doch sie konnte nicht verhindern, dass ihr Atem schneller ging. Er berührte sie immer noch nicht, doch sie spürte seinen warmen Atem in ihrem Nacken und schließlich auf dem Biss.

Jeden Morgen hatte Doc diese Wunde berührt und sie hatte nichts gespürt. Und nun stand dieser Kerl hinter ihr, berührte sie nicht mal und schon ging ihr Atem stoßweise, beschleunigte sich ihr Herzschlag und sie spürte die Stiche in ihrem Unterleib und das Kribbeln zwischen den Beinen.

Ohne Vorwarnung schlang er seine Arme um sie und legte seine Lippen auf den Biss und sie schrie auf und keuchte vor Verlangen. Er drehte sie um, küsste sie und seine Zunge suchte die ihre. Seine Hände tasteten über ihren Körper und streichelte ihn. Die Hitze breitete sich aus, verbrannte sie fast. Sie wollte ihn spüren. Sie wollte seine Zunge spüren, wie sie brennend feuchte Spuren auf ihrem Körper hinterließen. Sie wollte seine Hände spüren, die eine ungeheure Wärme ausstrahlten während sie ihren ganzen Körper erkundigten. Sie wollte ihn spüren auf ihr und in ihr. Sie wollte Erlösung. Sie wollte ihn.

Erneut liebkoste seine Zunge ihre Markierung und voll Verlangen schlang sie ihre Beine um seine Hüfte und ließ sich von ihm in sein Zimmer tragen.

——

Als Ria erwachte, war es früh am Morgen. Sie kuschelte sich in die Bettdecke und wartete darauf, dass die Sonne sie weckte. Es war bereits hell, doch sie lag im falschen Bett. Die Sonne schien morgens in ihr Schlafzimmer, sie aber lag in Alex Bett. Allein. Sie atmete seinen Duft ein und fühlte sich ausgeruht und ausgeglichen und – befriedigt. Zufrieden drehte sie sich um, zog die Decke fest um ihren nackten Körper und schlief wieder ein.

Sie erwachte wenige Stunden später. Und diesmal brauchte sie nur einen kurzen Moment, um zu begreifen, wo sie war und was geschehen war. Sie hatten miteinander geschlafen. Wie konnte das passieren? Diese Markierung. Sie schauderte. Sie bebte vor Verlangen, wenn er diese Markierung auch nur leicht berührte. Sie fühlte eine Hitze in sich und den fast schon verzweifelten Wunsch, ihm nahe zu sein, seine Stärke zu spüren und seine Wärme. Er brauchte nur diese Markierung zu berühren und schon war sie wie Wachs in seinen Händen. Diese Markierung war mehr als nur ein Schutz vor zudringlichen Werwölfen. Er hatte sie damit in der Hand. Und schlagartig kehrte ihre Wut zurück. Sie musste weg. Sie musste weg so schnell wie möglich und so weit wie möglich, bevor sie zu einer willenlosen Marionette wurde und sich komplett selbst verlor.

Schnell rannte sie in ihr Zimmer, duschte und zog sich an. Sie hörte Geräusche in ihrem Zimmer, dann das leise Einrasten der Zimmertür. Leise schlich sie aus dem Bad. Ja, die Haushälterin war da gewesen und hatte ihr ihr Frühstück gebracht. Noch leiser öffnete sie die Tür und lauschte. Die Haushälterin summte ein Lied und so wie es sich anhörte, stieg sie gerade die Stufen hinauf in den ersten Stock.

Ria schlich zur Treppe und lauschte nach oben. Ihr Blick fiel auf die Haustür. Vielleicht schloss sie die Haustür nicht ab, wenn sie da war. Sie musste es versuchen. Vorsichtig drückte sie Klinge und fand sie offen. Sie atmete auf. Das war ihre Chance und ohne weiter nachzudenken schlüpfte sie durch die Tür, zog sie leise hinter sich zu und rannte los. Sie rannte die Nebenstraße entlang bis zur Hauptstraße, überquerte sie und folgte dem Feldweg, weg vom Rudelhaus, weg von Alphahaus, einfach nur weg, weg, weg. Sie rannte, bis sie kaum noch Luft bekam, stolperte und fiel.

„Mist", fluchte sie keuchend und rieb sich den Knöchel.

Sie musste weiter. So schnell es ging, humpelte sie den Feldweg entlang bis zu einem Maisfeld. Noch stand der Mais und bot ihr gute Deckung. Vielleicht würde er auch ihren Geruch etwas überdecken. Ob sie ihre Flucht schon entdeckt hatten? Hoffentlich nicht und hoffentlich noch lange nicht.

Am Ende des Maisfeldes rutschte sie eine kleine Böschung hinunter. Schon wollte sie die nächste Straße überqueren, da stutzte sie. Ein kleines Auto parkte am Straßenrand. Hinter einem Gebüsch hörte sie es rascheln und gleich darauf trat eine junge Frau hinter dem Gebüsch hervor und richtete umständlich ihre Hose.

„Hallo", rief Ria.

Die Frau blickte erschrocken auf.

„Entschuldigen sie", sagte Ria. „Ich wollte sie nicht erschrecken. Ich habe mir meinen Fuß verstaucht. Könnten sie mich bis zur nächsten Stadt mitnehmen?"

„Oh, sie Arme", entgegnete die junge Frau freundlich. „Das kann ganz schön weh tun. Steigen sie ein."

Ria lächelte und schob sich vorsichtig auf den Beifahrersitz.

„Wie heißen sie?", fragte die Frau neugierig, startete ihr Auto und fuhr los.

„Chiara", log Ria. „Meine Eltern liebten Italien, also musste es ein italienischer Mädchenname sein."

„Oh je", lachte die junge Frau. „Das kommt mir irgendwie bekannt vor. Bei mir war es kein Urlaubsland, sondern eine Fernsehserie. Ich heiße Anna."

Die beiden Frauen lachten. „Wohnen sie hier in der Nähe, Chiara? Dann könnte ich Sie nach Hause fahren."

„Danke, ich wohne weiter weg und ich möchte nicht nach Hause, ich möchte in den Süden."

„Ohne Gepäck, einfach so?", fragte sie ungläubig.

„Natürlich nicht einfach so", lächelte Ria. „Schätze, Sie werden mir meine Geschichte sowieso nicht glauben."

„Versuchen Sie's."

„Nun gut", nickte Ria. „Ich bin Reporterin und ich recherchiere über die Hilfsbereitschaft von Menschen."

„Oh je. Da dürften Sie kaum positive Erfahrungen machen."

„Heute habe ich schon eine positive Erfahrung gemacht", lachte Ria. „Ich habe Sie getroffen und Sie haben sich bereit erklärt, mich mitzunehmen. Ich möchte ohne Geld und ohne Hilfsmittel so weit wie möglich in den Süden kommen."

„Ist das nicht viel zu gefährlich?", fragte Anna entsetzt. „Wenn Sie an die falschen geraden, dann..."

Sie schüttelte sich.

„Keine Sorge, Anna", beruhigte sie Ria. „Ich steige nur bei Frauen ein. Und ich halte mich von Städten fern. Die Menschen auf dem Land sind meist freundlicher und hilfsbereiter. Das letzte Mal habe ich auf einem Bauernhof mitgeholfen. Der Lohn war etwas zu essen, eine angenehme Nacht in einem Gästebett und ein bisschen Taschengeld. Wenn Sie mich etwas außerhalb der Stadt rauslassen, suche ich mir wieder so einen Bauernhof."

„Ich würde mich das nie trauen", flüsterte Anna bewundernd. „Ich wohne am südlichen Stadtrand. Wenn Sie wollen, können Sie heute Nacht bei mir schlafen. Ich lade Sie ein."

„Ich würde Ihre Einladung gerne annehmen. Aber nur, wenn ich wirklich nicht störe."

„Oh nein", versicherte Anna. „Ich lebe allein und freue mich über Gesellschaft heute Abend."

„Dann nehme ich an."

Die Wölfe vom Silmertal - Die Gefährtin des Alphas.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt