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Der Wohnbereich von Alex Haus wurde kurzerhand in eine Ermittlungszentrale umfunktioniert. Eine große Straßenkarte lag ausgebreitet auf dem Wohnzimmertisch. Der Standort vom Rudelhaus und vom Wohnhaus wurde eingezeichnet, ebenso der Weg, den Ria gegangen war bis zu der Stelle, an der sich ihre Spur verlor.

„Alle wesentlichen Straßen, die aus Ringen raus gehen, werden überwacht", erklärte Chris. „Ria hat nichts dabei, kein Geld, keine Wechselkleidung. Nichts. Also kann sie nicht mit Zügen oder Busse die Stadt verlassen. Sie wird sich also auf einem der Parkplätze oder Straßen stadtauswärts eine Mitfahrgelegenheit suchen."

„Sie wird versuchen, so weit wie möglich von hier wegzukommen", meinte Tom. „Ich glaube auch nicht, dass sie versuchen wird, mit ihren Eltern oder ihrer Freundin Kontakt aufzunehmen."

Alex nickte zustimmend. Er hatte sich gefasst. Ria war sein Mädchen und er war der Alpha. Es war seine Aufgabe, die Suche zu leiten und sie zu finden. Und wieder einmal war er froh, mit Chris einen Freund an seiner Seite zu haben, der ihn darin wie selbstverständlich unterstützte, und mit Tom einen Beta, dem er voll und ganz vertrauen konnte.

„Ich werde nach Ringen fahren, und die Suche dort vor Ort leiten. Falls ich was neues erfahre, melde ich mich."

„Danke, Tom. Bis später." Alex und Tom klopften sich kurz auf die Schulter, dann waren Alex und Chris allein.

„Ich habe Doc angefunkt", informierte Alex seinen Freund. „Er soll sich so schnell wie möglich melden. Vielleicht hatte Ria ihm gegenüber irgendwas gesagt, was uns weiterhilft."

Chris nickte zustimmend und betrachtete nachdenklich die Straßenkarte. Während er mit den Fingern die Straßen von Ringen aus nach Süden nachfuhr, verdüsterte sich seine Miene.

„Richtig. Sie ist auf dem Weg in sein Revier", bemerkte Alex und seine Stimme klang besorgt.

„Ich hoffe, wir finden sie, bevor sie die Grenze überschreitet", nickte Chris. „Erzählst du mir, was damals war?", fragte er leise.

„Meinungsverschiedenheiten über die Grenzverläufe", antwortete Alex lakonisch und starrte nachdenklich auf die Terrasse und den Waldrand.

Chris wartete geduldig, dass Alex weitersprach. Doch gerade als er fortfahren wollte, klingelte das Telefon.

„Chris hier. - Hallo Doc. Ich schalte auf Lautsprecher, dann kann Alex mithören."

„Hallo ihr beiden. Alex, du wolltest einen schnellen Rückruf. Was ist los?"

„Ria ist weg."

Stille.

„Also hat sie es doch geschafft."

„Du wusstest, dass sie weg will? Und du hast nichts gesagt?", presste Alex mühsam beherrscht heraus.

„Alex", antwortete Doc beschwichtigend. „Du wusstest doch auch, dass sie jede Chance nutzen wird, um abzuhauen. Wer hat ihr geholfen?"

„Niemand", antwortete Chris, „zumindest niemand wissentlich und direkt. Die Haustür war für ein paar Minuten nicht abgesperrt und nicht bewacht."

„Und sie hat es ausgenutzt und die Fliege gemacht", vollendete Doc den Satz.

„Genau so", bestätigte Chris.

„Ich begreife es nur nicht", knurrte Alex. „Wir hatten eine wunderbare Nacht und am nächsten Tag läuft sie einfach weg."

Schweigen.

„Doc? Bist du noch dran?", fragte Alex vorsichtig.

„Ja", kam die verhaltene Antwort.

Schweigen.

„Ich ruf dich in zehn Minuten zurück, Alex. Ich muss etwas klären." Und schon hatte Doc aufgelegt.

Fragend sahen sich Alex und Chris an und fast synchron zuckten sie mit den Schultern. Schweigend warteten sie, bis nur wenig später das Telefon erneut klingelte.

„Doc?", fragte Alex, der diesmal schneller war, abhob und den Lautsprecher anschaltete.

„Sorry, ich musste mich nur nochmal vergewissern. Du hast Ria markiert, Alex. Aber Ria ist ein Mensch. Für ein Mensch hat sie zwar ein gutes Heilfleisch, aber Menschen reagieren anders auf Markierungen. Wenn wir uns markieren, erklären wir unsere Zugehörigkeit deutlich. Zudem steigert die Berührung der Markierung unsere Libido, wenn wir in Hitze sind. Aber kein Werwolf würde sich deshalb selbst verlieren. Anders gesagt. Wir Werwölfe klären unsere Zugehörigkeiten über unsere Rudelhierarchie zum einen. Prägungen, aber vor allem Seelenverwandtschaften zeigen wir durch die Markierung an. Dann weiß jeder Bescheid und jeder richtet sich danach. Bei Menschen ist das anders. Mal abgesehen davon, dass Menschen nicht in der Lage sind, über ihren deutlich schwächer ausgeprägten Geruchssinn Unterschiede zu erschnüffeln, reagieren sie auch auf Markierungen deutlich anders und sehr unterschiedlich. Das reicht im schwächsten Fall von der Steigerung der Lust beim Liebesakt bis hin zum Verlust der eigenen Identität."

Schweigen.

„Verstehst du, was ich damit sagen will?"

Schweigen.

„Alex. Du hast sie über die Markierung gereizt, stimmt's? Du hast dadurch ihre Lust angeregt und sie ist in deinen Händen buchstäblich wie Wachs gewesen? Oder hat sie sich auf irgendeine Art und Weise gewehrt?"

„Ich musste sie nicht zwingen, falls du das vermutest", brummte Alex ärgerlich, „Sie war sehr sanft, sehr willig und wollte es auch."

„Dann gehört sie zu den Menschen, die bei der Berührung der Markierung zur Marionette werden. Du hast sie voll und ganz in der Hand, Alex. Es zählt nicht was sie will, du brauchst nur ihre Markierung zu berühren und schon wird sie dir folgen und tun was du von ihr verlangst. Deine Kleine ist nicht dumm, Alex. Sie wird das bemerkt haben."

„War sie bei dir...?", Alex musste es wissen, obwohl er innerlich sowas wie Angst vor der Antwort hatte.

„Hallo", lachte Doc erbost. „Das funktioniert so nur bei dir, denn du hast sie markiert. Bei jedem anderen würde sie sich nach wie vor heftig wehren."

„Und wenn ein anderer sie markiert?"

„Schwer zu sagen. Es ist fast alles möglich. Wenn ein rangniederer Wolf sie markiert, wäre deine Markierung stets die dominantere. In diesem Fall könnte ich mir vorstellen, dass die zweite Markierung kaum Auswirkungen auf ihr Verhalten haben wird. Könnte! Aber würde ein zweiter Alpha sie markieren, dann..."

„Dann was?"

„Dann könnten die Folgen verheerend sein. Die Markierungen könnten ein Gefühlschaos in ihr auslösen und sie könnte dabei ihren Verstand verlieren. Die Markierungen zweier starker Alphas könnten eventuell sogar ausreichen, dass sie selbst zu einem Werwolf mutiert. Sie könnten aber auch heftige Stimmungsschwankungen auslösen. In einem Moment könnte sie depressiv sein und heulen und im nächsten dann so aggressiv werden, dass keiner mehr sie anfassen kann. Ich weiß es nicht, Alex."

"Wir müssen sie finden, Chris", flüsterte Alex geschockt. "Ruf Rick an. Er soll seine Leute in Bewegung setzen."

Die Wölfe vom Silmertal - Die Gefährtin des Alphas.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt