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Seit Alex Thanner sie nach Hause gefahren hatte, spürte Ria eine innere Unruhe. Hätte Justin sich nicht sofort nach ihrem Wohlbefinden erkundigt und hätte sie noch länger in diese fast schwarzen Augen von diesem Mann geblickt, hätte sie sich darin verloren. Für einen Moment hatte sie nämlich nicht mehr gewusst, wo sie war. Sie hatte nur diese Augen gesehen und eine aufkommende Wärme gespürt. Was war nur los mit ihr?

Seit dem Sommerball schwärmte ihre kleine Schwester vom Alpha, aber noch viel mehr von seinem Beta Tom, der ihr den Kopf verdreht hatte. Tom wäre ziemlich dominant, hatte sie erzählt, aber nicht so dominant wie der Alpha. Die meisten Werwölfe seien so und je höher sie im Rang stünden, umso ausgeprägter wäre ihre Dominanz, hatte Kaira erklärt. Aber bei Tom wäre das vollkommen ok, denn Tom wäre ihr Seelenverwandter, und deswegen würde er sie auch zu seiner Gefährtin machen und immer auf sie aufpassen und für sie sorgen.

Ria freute sich für ihre kleine Schwester, denn sie war über beide Ohren verliebt und glücklich. Aber sie selbst war ein Mensch und sie gehörte nicht zu diesem Rudel. Dominanz hin oder her, Alpha oder Beta oder sonst noch was, vollkommen egal. Keiner aus diesem Rudel hatte das Recht, über sie zu bestimmen. Auch nicht der Alpha. Was also bildete sich dieser Typ ein? Wie konnte dieser Kerl es nur gewagt, seine Dominanz und seine Kraft auszuspielen und sie zu zwingen, in sein Auto einzusteigen?

Seit sie diesem Alex Thanner begegnet war, beobachtete sie misstrauisch ihre Umgebung. Sie war immer auf der Hut und rechnete damit, dass er plötzlich vor ihr stehen würde. Aber vielleicht ließ er sie jetzt in Ruhe? Sie hatte ihm die kalte Schulter gezeigt, hatte im Auto nicht ein Wort mit ihm geredet. Ohne Danke zu sagen oder sich zu verabschieden, war sie ausgestiegen und hatte die Autotür einfach zugeknallt. Vielleicht war das deutlich genug gewesen.

Kaira bezweifelte es. Wenn ein Alpha sich für jemanden interessiert, würde er alles tun, um sie zu bekommen und sich von nichts und niemandem aufhalten lassen. Hatte Kaira Recht? Wenn ja, dann würde sie sich vorsehen müssen, dann durfte sie nicht einen Augenblick unaufmerksam sein, zumal sie ihn wahrscheinlich mit ihrem ganzen Verhalten herausgefordert hatte.

Es ist ihr sehr schwer gefallen, mit gleichbleibender Freundlichkeit die Gäste des Restaurants zu bedienen, ohne sich anmerken zu lassen, dass sie sie mißtrauisch beobachtete. Seit Montag jedenfalls kamen jeden Tag zwei Männer zum Mittagessen in das Restaurant und sie kamen auch immer noch am Nachmittag für eine Tasse Kaffee und Kuchen. Zufall?

Das Restaurant lag mitten in der Fußgängerzone. Es war also unmöglich, sie direkt vor dem Restaurant abzupassen. Die Bushaltestelle lag gerade mal hundert Meter weiter am Rande der Fußgängerzone. Tagsüber waren da immer jede Menge Menschen unterwegs und sie arbeitete nur tagsüber. Hier konnte sie sich also sicher fühlen. Auch im Bus würde ihr sicher niemand zu nahe treten. Und zuhause brauchte sie nur die Straße zu überqueren und die kurze Einfahrt zum Elternhaus in zweiter Reihe hochzugehen. Jedenfalls richtete sie es bei ihrem Feierabend immer so ein, dass sie den Bus gerade noch so erreichte. Sicher war sicher.

Doch am dritten Tag fiel ihr noch ein weiterer Mann auf. Er saß auf der anderen Straßenseite in einem Eiscafé und aß genüsslich ein Eis. Sie war sich aber sicher, dass sie diesen Mann schon mal gesehen hatte. War das gestern? Vorgestern? Vielleicht würde er auch morgen dort sitzen? Und richtig, genau dieser Mann schleckte auch am Tag darauf andächtig an einem Eis.

An diesem Tag stieg sie bereits eine Bushaltestelle früher aus. Sie hatte eine Sonnenbrille auf. Das war nicht verdächtig, denn es war ein schöner sonniger Tag. Langsam schlenderte sie scheinbar gedankenverloren die Straße entlang. In Wahrheit aber beobachtete sie genauestens alle Autos, die an der Straße entlang geparkt standen. Und wirklich. In einem der Autos in der Nähe ihrer Bushaltestelle saßen zwei Männer. Einer von ihnen blickte die Einfahrt hinauf zu ihrem Elternhaus. Der zweite telefonierte.

Äußerlich gelassen aber innerlich vor Wut brodelnd, stapfte sie auf ihr Elternhaus zu und verschwand darin. Eilig rannte sie auf ihr Zimmer und blinzelte vorsichtig hinter dem Vorhang hervor. Jetzt blickten beide Männer zur Einfahrt, der zweite Mann telefonierte nicht mehr.

Sie setzte sich auf ihr Bett. Das durfte doch alles nicht wahr sein. Ließ dieser Alex Thanner sie etwa beobachten? Sie hatte keinen Beweis dafür, aber es war offensichtlich, dass diese Männer sie im Auge behielten. Aber warum? Wer hatte ein Interesse daran, sie zu beobachten? Wer, wenn nicht dieser Alex Thanner? Sie wusste es nicht und solange sie sich nicht sicher war, konnte sie nichts unternehmen.

Am Tag darauf allerdings bestätigte sich ihr Verdacht. Sie hatte sehr schlecht geschlafen, war müde und unkonzentriert und hatte heftige Kopfschmerzen. Zwar versuchte sie zu arbeiten, aber nachdem sie bereits zwei Teller hatte fallen lassen und das Bier in der Ausschenke überschäumte, sah auch ihr Chef ein, dass es besser war, sie nach Hause zu schicken. Es war so oder so ihr letzter Arbeitstag im Restaurant. Nach gerade mal zwei Stunden Arbeit verließ sie das Restaurant. Sie wollte gerade um die Ecke zur Bushaltestelle gehen, als sie im Eiscafé gegenüber diesen Mann sah und neben ihm Alex Thanner. Also doch.

Es kostete sie unendlich viel Kraft, so zu tun als hätte sie nichts gemerkt, in den nächsten Bus zu steigen und nach Hause zu fahren. Sie musste nachdenken. Doch kaum hatte sie sich auf ihr Bett gelegt, war sie auch schon eingeschlafen. Am späten Nachmittag wachte sie auf. Die Kopfschmerzen waren weg. Sofort erinnerte sie sich an ihre Entdeckung und der Zorn stieg in ihr hoch. Das musste ein Ende haben.

Sie wusste wo das Rudelhaus war. Maschara hatte es ihr erklärt am Tag, als sie auf den Sommerball gingen. Nur für den Fall, dass etwas wäre und sie Hilfe brauchte. Sie hatte es zuerst nicht wissen wollen, doch nun war sie froh darüber.

Sie zog ihre heiß geliebten Leggings an und ein luftiges langes T-Shirt. Ihre rehbraunen, leicht rötlich schimmernde Haare band sie zu einem Pferdeschwanz und zog ihn durch die Öffnung des Snapbacks auf der Rückseite ihres Cappys. Dann schlüpfte sie in ihre Sneakers. Sicherheitshalber griff sie noch nach einer Jacke bevor sie das Haus verließ.

Sie lief zu dem kleinen Geräteschuppen vor dem Haus, in dem ihr Mountainbike stand. Sie hatte sich das Fahrrad zu ihrem achtzehnten Geburtstag gewünscht und von ihren Eltern geschenkt bekommen. Jetzt würde ihr Mountainbike sie dorthin bringen, wo sie nie hinwollte, zum Rudelhaus der Silmertal-Wölfe. Den Männern, die noch immer im Auto saßen und ihr Elternhaus beobachteten, zeigte sie ihre Faust. Sie sollten ruhig wissen, dass sie sie entdeckt hatte.

Die Wölfe vom Silmertal - Die Gefährtin des Alphas.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt