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„Warum stellen sie nicht noch eine Bedienung ein?", maulte die junge Bedienung. Mürrisch ging. sie auf die Restaurantterrasse, ergriff mehrere aufeinander gestapelte Teller und trug diese in die Küche. Die Hände, die erhoben waren und die leisen Rufe der Gäste ignorierte sie. Sie hasste diesen Job. Immer freundlich zu allen Gästen, egal, ob sie jung oder alt, hübsch oder hässlich, freundlich oder unverschämt vorlaut waren, das wurde ihr langsam zu viel. Sie hatte den Job angenommen und gehofft, sie würde reichlich Trinkgeld kassieren. Doch die Gäste waren geizig und speisten sie mit ein paar Cent ab.

Ria hatte die trotzige Bemerkung des Mädchens gehört und war ihr in das Restaurant gefolgt. In der Nähe der Theke setzte sie sich an einen Tisch und bestellte. Eine gefühlte Ewigkeit später stellte das Mädchen mürrisch einen Kaffee vor Ria und das Stückchen Kuchen, kam erst, als sie den Kaffee längst schon ausgetrunken hatte.

„Nun beeil dich mal, Laura", schimpfte die Wirtin. „Die Gäste warten."

„Ja, ja", antwortete Laura unwillig und trottete zu einem Tisch, um dort die Bestellung aufzunehmen.

„Entschuldigung", sprach Ria die Wirtin an. „Ich glaube, sie könnten Hilfe gebrauchen. Ich bin für ein paar Tage hier. Aber alleine ist es mir zu langweilig. Außerdem freue ich mich über jeden Euro, den ich dazuverdienen kann. Ich bin noch in der Ausbildung und habe deswegen nicht so viel Geld. Aber ich komme aus der Branche und wenn sie wollen, würde ich sie für eine Stunde unterstützen, damit sie sich von meinen Qualitäten überzeugen können. Danach können wir weiterreden."

Zunächst starrte die Wirtin Ria misstrauisch an. Doch Ria gefiel ihr. Vor ihr stand ein hübsches Mädchen mit einem freundlichen Lächeln und einer angenehmen Stimme. Und gerade jetzt zur Mittagszeit wäre Unterstützung durchaus wünschenswert.

„Könnten sie über die Mittagszeit?", fragte sie, „so bis vierzehn Uhr? Zehn Euro pro Stunde bar auf die Hand und das Trinkgeld gehört ihnen. Und ein Mittagessen und zu trinken. Einverstanden?"

Ria überlegte nicht lange und hielt der Wirtin ihre Hand hin. „Einverstanden. Ich habe allerdings keine Bedienungsschürze dabei. Vielleicht könnten sie mir mit einer aushelfen?"

Zehn Minuten später stand Ria bereits vor einem der hintersten Tische und nahm freundlich und geduldig die Bestellung auf.

Zwei Stunden später ließ sie sich stöhnend auf einen Stuhl fallen.

„Müde?", fragte die Wirtin und Ria nickte. „Du warst richtig fix auf den Beinen und hast fast für zwei gearbeitet. Alle Achtung." Sie öffnete die Kasse und drückte Ria fünfzig Euro in die Hand. „Das hast du dir verdient. Und wenn du Lust hast und morgen auch noch Zeit hast, würde ich mich freuen. Und jetzt geh in die Küche und lass dir was zu Essen geben."

——

Aus dem Frühstück wurde ein Brunch und Tom konnte sich erst nach dem Mittagessen loseisen und zum Alphahaus zurückkehren.

„Frühstück?", bemerkte Alex trocken und blickte auf die Uhr.

„Brunch", erwiderte Tom und ließ sich in einen Sessel fallen. „Ich habe in meinem Leben noch nie so viel gegessen. Hast du mir einen Espresso?"

„Ach", spottete Chris, „war der nicht mit im Angebot?"

„Doch", grinste Tom, „aber dann wäre ich jetzt noch nicht hier." Er holte sein Handy heraus und tippte darauf herum. „Rufe deine E-Mails ab. Ich habe dir Bilder zugeschickt."

Chris tippte etwas auf seinem Laptop ein und gleich darauf erschienen die Bilder auf dem Monitor.

„Das sind ein paar aktuelle Bilder von Ria. Die könnt ihr weiterschicken an Rick. Jetzt kommen einige Urlaubsbilder, die Ralf gemacht hatte, als Ria noch klein war. Da lebte ihre Mutter noch. Das hier ist in Dreiching. Dreiching ist ein kleines Dorf am südlichen Zipfel vom Eichsee. Ralf war mit seinen beiden Damen viermal dort im Urlaub. Er meinte, Ria müsste sich eigentlich noch gut daran erinnern. Schließlich hatte sie dort zum ersten Mal miterlebt, wie ein Fohlen zur Welt kam. Ria müsste damals etwa so sieben oder acht Jahre alt gewesen sein. Eichstadt selbst fanden sie schon immer viel zu groß und viel zu laut aufgrund der Touristen. Dieses Bild stammt aus Tulching. Das liegt etwa zehn Kilometer westlich von Dreiching. Das Bild wurde vor etwa sechs Jahren aufgenommen. Rias Mutter lebte da schon nicht mehr. Ralf war damals mit den beiden Mädchen dort, die ihren Spaß im Tiergarten hatten. Sie haben dort jeden Tag mitgeholfen, die Tiere zu füttern."

„Und Maschara?", fragte Alex neugierig.

„Maschara hatte Ralf und Ria gegenüber angegeben, dass eine Freundin dringend ihre Hilfe brauchte und sie deswegen drei Wochen zu ihr in den Norden fahren müsse. Bei Kaira war es noch kein Problem. Sie war noch zu jung und hatte sich noch nicht verwandelt. Aber Maschara konnte nicht mit. Fremdes Revier."

„Wo ist das hier", fragte Alex, als Chris zum nächsten Bild schaltete. Es zeigte Ria in einem Badeanzug mit angezogenen Beinen auf einem Steg sitzend. Abwesend und fast etwas traurig starrte sie hinaus auf das offene Meer.

„Das Bild ist bei einem Schulausflug gemacht worden. Das war vor zwei Jahren. Ria war mit ihrer Klasse unten am Meer. Ralf erzählte, dass Rias Mutter das Meer geliebt habe und auf diesem Bild würde Ria ihrer Mutter so ähnlich sehen. Ich bin überzeugt, dass Ralf Maschara mittlerweile wirklich liebt, aber als er mir dieses Bild gezeigt hatte, sah er genauso traurig aus, wie Ria auf diesem Bild."

Chris hatte nebenbei das Bild ausgedruckt und reichte es nun Alex, der es mit einem eigenartigen fast sehnsüchtigen Blick betrachtete.

„Ich habe Ralf gefragt, wo Ria wohl am liebsten nochmals hinfahren würde und er meinte ganz klar nach Dreiching."

Sie schwiegen und hingen ihren Gedanken nach. Alex starrte dabei auf das Bild, Chris betrachtete die Straßenkarte und Tom nippte an seinem Espresso.

„Wenn Ria bis nach Süden an das Meer gefahren ist, dann kann es Ewigkeiten dauern, bis wir sie finden. Aber dann dürfte sie außer Gefahr sein", sinnierte Alex. „Soweit ich weiß, gibt es am Meer keine Werwolf-Rudel. Marius Territorium hört mit der hügeligen Landschaft auf. Ab da gibt es bis hinunter zum Meer keine Wälder mehr. Aber sie hat kein Geld dabei und auch keine Karte und ab Kappeln ist sie mit dem Zug gefahren. Angenommen, sie hat sich von dieser Frau Geld geliehen und auch bekommen, wie hoch dürfte die Summe sein? Fünfzig Euro? Hundert Euro? Wieviel davon würde sie für eine Fahrkarte ausgeben? Zwanzig Euro? Dreißig Euro? Und wie weit würde sie damit kommen? Schickt die ersten beiden Bilder an Rick und seine Leute. Sie sollen ihre Suche zunächst auf Eichstadt konzentrieren, sicherheitshalber aber auch jemand nach Dreiching schicken. Und informiert Dorian, den Alpha vom Rieder-Rudel. Könnte sein, ich brauche seine Hilfe."

Die Wölfe vom Silmertal - Die Gefährtin des Alphas.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt