* 26 *

1.1K 57 0
                                    

Sie hörte das Knurren. Sie hörte Kampfgeräusche. Ria krallte sich an den Eisenstangen fest und lauschte. Es schepperte und klirrte, als würde Glas und Porzellan auf den Boden fallen und in tausende Einzelteile zerspringen. Vorhänge oder irgendwelche anderen Textilien zerrissen. Dann hörte sie das Aufheulen von Wölfen und wieder tiefes bedrohliches Knurren und schließlich Funkstille. Eine gefühlte Ewigkeit später erst hörte sie Schritte, die Schritte eines Mannes. Ria wich zurück. Sie griff nach einer Holzlatte, stellte sich mitten in ihr Gefängnis und starrte zur Tür.

Der Schlüssel drehte sich, die Tür ging auf und ein Mann betrat den Raum und hinter ihm drei Wölfe. Wortlos schloss er die Gittertür auf und entfernte sich sofort wieder. Einer der Wölfe folgte ihm. Die beiden anderen trabten hintereinander in den großen Bereich und wandten sich seitlich zur Wand hin. Ria wich zurück, Schritt für Schritt, und die Wölfe folgten ihr. Langsam und bedächtig gingen sie an der Wand entlang auf Ria zu, die, ohne die Wölfe aus den Augen zu lassen, sich ebenfalls an der Wand entlang tastete, schließlich das Gitter erreichte und dann die weit offen stehende Tür hinaus. Die Wölfe folgten ihr.

Rückwärts gehend verließ Ria ihr Gefängnis, die Holzlatte kampfbereit in der Hand, und fand sich auf einem breiten Flur wieder. Sie wagte einen kurzen Blick nach links und dann nach rechts. Links würde sie nicht weiterkommen. Das war eine Sackgasse. Also bog sie nach rechts ab und ging Schritt für Schritt rückwärts den Flur entlang, ohne die beiden Wölfe aus den Augen zu lassen.

„Was wollt ihr von mir", fragte sie. Doch ihre Stimme klang nicht ängstlich, sondern eher fordernd.

„Verschwindet", forderte sie die Wölfe auf und ging drohend mit ihrer Holzlatte einen Schritt auf sie zu. „Lasst mich in Ruhe."

Die Wölfe wichen ein paar Schritte zurück, schnaubten. Sie streckten sich, schoben ihre Pfoten nach vorne, den Hintern nach oben und wedelten mit der Rute. Für einen Moment wirkten sie wie große Hunde, die spielen wollten. Dann richteten sie sich wieder auf, schüttelten den Kopf und gingen dann wieder langsam auf Ria zu, die weiter zurückwich. Da entdeckte sie einen Stuhl, ließ die Holzlatte fallen und griff danach. Der Stuhl war größer und länger und vergrößerte den Abstand zwischen ihr und den Wölfen. Sie hielt den Stuhl an der Lehne kampfbereit vor sich.

„Bleibt endlich stehen", forderte sie die Wölfe auf, doch sie schüttelten nur den Kopf und folgten ihr Schritt für Schritt.

„Ich werde mich wehren", versprach sie drohend.

Die beiden Wölfe bleckten ihre Zähne und schnaubten, als würden sie lachen. Aber sie folgten ihr weiter, bis sie einen großen Raum erreicht hatte. Ria warf nur einen kurzen Blick in den Raum, konnte aber niemand sehen. Schnell wandte sie sich wieder den Wölfen zu.

„Wenn ihr mich nicht sofort in Ruhe lasst, dann schlage ich zu", drohte sie und hob den Stuhl.

Jetzt erst blieben die Wölfe stehen, ließen sie aber keine Sekunde aus den Augen.

„Ich werde jetzt hier raus gehen und wehe ihr folgt mir. Habt ihr mich verstanden?", fauchte sie die beiden Wölfe an, senkte aber den Stuhl.

Zu spät bemerkte sie die Bewegung hinter sich. Ehe sie reagieren konnte, legten sich zwei Arme wie Schraubzwingen um ihren Oberkörper und pressten sie an eine harte Brust.

„Sehr gut, meine kleine Wildkatze", hauchte eine bekannte tiefe Stimme in ihr Ohr, bevor sich ein Mund auf ihre Markierung legt und eine warme Zunge sanft ihre Haut liebkoste.

Ria keucht auf. Alex war da. Ihr ganzer Mut und ihre Wut krachten wie ein Kartenhaus zusammen. Angst, die sie bisher mühsam unterdrückt und hinter den Mauern aus Wut und Mut und Trotz verborgen gehalten hatte, überschwemmte sie wie eine Flutwelle. Eine unglaubliche Hitze durchströmte sie. Alles in ihrem Kopf drehte sich und sie ließ mit weit aufgerissenen Augen den Stuhl fallen und krallte sich an seinen Unterarmen fest. Ihr Blut schien zu kochen und sie spürten ihren Herzschlag dröhnend in ihrem ganzen Körper, sogar das Pochen in ihrem Kopf war wieder da und wurde lauter und lauter und übertönte spielend Alex Stimme, die sie zu beruhigen versuchte und doch nicht bei ihr ankam. Und plötzlich ließen ihre Beine nach, eine willkommene Dunkelheit hüllte sie ein und nahm ihr die Angst und den Schmerz und schenkten ihr Ruhe und Frieden.
——
Aufmerksam schnuppernd hoben die Silmertal-Wölfe ihre Nasen.

‚Sie drehen ab', bemerkte Wotan.

‚Also haben sie etwas bemerkt', schnaubte Tobi.

‚Alex?', rief Chris. ‚Hast du Ria?'

‚Ja', meldete sich Alex. ‚Sie ist soweit ok.'

‚Seht zu, dass ihr dort weg kommt', informierte Chris seinen Freund. ‚Es sieht so aus, als ob sie sich zurückziehen. Mir scheint, sie haben was bemerkt.'

‚Alles klar', antwortete Alex. ‚Kommt ihnen hinterher.'

‚Machen wir', bestätigte Tom.

‚Also Jungs', sagte Chris. ‚Ab gen Norden. Alex braucht uns.'

Fast zeitgleich hoben die Wölfe ihren Kopf und stießen ein schauerlich lautes Geheul hervor. Dann setzten sie sich in Bewegung und liefen los.

Die Wölfe vom Silmertal - Die Gefährtin des Alphas.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt