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Ria schlief lange, sehr lange. Sie bekam nicht einmal mit, dass die Wirtin Benno die Tür geöffnet hatte und ihn in den Garten ließ. Benno erledigte nur sein Geschäft, dann trottete er wieder zum Gästezimmer und rollte sich erneut vor dem Bett ein.

Es war fast Mittag, als sie schließlich erwachte, sich anzog und zögernd nach unten in die Gaststätte ging, Benno im Schlepptau. Sie war der Wirtin sehr dankbar, dass sie nicht in sie drang. Sie hätte nicht gewusst, was sie ihr erzählen sollte. Und sie war sehr dankbar, als die Wirtin ihr anbot, für ein paar Tage hier zu bleiben. Sie könnte in dem Gästezimmer schlafen, wenn sie wollte, könnte sie in der Gaststätte mitarbeiten. Ria wollte arbeiten. Sie könne sich so besser ablenken, erklärte sie und sie fing auch gleich an.

„Hallo Püppi, wer bist du denn, ich habe dich hier noch nie gesehen." Der Typ war widerlich. Anzüglich betrachtete er sie und schien sie vor seinem geistigen Auge auszuziehen. Ria ignorierte es.

„Was darf ich ihnen bringen?", fragte sie freundlich.

„Ich hätte gerne ein Bier, Püppi", säuselte er und Ria hätte sich nicht gewundert, wenn er wie ein kleines Kind angefangen hätte zu sabbern.

„Gerne", erwiderte sie freundlich und ging zum nächsten Tisch, um dort die Bestellung aufzunehmen.

Sie war schon mehrmals Typen wie ihm begegnet und hatte bisher gute Erfahrungen damit gemacht, dieses Verhalten einfach zu ignorieren und weiterzumachen, als wäre nichts geschehen. Nur einmal hatte es ein ziemlich arroganter Möchtegern-Macho gewagt, ihr an den Hintern zu fassen. So schnell hatten weder er noch sie selbst reagieren können, da war ihre Hand bereits mit einen lauten Klatschen auf seiner Wange gelandet. Er wollte aufbegehren, war aber dann doch vor dem Zorn in ihren Augen zurückgewichen. Wortlos hatte sie seine Zeche zusammengezählt und ihm den Bon hingelegt. Er hatte genauso wortlos bezahlt und das Restaurant fast fluchtartig verlassen.

Dieser Typ hier aber sabberte sie nicht nur dreckig an, er wirkte auch sonst äußerst widerlich. Sie hätte allerdings nicht erklären können, warum sie gerade bei ihm so heftig empfand. Trotzdem gelang es ihr, ihn zu ignorierten und konzentriert weiterzuarbeiteten. Innerlich aber zitterte sie. Plötzlich hatte sie das Gefühl, nicht nur dieser Widerling, sondern auch der dunkelhaarige Typ am Nachbartisch klotzte sie lüstern an sowie auch die Männer an den anderen Tischen. Oder waren sie einfach nur freundlich?

Einen Moment lehnte sie sich an den Tresen und beobachtete diesen dunkelhaarigen Typ. Er telefonierte und schien sich überhaupt nicht mehr für sie zu interessieren. Auch die anderen Männer hatten ihre Aufmerksamkeit bereits anderen Dingen zugewandt. Erleichtert atmete sie auf. Aber dieser Sabbertyp nervte sie. Nach einer gefühlten Ewigkeit bestellte er noch ein Bier und quatschte sie erneut schräg von der Seite an. Und wieder ignorierte sie ihn. Er beobachtete sie und das machte sie wütend. Er saß dort jetzt über eine Stunde und hatte gerade mal zwei kleine Biere getrunken. Es wurde Zeit, dass er ging.

Entschlossen legte sie ihm den Bon vor die Nase.
„Ich mache gleich Feierabend und es wäre schön, wenn ich vorher noch alles abrechnen könnte", sagte sie mit übertrieben freundlicher Stimme. Ohne auf die Rechnung zu blicken, legte er zehn Euro hin.
„Stimmt so", grinste er breit und leckte mit der Zunge über seine Lippen. Sie zählte das Wechselgeld ab und legte es vor ihm hin.
„Danke, ich verzichte", sagte sie mit derselben übertrieben freundlichen Stimme, drehte sich um und verschwand in der Küche.

„Alles ok mit dir", fragte die Wirtin.

„Ja, dieser Typ geht mir nur auf den Nerv", erwiderte Ria leise und ließ sich auf einen Stuhl fallen.

„Das ist Ken", erklärte die Wirtin mit einem Ton, der verriet, dass auch sie diesen Mann verachtete. „Er ist einer von Marius Männern. Marius ist der Eigentümer von diesem Restaurant. Ich habe es nur gepachtet. Er und seine Männer kommen häufiger hierher und dieser Ken labert immer junge hübsche Frauen an, wenn er allein da ist. Die wenigsten sind in der Lage, ihm so gekonnt die kalte Schulter zu zeigen, wie du das gerade gemacht hast. Alle Achtung."

„Die Gastronomie ist mein Leben", erklärte Ria. „Egal ob in einem Hotel oder in einem Restaurant. Ich habe gerne mit Menschen zu tun. Die meisten von ihnen sind auch sehr nett. Und wenn Frau gelernt hat, immer und überall freundlich korrekt und überlegen zu sein, wird es leichter mit solchen Typen umzugehen."

„Solange sie labern, geht es noch. Aber was machst du, wenn sie dich anfassen?"

„Dann fahre ich meine Krallen aus."

——

„Sie ist in Eichstadt."

Mit dem Handy in der Hand betrat Tom den Wohnbereich in Alex Haus.

„Ich habe gerade eine Nachricht von Tore erhalten. Er hatte Hunger und wollte nur kurz was essen, da hat er sie entdeckt. Er hat ein Video geschickt. Habe es schon auf dein Laptop weitergeleitet."

Alex rief die Nachricht auf und startete das Video. Er brauchte keine Sekunde um zu wissen, dass die freundlich lächelnde Bedienung seine kleine Wildkatze war.

„Das ist sie. Wie heißt das Restaurant?"

„Restaurant Cafe Eichenwald natürlich", erwiderte Tom und grinste.

„Stopp."

Chris Stimme klang beunruhigt. Er war gerade hereingekommen und hatte über Alex Schulter ein Blick auf den Bildschirm geworfen.

„Starte nochmal von vorne", bat er und Alex folgte seiner Bitte.

„Stopp. Kannst du das Bild etwas vergrößern?" Alex folgte auch dieser Bitte.

„Das ist Ken", rief Chris entsetzt und Alex Miene versteinerte sich.

„Wer ist Ken?", fragte Tom und sein Blick wanderte zwischen Alex und Chris, die sich entsetzt anstarrten, hin und her.

„Ken war der Beta meines Vaters", sagte Chris.

„Du bist ein Alpha?", fragte Tom überrascht.

Chris warf Alex einen kurzen Blick zu und Alex nickte unmerklich.

„Nein." Chris schüttelte den Kopf. „Aber ich bin der Sohn von Arwik Walden."

„Der Arwik Walden?", fragte Tom erstaunt.

„Richtig", bestätigte Chris und verzog spöttisch seinen Mund. „Alex und ich kennen uns schon lange. Wir waren auf demselben Internat und sogar in der selben Klasse. Und wir beide haben damals ganz schön für Unruhe gesorgt, wobei unsere Rollen von Anfang an klar verteilt waren. Alex ging voraus und ich folgte ihm und sicherte seinen Rücken ab. Ich wollte nie Alpha sein. Schätze mein Vater hatte sich sicher einen anderen Sohn gewünscht. Egal. Ken war damals der Beta meines Vaters und nach dessen Tod hoffte er, ich würde endlich meiner Bestimmung folgen, das Rudel übernehmen und ihn als Beta behalten. Ich aber habe das Rudel aufgelöst und die Mitglieder vor die Wahl gestellt, sich Alex anzuschließen oder weiterzuziehen und sich einem anderen Rudel anzuschließen. Ken hatte damit seinen Posten als Beta verloren und ist weitergezogen. Ich wusste nicht, dass er bei Marius untergekommen ist."

„Ich war damals ganz schön überrascht als Alex dieses Rudel übernahm", gestand Tom. „Und ich war ehrlich gesagt auch ziemlich sauer, dass Alex in dir dann plötzlich noch einen zweiten Beta hatte. Jetzt verstehe ich warum."

„Ich hoffe, du bist jetzt nicht mehr sauer auf mich", grinste Chris und Tom schüttelte lächelnd den Kopf.

„Arwik Walden galt als ein sehr - dominanter Alpha", formulierte er schließlich vorsichtig.

„Du meintest wohl - brutal", verbesserte Chris trocken. „Ja, Vater war alles andere als rücksichtsvoll. Ich habe seine harte Hand häufiger zu spüren bekommen. Mal abgesehen davon, dass ich nicht zum Alpha tauge, ich hätte niemals sein Erbe annehmen wollen. Einige aus dem Rudel waren ähnlich gestrickt wie Vater. Ken auch und Ken hat noch eine äußerst unschöne Angewohnheit. Er macht alle junge, halbwegs hübschen Frauen an und versucht sie zu begrabschen."

„Dann ist Ria in großer Gefahr", erkannte Tom sofort.

„So ist es", bestätigten Alex und Chris gleichzeitig.

„Ich funke Tore an. Er darf Ria auf keinen Fall aus den Augen lassen", sagte Tom und griff zu seinem Handy.

„Und ich versuche Dorian zu erreichen und mit ihm einen Termin zu vereinbaren", erklärte Chris und griff zum Telefon.

Die Wölfe vom Silmertal - Die Gefährtin des Alphas.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt