kapitel 4 - dominic

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DOMINIC

Es ist beinahe wie früher.

Vor zwei Jahren habe ich sie das letzte Mal gesehen. Wenn ich das eine Mal nicht mitzähle, in dem ich mir eingebildet habe, sie vielleicht in der Menge eines Konzertes zu erblicken.

Damals standen Tränen in ihren blauen Augen und das Zittern ihrer Hände blieb mir nicht verborgen, als sie für uns klatschte.

Für einen Moment hatte es sich so angefühlt, als galt ihr Applaus nur mir allein.

Schwachsinn, natürlich. Ihr Lächeln hatte ihre Augen nicht erreicht, doch niemandem war aufgefallen, was sich in ihrem Inneren abspielte, während sie tat, als wäre alles in Ordnung.

Es ist seltsam.

Schon immer ist es mir leicht gefallen, hinter ihre Fassade zu blicken. Ich sehe nicht den perfekten Engel, den sie zu spielen versucht. Die weichen, blonden Haare, die über ihren Rücken fallen. Die hellen Sommerkleider, mit denen sie alle um ihren kleinen Finger wickelt, all das reicht mir nicht.

Das strahlende Lächeln, das sie stets aufsetzt, ihr perfekter Notendurchschnitt. Die Lehrer lieben sie, wie könnten sich auch nicht? Doch ich kenne einen Teil von ihr, den niemand zu Gesicht bekommt. Ich habe das wütende Funkeln in ihren Augen gesehen, ich habe erlebt, wie sie für einen kleinen Moment zerbricht und die Wut herauslässt, die sie sonst so sorgfältig in sich verborgen hält.

Denn ich bin dafür verantwortlich gewesen.

Ich bin der Schuldige. Und ich habe kein Gewissen.

Heute spielt sie ihre Rolle perfekt. Meine Augen gleiten über ihre schlanken Beine, an ihren Armen herunter bis zu ihren Händen, mit denen sie nervös spielt. Ein feines Goldkettchen liegt an ihrem Handgelenk, passt perfekt zu dem hübschen Goldschmuck, den sie trägt. Alles an ihr ist zart. Ihr Gesicht, die Stupsnase, das spitze Kinn. Ihre hellblauen Augen sind groß und rund und von dichten schwarzen Wimpern umrahmt. Heute kämpft sie nicht mit den Tränen, aber die Furcht ist ihr dennoch ins Gesicht geschrieben.

„Gut, dann lasst uns mal anfangen, Kollegen." Schlägt Jackson vor, reibt sich die Hände und grinst Leah an, die ihm ein schüchternes Lächeln schenkt. Jackson gibt ihr Sicherheit, darin ist er gut. Menschen fühlen sich wohl in seiner Nähe. Er hat stets ein Lächeln im Gesicht und mit seinen blonden Locken wirkt er so harmlos, dass auch seine Tattoos und das Piercing nichts daran ändern können.

Ist es seine Strategie, die Wette zu gewinnen? Oder ist er einfach nur freundlich, wie sonst auch?

Manchmal frage ich mich, wie es sich anfühlt, eine einladende, warme Ausstrahlung zu haben. Ich frage mich, wie es wohl sein muss, wenn die Leute nicht die Straßenseite wechseln, wenn ich ihnen entgegenkomme. Wenn sie nicht auf den Boden schauen, weil sie meinem Blickkontakt nicht standhalten können. Ich bin zu viel. Das war ich schon immer. Es wundert mich nicht, dass mich keine Familie lange behalten hat.

„Gerne!" Leah nickt begeistert und reißt mich aus meinen Gedanken, sichtlich erleichtert darüber, dass Jackson die Initiative ergriffen und sie miteinbezogen hat. Chase winkt sie zu sich herüber und zeigt ihr einige Musikblätter.

„Da wir vermutlich nicht gerade deinem Musikgeschmack entsprechen, gebe ich dir einen kleinen Einblick. Wir spielen hauptsächlich Rock, aber manchmal lassen wir uns von alternativem Metal inspirieren. Uns ist es wichtig, dass unsere Musik Power hat, aber gleichzeitig melodisch ist." Erklärt er und sie nickt, hochkonzentriert.

„Es muss ein Ausgleich sein, zwischen Instrumenten wie Schlagzeug und der E Gitarre, sowie Doms Stimme und dem Rest."

„Spielst du ein Instrument, Leah?" frage ich und sie zuckt beim Klang ihres Namens zusammen. Weil er aus meinem Mund kommt?

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